Sündenfall Online-Shopping?

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Der Einzelhandel stirbt einen langsamen Tod, doch uns Kunden die Schuld dafür zu geben, greift deutlich zu kurz.

Eine Meinung von Philipp Martin

Ich kann mich noch gut an meinen allerersten Kontakt als Kunde mit dem deutschen Einzelhandel erinnern. Ich war zwölf Jahre alt und hatte mir von meinem Taschengeld ein ferngesteuertes Auto gekauft. Lange hatte ich auf das schmucke Stück gespart, umso größer war die Enttäuschung als ich es auspackte und der kleine Flitzer einfach nicht funktionierte. Also fuhr ich mit klopfendem Herzen mit der Straßenbahn nach Karlsruhe um das defekte Spielzeug im Laden in einen Intaktes umzutauschen. Anstatt sich bei mir für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, behandelte mich die ältere Dame am Serviceschalter stattdessen wie einen Verbrecher. Man unterstellte mir, ich hätte das Auto kaputt gemacht und begegnete mir nur mit beißendem Argwohn und maximaler Unfreundlichkeit. Am Ende wurde das defekte Stück zur Reparatur eingeschickt, aus Kulanz wie es hieß. Erst sechs Wochen später erhielt ich es zurück.

Natürlich gibt es auch großartige Einzelhändler, jene die sich für ihre Kunden richtig ins Zeug legen. Manche leben den Servicegedanken, das möchte ich an dieser Stelle selbstverständlich nicht unterschlagen. Dennoch scheinen die Tage des Einzelhandels immer mehr ihrem Ende entgegen zu blicken, das zeigt nun auch wieder eine kürzlich erschienene Umfrage der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) im Auftrag von Amazon. Demnach gab etwa die Hälfte aller Befragten an, seit der Corona-Pandemie noch häufiger Waren im Internet einzukaufen.

Im ersten Moment senkt manch einer nun vielleicht schuldbewusst das Haupt und gelobt Besserung, denn irgendwie ist man ja durch das eigene Einkaufsverhalten Schuld am Tod der Innenstädte. Begibt man sich dann aber an einem Samstag in das „Abenteuer Innenstadt“, weiß man auch gleich wieder wieso. Das beginnt bereits bei der Anfahrt! Möchte man zum Beispiel zum Bummeln nach Karlsruhe fahren, muss man sich zuerst durch die unzähligen Baustellen kämpfen um schließlich die nervenaufreibende Suche nach einem Parkplatz anzugehen. Hat man diesen gefunden, erwarten einen in der Innenstadt: Überfüllte Straßen und Geschäfte, aufdringliche Flyerverteiler und Bettler, ein nicht vollständiges Warenangebot und und und…. Am Ende hat man nur einen Teil seiner Einkäufe zusammen und fällt am Abend ausgelaugt auf die Couch….nächsten Samstag geht´s nochmal los, denn die Jacke in der richtigen Größe für den Göttergatten und das Parfüm für Oma war im Laden nicht vorrätig und mussten bestellt werden. Meine Schuhgröße 48 wird in den meisten Läden übrigens überhaupt nicht mehr geführt, in Modeläden nehmen sogar immer mehr Händler gleich einen Großteil der Herrenkollektion aus dem Programm um die Verkaufsfläche für die Damen erhöhen zu können.

Machen wir die Gegenprobe! Anstatt in die Stadt zu fahren und einen Tag den Stresspegel in die Höhe zu schrauben, setzen wir uns auf die Couch und nehmen den Tablet-PC zur Hand. Ein paar Klicks und die gewünschten Waren liegen in unserem digitalen Einkaufskorb – ein weiterer Klick und der Paketbote ist quasi schon auf dem Weg zu uns. Wir haben Zeit und Nerven gespart und in den meisten Fällen auch nicht unerheblich viel Geld. Voila!

Doch so einfach ist es natürlich nicht – wann ist es das denn jemals?

Damit wir zu günstigen Preisen unsere Waren an die Haustür geliefert bekommen, müssen eine ganze Reihe von Menschen draufzahlen. Die unterbezahlten Mitarbeiter der großen Logistikzentren, die bis zum Umfallen schaffenden Paketboten und die kleinen Einzelhändler, die bei den Dumping-Preisen der „Großen“ nicht mithalten können.

