“Nur woanders ist es schöner”

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Wer sich hierzulande in einer Diktatur wähnt verhöhnt all jene, die wirklich in einer solchen leben

Zu Besuch im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen

von Stephan Gilliar

Lang hallen die Schritte von Andreas Mehlstäubls schweren Stiefeln durch die leeren Korridore des “U-Boots” in den tiefen Eingeweiden der Berliner Genslerstraße 66. “U-Boot”, so nannten die armen Seelen die dunklen und fensterlosen Kellerräume, die sie selbst zwischen 1946 und 1947 im Keller einer ehemaligen Großküche errichten mussten. 60 dunkle und enge Zellen, in denen der sowjetische Geheimdienst seine Gefangenen eingekerkerte, quälte und folterte. Mehrere Insassen mussten sich die steinernen Verschläge teilen, auf nackten Holzpritschen schlafen, ihre Notdurft in einen Kübel verrichten. Ihr Alltag bestand aus psychischer und physischer Tortur, geprägt von Härte, Demütigung und Unmenschlichkeit.

Das „U-Boot“

1951 – zwei Jahre nach Staatsgründung – übernahm das Ministerium der Staatssicherheit der noch jungen DDR die Anlage und betrieb sie als zentrales Untersuchungsgefängnis weiter. Nachdem in den späten 50er Jahren eine neue Haftanstalt um die ehemalige Suppenküche entstanden war, wurde das “U-Boot” schließlich stillgelegt, nur noch als Lager genutzt. Die neu entstandenen Zellen wirken zwar im Vergleich zu den feuchten Verliesen des “U-Boots” regelrecht freundlich und hell, doch hier darf man sich keiner Illusion hingeben, erzählt Andreas Mehlstäubl. Zwar nahm das MfS von physischer Folter zu Beginn der 60er Jahre Abstand, perfektionierte aber stattdessen die psychologische Folter, die völlige Zermürbung der Inhaftierten. Ruhig und pointiert erzählt der ehrenamtliche Führer in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen von den perfiden Methoden der Stasi-Psychologen und Verhörspezialisten. Er erzählt von Schlafentzug, von Isolation, von zeitlicher und räumlicher Deprivation, von stundenlangen Verhören, Verschleppung, willkürlicher Rechtsauslegung unter Vorenthaltung jeglicher Gründe für die Inhaftierung.

Eine Zelle des „U-Boots“

Andreas Mehlstäubl weiß wovon er spricht, war er doch selbst Gefangener des Ministeriums für Staatssicherheit in den späten Achtzigern. Als junger Mann beschloss er den Repressalien des Systems zu entfliehen und wagte den illegalen Grenzübertritt an der bayerisch-tschechischen Grenze. Das Unterfangen scheiterte, Andreas wurde festgenommen und nach Wochen des bangen Wartens mit einem Flugzeug zurück in die DDR gebracht, wo er schließlich in Hohenschönhausen inhaftiert wurde. Hier durchlebte er Wochen und Monate der Demütigung und des systematischen Bruchs von Willen und Wesen. Während seiner gesamten Haftdauer war Andreas vollständig von der Welt und anderen Menschen isoliert. Es gab keine Uhren, kaum Anhaltspunkte über Tages- oder Jahreszeit, keinen Kontakt zu anderen Gefangenen. Während des kurzen Transits von der Zelle zum Verhörraum, regelte ein Ampelsystem die Abschottung zu anderen Häftlingen – die Wärter nur stumme und gesichtslose Schemen.

Durch perfide, psychologische Taktiken sorgten die Verhörer für die einzige menschliche Bindung, erzeugten künstliches Vertrauen und schufen bewusst das psychische Phänomen des Stockholm-Syndroms – das Entwickeln von Zuneigung zum eigenen Peiniger. Die Tage waren geprägt von endlosen Verhören und starrem Sitzen auf dem kleinen Hocker in der eigenen Zelle, die Nächte von unruhigem Schlaf und ständigem Wecken durch die Wachen, wenn man die vorgegebene Schlafposition verließ.

“Wieviel psychische Gesundheit angesichts einer solchen Tortur nach ein paar Wochen noch übrig ist” wollen wir von Andreas wissen? “Keine” sagt er knapp, ohne etwas hinzuzufügen oder zu relativieren. Es war immer die Aussicht auf einen besseren Ort, die einzig zum durchhalten motivierte, erzählt er und rutscht auf seinen Lederhosen über die Oberfläche der Nachbildung eines Verhörtisches. “Besser, aber nicht schön” ergänzt er, schließlich galt in der Trostlosigkeit und der Verzweiflung innerhalb von Hohenschönhausen schon eine Verlegung in die Haftanstalt nach Potsdam als Verbesserung. “Nur woanders ist es schöner”, die vage Hoffnung an die sich die Gefangenen der Stasi klammerten.

“Warum er als Führer an diesem Ort zurückgekehrt ist, an dem er so viel durchleiden musste” fragen wir ihn? “Weil es einer tun muss” erklärt Andreas. Für viele Menschen waren die DDR und die Stasi mit dem Mauerfall Geschichte, abgehakt nach einem waschechten Happy End, das alljährlich in der kollektiven Feelgood-Dynamik zum neunten November mündet. Für Andreas ist die Art und Weise wie alles endete kein Grund zum Feiern. Selbstredend freut er sich über den Zusammenbruch jenes Landes, das so viel Leid und Zwietracht unter den Menschen gesät hat, nicht aber über das Schicksal seiner Täter. Schließlich gab es keine ernstzunehmende, großflächige Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen. Die unzähligen Mitarbeiter des MfS starteten mit prall gefüllten Taschen und weißen Westen in der Bundesrepublik neu durch, besetzen hier zu Tausenden mitunter hochdotierte Posten auch im öffentlichen Dienst. Geradezu ein Hohn und ein Schlag ins Gesicht ihrer Opfer, die noch heute unter den psychischen Folgen ihrer Gefangenschaft zu leiden haben.

„Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ – ein Zitat des amerikanischen Philosophen George Santayana, zu lesen auf einer unscheinbaren Plakette in der Berliner U-Bahn Station am Gesundbrunnen, nur einen Katzensprung von der ehemaligen Mauerlinie entfernt. Man würde sich wünschen, die Menschen würden es sich mehr zu Herzen nehmen. Vor allem all jene, die dieser Tage wieder über die Straßen ziehen und allen Ernstes behaupten, in einer Diktatur zu leben – dies im Brustton der Überzeugung aus vollem Halse skandieren.

Nein, wir leben in keiner Diktatur. Die Menschen in der DDR lebten in einer Diktatur. Eine Diktatur in der jeder Andersdenkende als Schädling der Gesellschaft auf Nimmerwiedersehen einfach verschwinden konnte, hinter den schweren Mauern von Hohenschönhausen.

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1 Gedanke zu „“Nur woanders ist es schöner”“

  1. Tja, natürlich leben wir im besten Deutschland aller Zeiten, im dem das Volk NIX zu sagen hat !!! Alle 4 Jahre sein Kreuzle irgendwo machen, das nennt sich Demokratie. Wo Korruption von Politiker nicht strafbar ist. Und wo Staats-anwälte nach Weisungen ihrer Vorgesezten (Justizminister) handeln (§§ 146 und 147 Gerichtsverfassungsgesetz). Deshalb gab es gegen Frau von der Leyen nur einen Untersuchungsausschuß und keine Konzequenzen obwohl sie Millionen vor Steuergeldern an die Beraterfirma McKinsey zahlen liess. Dafür bekam sohn David einen Top Job bei den Amis. Ein Schelm wer Böses denkt.

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