Auch bucklige Hexen müssen manchmal gerade stehen können
Liebe Bobrigga Hexen,
Zwei Jahre sind mittlerweile vergangen seit jenem schicksalshaften Abend, der nicht nur das Leben der heute 20 Jahre alten Janine nachhaltig verändert, Eppingen den Nachtumzug gekostet, sondern mit Sicherheit auch jeden einzelnen von euch geprägt hat. War Fasching für euch vorher pure Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, dürfte er seither unweigerlich auch mit negativen Gefühlen besetzt sein. Ich hoffe um euretwillen dass unter diesen Gefühlen auch eine gute Portion Scham zu finden ist. Vielleicht verbirgt er sich bei manchen von euch unter Trotz, Unverständnis und einer ganzen Heerschar des immer gleichen Wortes “Aber”, doch sicher spürt Ihr diese Scham irgendwo in Euch.
Wie könnte es auch anders sein, wo doch eine junge Frau durch euer Handeln Schmerzen, Demütigungen und Wunden erdulden musste. Die Qualen müssen in der Tat schrecklich gewesen sein. Habt ihr euch schon mal beim Kochen heißes Wasser über die Hand gegossen? Es sind garstige Schmerzen, die auch noch lange nach der eigentlichen Verbrennung anhalten….wenn die Haut Blasen wirft und am Ende nur vernarbtes Gewebe zurückbleibt.. Man stelle sich vor, wie sich es anfühlen möge, nicht nur für Sekundenbruchteile heißes Wasser über die Hand fließen zu lassen, sondern mit beiden Beinen in einem Kessel siedenden Wassers zu stehen…
Nicht dafür….
Doch es sind nicht die Vorfälle dieses verhängnisvollen Februar-Abends, die euch die Schamesröte ins Gesicht treiben sollten…. Ich selbst war viele Male als Kameramann mittendrin im Geschehen des Eppinger Nachtumzuges. Ich weiß wie wild, laut und chaotisch die Menschenmassen in dieser kakophonisch-grellen Übersteuerung auf alle Sinne wirken können. In dieser zügellosen Ausgelassenheit habt ihr Janine hochgehoben und über euren Kessel gehalten. Dabei ist sie euch entglitten und mit den Beinen ins heiße Wasser geraten. Ich bin sicher, ihr habt das nicht absichtlich getan, ja vielleicht habt ihr es noch nicht einmal wirklich realisiert und zur Kenntnis genommen, hinter euren dicken Masken mit dem beengten Sehfeld.
Ich kann es mir zwar nicht wirklich vorstellen, da die Schmerzensschreie von Janine in ihrer Intensität alles übertönt haben müssen. Dennoch war es am Ende erstmal nur ein Fehler…. ein Fehler der überall dort passieren kann wo viele Menschen aufeinander treffen. Es war ein dummer Fehler, eine himmelschreiende Fahrlässigkeit, die so viel Leid und Ärger verursacht hat und dabei so einfach zu vermeiden gewesen wäre. Einen Kessel mit kochendem Wasser durch eine Menschenmenge zu schieben, darunter viele alkoholisierte Teilnehmer und sogar Kinder, ist nach jeder möglichen Definition eine veritable Scheiß-Idee.
Doch genug davon, denn all das wurde schon zur Genüge diskutiert. Es ist nicht dieser Fehler der euch die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte, sondern euer eisiges Schweigen, das auch zwei Jahre später immer noch wie eine geschlossene Mauer um euch herum steht. Am Anfang habe ich euch verstanden, inmitten des Getöses und der sabbernden Lefzen des wütenden Mobs im Netz und auf der Straße… Wer würde schon gesunden Menschenverstandes die Hand heben, wenn der Pöbel mit Heugabeln und Fackeln, nach Blust dürstend durch die Gassen zieht. Mittlerweile ist es aber leise geworden im digitalen Land der reflexhaften und schwarmblinden Maßlosigkeit….doch Ihr? Schweigt immer noch! Versteckt euch hinter der Anonymität der Gruppe und eurer Masken – Freunde, das ist nicht in Ordnung.
Es steht doch allem Anschein nach außer Frage, dass einer von euch das Mädchen hochgehoben hat und es versehentlich entgleiten lies… Wer das war, ist am Ende unerheblich, ihr gemeinsam solltet für die Geschehnisse dieses Abends gerade stehen. Ihr gemeinsam habt beschlossen kochend heißes Wasser durch eine Schar von mehreren tausend Menschen zu ziehen….doch bis heute sehen wir kein Bedauern, kein Bereuen und keinen Versuch das wieder gerade zu rücken, was an jenem Abend in Schieflage geraten ist.
Als vor wenigen Tagen das Affenhaus in Krefeld wegen des Fehlers einiger Frauen niederbrannte und alle Tiere ums Leben kamen, musste ich gleich an euch denken, liebe Hexen. Auch diesen Frauen war, ohne dass sie es gewollt oder beabsichtigt hatten, ein schlimmer Fehler unterlaufen. Im Gegensatz zu euch haben sich diese Frauen aber dafür entschieden sich bei der Polizei zu melden und erhobenen Kopfes für ihre Fehler gerade zu stehen. Dafür gebührt ihnen, trotz der schrecklichen Konsequenzen, unser aller Hochachtung. Genau das zählt, darum geht es. Fehler machen wir alle, auch die besten von uns. Das ist menschlich und kann ausnahmslos jedem einzelnen von uns passieren. Was uns aber zu denkenden und fühlenden Wesen erhebt, ist die Fähigkeit für diese Fehler einzustehen.
Schon der gute alte Konfuzius hat vor Jahrhunderten weise festgestellt: Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten. Den ersten Fehler könnt ihr nicht mehr gerade rücken, liebe Hexen, so sehr ihr das auch wollt…. Euren zweiten Fehler aus der Welt zu schaffen – dafür jedoch ist es noch nicht zu spät. Ich glaube an euch.
Euer Stephan
Herausgeber Hügelhelden.de