Genau hier setzen nun die eingangs erwähnten Stimmen an: Kauft wieder lokal! Aber ist das wirklich die Lösung? Ist es tatsächlich immer der faule Endkunde, der die Verantwortung für die großen Missstände in Wirtschaft und Handel trägt? Ist es seine moralische Verfehlung? Nein. Die Politik ist hier gefragt, ganz im Sinne der sozialen Marktwirtschaft an den Rahmenbedingungen zu arbeiten. Ja, die großen Online-Händler verlegen ihre Konzernzentralen nach Luxemburg um dort Steuern zu sparen. Sind wir ehrlich: Wenn ich die Möglichkeit hätte anstatt 40 Prozent Steuern, nur 5 Prozent zu zahlen… ich würde es wohl tun. Solange ich damit keine Gesetze breche, ist es die Pflicht des Staates diese Schlupflöcher zu schließen.

Bruchsal shoppt sich in den Frühling
Einkaufen in der Innenstadt, nicht jedermanns Sache

Oder nehmen wir den Service! Kaufe ich z.B. bei Amazon ein, dann weiß ich, dass ich jedes Produkt ohne „Wenn und aber“ zurückgeben kann und mein Geld erhalte. Ebenso weiß ich, dass im Garantiefall das Unternehmen immer mit maximaler Kulanz entscheidet. In der Innenstadt gibt es natürlich auch kulante und zuvorkommende Händler, aber ein Recht habe ich darauf nicht. Im Zweifelsfall entscheide ich mich für die von vorneherein stressfreie Variante. Zudem haben sich – zumindest nach meiner Erfahrung – die Einzelhändler in den zurückliegenden Jahrzehnten, als der Onlinehandel noch keine echte Rolle spielte, in Sachen Service und Kulanz nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Auf das Abenteuer Rückgabe und Reklamation lasse ich mich seit meinem 12. Geburtstag eben nicht mehr ein.

Sündenfall Online-Shopping?

Nun ließt sich diese gesamte Abhandlung wie eine große Lobhudelei auf das Online-Shopping. Ja, ich bin ein Fan dieser neuen Möglichkeiten. Ein Boykott käme einem Schritt zurück gleich. Ganz egal was es an Innovationen auf der Welt gibt – irgendjemand redet Sie immer schlecht und verlangt eine Rückkehr zum Althergebrachten und Traditionellen. Würden wir diesen Stimmen immer folgen, wären wir wohl nicht da wo wir heute stehen. Ob das etwas Gutes oder Schlechtes ist, möge jeder von uns selbst entscheiden.

Vieles muss definitiv noch verbessert werden: Es kann nicht sein, dass ein Paketbot sich förmlich kaputt arbeitet um anschließend kaum davon leben zu können. Es kann auch kein Geschäftsmodell sein, dass man sich 30 Paar Schuhe bestellt, in der Absicht nur eines zu kaufen und den Rest davon auf Kosten des Versenders zurück zu schicken. Es kann ferner nicht sein, dass Steuerschlupflöcher aus rein wirtschaftlichen Interessen einen Keil in die Gesellschaft und deren Gerechtigkeitsempfinden treiben dürfen. Hier sind die Regierung und die EU gefragt – nicht aber der Kunde selbst. Dieser sollte sich natürlich trotzdem die Auswirkungen der Verlagerung des Handels ins Internet bewusst machen! Unsere Innenstädte werden ein anderes Gesicht erhalten: Viele Läden werden leerstehen – das Leben wird sich verlagern. In die Stadt geht man dann noch um einen Kaffee zu trinken oder einen Film im Kino anzusehen – mehr gibt es dann dort nicht mehr. Wem das zu trostlos ist, der sollte sich lieber nochmal überlegen,  wo er dieses Jahr seine Weihnachtsgeschenke einkauft!

