Schlussverkauf nach 100 Jahren

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Ein gutes Jahrhundert lang haben die Michenfelders in Zeutern ganze Familien mit Kleidung und Schuhen ausgestattet. Bald ist damit für immer Schluss

von Stephan Gilliar

Das Modehaus Michenfelder in Zeutern ist eine jener Adressen, die ich zwar am Rande meines Sichtfeldes immer wieder flüchtig wahrgenommen habe, aber dennoch nie so wirklich auf dem Schirm hatte. Genau wie bei Oma Schorles Kaufhaus in Odenheim ärgere ich mich im Nachhinein über diese Nachlässigkeit. Denn hätte ich das Modehaus schon früher gekannt, so wären viele Erledigungen – beispielsweise der jährliche Einkauf von Winterstiefeln für den Nachwuchs – deutlich entspannter und ohne große Fahrerei nach Karlsruhe oder Heidelberg ausgefallen.

Zum 50. Jubiläum wurde bereits gefeiert (Bild: Privat)

Das Mode- und Schuhgeschäft im kleinen Zeutern ist ohnehin etwas Außergewöhnliches, vor dem es den Hut zu ziehen gilt. Schließlich ist es alles andere als selbstverständlich, sich auf dem Land mit einem Modegeschäft erfolgreich über Wasser zu halten, eingedenk der erdrückenden Konkurrenz der großen Ketten und natürlich dem Online-Handel. Das Erfolgsrezept der Michenfelders ist dabei eine Mischung aus Tradition, einer sehr treuen Kundschaft und viel Service und Beratung. Eben all die Eigenschaften, bei denen sich gesichtslose Filialisten und der noch gesichtslosere Online-Handel vergleichsweise schwer tun. Der Preis ist eben doch nicht alles, zumindest nicht um jeden Preis.

Wer das Modehaus Michenfelder in der Kapellenstraße betritt, der staunt als Neuling gleich zweimal. Zum einen überrascht die Größe der Verkaufsfläche hinter der gläsernen Fassade, die sich gleich über mehrere Stockwerke erstreckt. Zum anderen überrascht das heutzutage nicht mehr selbstverständliche Auftreten eines Verkäufers oder einer Verkäuferin zur Begrüßung, die oder der gleich auf alle Fragen und Wünsche eingeht. Das Sortiment deckt im Grunde die ganze Familie ab. Angefangen von der Abteilung für Kinderschuhe gibt es hier auch Kleidung für Männlein und Weiblein, egal ob jung oder alt. Der Teenie kommt hier genauso auf seine Kosten wie der Opa und die Oma.

Unglaubliche 100 Jahre gibt es diese Institution mittlerweile in Zeutern, angefangen hat aber alles – wie so oft – ganz im Kleinen. Gegründet wurde das einstige Schuhgeschäft, später mit angeschlossener Schuhfabrik, anno 1922 von Fridolin Michenfelder. Nach den schweren Jahren des Krieges, an deren Ende der kleine Laden fast vollständig geplündert war, wagten Fridolin und sein Sohn Josef, nach dessen Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, den Neubeginn. 1966 wurde der kleine Laden das erste Mal erweitert, immerhin satte 90 Quadratmeter kamen an Verkaufsfläche dazu. Aus dem ganzen Umkreis strömte die Kundschaft schon damals nach Zeutern, um hier Kleidung und Schuhe einzukaufen.

1971, ein Jahr vor dem 50-jährigen Jubiläum, wurde die Verkaufsfläche ein weiteres Mal vergrößert, dieses Mal um 70 Quadratmeter. Ein paar Jahre später, Ende der 70er Jahre, trat dann Josefs Sohn Reiner in den Betrieb ein. Nun wurde das Mode- und Schuhhaus Michenfelder bereits in dritter Generation geführt und immer noch florierte das Geschäft prächtig. Reiner wagte einige Jahre später 1992 den größten Schritt und investierte in großem Stil in die Zukunft des Ladens. Das alte Wohnhaus der Familie wurde abgerissen und der gewonnene Platz für eine Erweiterung des Geschäftes genutzt. Alles wurde neu erstellt, neu gebaut, neu eingerichtet – rund 450 Quadratmeter Verkaufsfläche standen am Ende zur Verfügung. Für die dörfliche Lage Zeuterns absolut außergewöhnlich.

Nicht nur mehrere Generationen von Michenfelders standen seither hinter dem Ladentisch, auch die Kundschaft kommt seit Generationen hier einkaufen. Hier findet die Oma heute noch ihren Pullover, so wie sie damals das erste Kleid für sich selbst, das eigene Kind oder später die eigenen Enkel gefunden hat.

Ja, das kleine große Modehaus gehört zu Zeutern und das bereits seit über einem Jahrhundert. Nun möchte man hoffen, dass es immer so weitergehen möge, dass noch weitere Generationen in Zeutern hier mit Kleidung und Schuhen ausstaffiert werden können.. doch dieser Wunsch wird sich nicht erfüllen.

In wenigen Monaten wird Reiner Michenfelder das Geschäft schließen, die Gründe dafür sind vielseitig: Die veränderten Bedingungen auf dem Markt, die ausufernde Bürokratie und nicht zuletzt das eigene Alter – schließlich hat Reiner schon seinen 67. Geburtstag gefeiert. So läuft derzeit der letzte Schlussverkauf im Modehaus Michenfelder, 25% gibt es auf alles, sogar auf Sonderangebote. Wann genau der letzte Vorhang fällt, das weiß Reiner noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Wahrscheinlich ist aber bis zum Jahreswechsel Schluss mit Schlussverkauf.

Dann gehen im Modehaus Michenfelder die Lichter aus, das erste Mal seit über 100 Jahren. Ein bisschen wehmütig ist Reiner schon, langweilig wird es ihm aber bestimmt nicht werden. Er hat Freunde, Hobbys und nicht zuletzt seinen großen Garten, in dem er gerne viel Zeit mit seiner Frau Andrea verbringt.

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