Ein Kommentar von Philipp Martin

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7 Gedanken zu „Sündenfall Online-Shopping?“

  1. Verehrter Herr Martin, NEIN, Sie können es nicht einfach so zurückgeben. Es gibt einen gewisen Zeitraum bis zu dem Zeitpunkt man etwas zurück geben kann. Und danach eben nicht mehr. Ich habe einen Wasserkocher gekauft, und mußte feststellen, dass das Wasser vor dem Abschalten aus dem Wasserkocher überläuft. Und ja, Herr Martin, die Einzelhändler bezahlen brav ihre Steuern und dürfen ihre Zuschüsse, die sie wegen der Seuche erhalten haben natürlich zurück bezahlen. Und es wird ihnen als höherer Umsatz angerechnet, dann ist eben mehr Steuer fällig. Das muß der Internetverkäufer eben NICHT !!! Seine Steuerquote in 2021 in der EU 0 Euro !!! Außerdem habe ich festgestellt, dass da nicht alles billig ist. Ich mache es jetzt so: kann ich einen Anbieter ermitteln, dann bestelle ich direkt. Und man kann auch mit der Bahn nach Karlsruhe fahren. Die lästige Parkplatzsuche entfällt. Sklavenhandel gibt es auch heute noch: Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, Paketboten etc. Daran werden auch Sie nichts ändern. Der Niedriglohnsektor wurde von der Politik geschaffen, um das System am Laufen zu halten.

  2. Sehr geehrter Herr Martin, ein Bild des Verkaufsoffenen Sonntages in ihrem Artikel für ein Beispiel der überfüllten Innenstadt zu verwenden finde ich unpassend. Schöner wäre ein Bild mit Sicht über den frühlingshaften Wochenmarkt samt Aussenbewirtung der ansässigen Gastronomie Richtung Innenstadt. Es geht nämlich auch um das Kauferlebnis. Und ein paar schöne Stunden – das Zusammensein, Kommunikation – UND der Einzelhandel in Bruchsal ist SEHR wohl äusserst kulant im Umgang mit der Kundschaft. Meist kennt man sich und es wird flexibel agiert. Vielen Dank für den konstruktiven Beitrag, der dem Käufer einen Besuch in unserer schönen Stadt unschmackhaft macht. Ich selbst gehe sehr gerne in den bruchsaler Einzelhandel. Hier kennt man sich, bekommt Rabatte und unbürokratische Umtauschaktionen, dazu eine exquisite Beratung. M.E. brauchen wir beides – das Einkaufserlebnis Innenstadt und einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internetkauf. Viele Grüße an alle Bruchsaler und Umgebung – unser Einzelhandel freut sich auf Sie!

  3. Dieser Anonymous Troll hier der immer meckert ist der Grund warum bald die Kommentarfunktion deaktiviert wird.
    Hoffentlich. Das Gebabbel wollen nicht mal seine ü50 Kumpels am Stammtisch hören.
    Kneipen haben übrigens wieder offen, Opa. Kannst wieder aus dem Internet raus. Ist ja ohnehin Teufelszeug für dich.

    • Anonymität ist auch ein hohes Gut!
      Dies einem Troll gleichzusetzen ist unangemessen. Und nicht alle, die Dinge noch kritisch sehen können sind Meckerer.
      Der Rest grenzt an Aktersdiskriminierung. Unverschämt ist dies ohnehin.

  4. Beleidigend war der „Anonymus“ bisher noch nie, aber wohl andere Schreiber. Die Kommentarfunktion ist doch da, dass man seine Meinung sachlich frei äußern kann, oder nicht? Ich fände es auch schade, wenn es in den Innenstädten keine Einzelhändler mehr gibt. Ich kenne einige Menschen, die sich beim Einzelhändler das Gewünschte anschauen und anprobieren und dann online nach günstigen Angeboten suchen. Diese Schmarotzer gibt es auch!

  5. Die Dosis macht das Gift.
    Leere Städte kaum vorstellbar. In vielen Dörfern bereits Realität.
    Dennoch ist online oft die letzte Lösung.
    Aber nicht bei Amazon.
    Schlechte Arbeitsbedingungen, keine Gewerkschaften, großes Verkehrsaufkommen ( allein die Retouren!).
    Und Datenschutz kennen die auch nicht. Gibt aber auch keine Behörde, die sich darum kümmert.
    Es gibt aber auch andere, die online und vor Ort anbieten.
    Die Dosis macht das Gift.

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