Auf alle Fälle in die Zelle

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Ein Liebeslied auf die Telefonzelle und die große Freiheit der Nichterreichbarkeit

Eine Kolumne von Thomas Gerstner

Aufgemerkt, ihr kleinen TokTik-Instabook-Smombies, now the old Sack has a mol a Ansage an Euch. Ihr glaubt mit euren permanent dudelnden Kästchen, die ständig Erinnerungen, Benachrichtigungen, push messages und wie der ganze Scheiß sonst noch heißt ausstoßen, wäret ihr der großen Freiheit ein Stück näher gekommen? Au contraire, das Gegenteil ist der Fall. Ständig erreichbar sein, ständig greifbar sein, der Stoff aus dem mein persönlicher Horrorfilm gestrickt ist. Klar, ihr könntet den kleinen Kack-Kasten einfach mal abschalten, aber wer macht das schon, man könnte ja verpassen wie die beste Freundin ein Bild ihres Frühstücks postet oder irgendein 21-jähriger Loser sich selbst beim Videospielen filmt… Zudem erwarten eure Eltern, eure Freunde, euer Ausbilder und euer Chef, dass ihr ständig greifbar seid…. das tut mir aufrichtig leid für euch, ich kann hier nur zur bedingungslosen Revolution raten, denn diese Welt war nicht schon immer so.

Denn höret, ihr Ongelinten, was sich dereinst – in des Tommys prachtvoller Jugend begab. Wenn wir damals nicht gerade in Hörreichweite des giftgrünen Wählscheibentelefons mit erbarmungslos klickendem Einheitenzähler saßen, waren wir schlicht nicht erreichbar – wir waren die Mutter aller Offgelinten, wären in eurer Wahrnehmung schlicht nicht existent gewesen. Das war noch echte Freiheit. Wir konnten hinausgehen in die Welt, konnten spielen, Blödsinn machen und waren für nichts und niemanden greifbar, es sei denn wir wollten es so. Unsere Eltern haben uns zwar grobe Rückkehr-Fenster z.b. fürs Abendessen definiert, vom Zeitpunkt des Verlassens der heimischen Bude bis zur Rückkehr, stand aber die Welt zu unserer Verfügung.

Ach ja, Telekommunikation in den Achtzigern war irgendwie eine feine Sache. Minimalistisch und aufs absolut Notwendige reduziert. Hättest Du damals einen Rundruf gestartet nur um deinem Freundeskreis mitzuteilen, was für ein leckeres Frühstück du heute in der Stadt hattest, wärest du sozial geächtet und als Irrer abgestempelt worden, “Likes” hätte es dafür nicht gegeben. Schon gar nicht von deinen werten Erziehungsberechtigten, denn schließlich kostete Telefonieren echtes Geld. Abends war es zwar etwas günstiger, doch trotzdem rauschten die Pfennige beim Plaudern rasend schnell ins Nirvana. Im Ortsnetz hatten wir bis 1980 sogar die Urgroßmutter eurer heutigen Flatrates, für 20 Pfennige konnte man quasseln bis der Arzt kommt. Dann führte die Post, ja richtig, damals war fürs Telefonieren noch die Post zuständig, aber den Acht-Minuten-Tarif ein, von da an war Essig mit Laber-Rhabarber… Meine Oma hatte sogar so eine kleine Sanduhr neben ihrem Brokat-umhüllten Apparat, damit sie bloß nicht im Anschluss noch mal 30 Pfennige berappen musste.

Wobei, so ganz ehrlich war ich nicht mit euch. Es gab durchaus Möglichkeiten, auch da draußen im “Reallife” mit der großen Welt in Verbindung zu treten. Die Smartphones meiner Jugend waren erst eckig, später rund, schön gelb und hatten an drei Seiten Panorama-Glasfenster. Telefonzellen waren magische Orte. Schon beim Öffnen der Tür, wenn dich diese Mélange aus Pisse und kalten Kippen empfing, ging dir einfach das Herz auf. Um dich herum unzählige, mit Edding an die Wand gekritzelte Sex-Angebote, WG-Inserate und brandaktuelle Infos, wer alles ein blöder Wixxer ist. Unter dir in einem schweren grauen Hängeregister, Telefonbücher aus denen mehr Seiten herausgerissen als darin verblieben waren und in der Mitte der aus Kruppstahl gefertigte, atombombenfeste Münzfernsprecher mit einem zentimeterdicken Telefonkabel aus schwerem Gusseisen. Am Anfang steckte man noch Münzen in den Schlitz – Pfennige und D-Mark dereinst – später wurde dann auf die unsägliche Telefonkarte umgerüstet. Davon hatte jeder 12 Stück im Klettverschluss-Geldbeutel, man probierte sie der Reihe nach durch, nur um festzustellen, dass nirgendwo mehr Guthaben drauf ist. War die Verbindung aber erst einmal hergestellt, lehnte man sich behaglich an die mit Kaugummi-Resten verschmierten Glasscheibe, inhalierte diesen ganz besonderen Duft, den jedes Kind der 80er beim Lesen dieses Artikels sofort in der Nase hat und quasselte drauflos – zumindest bis das schrille Piepen in der Leitung das Ende der bezahlten Telefonzeit ankündigte. Ein Quadratmeter Privatsphäre mitten in der Stadt, wo findet man das heute schon noch?

Der Anfang vom Ende kam schon kurze Zeit später, die Beschneidung der telekommunikativen Freiheit nannte sich Telmi, Quix oder Scall. Liebe Kids, das könnt ihr euch wie einen ersten, sehr, sehr armseligen Versuch eines Smartphones vorstellen. Telefonieren konnte man damit zwar nicht, aber die meisten von euch telefonieren ja auch niemals mit ihren Smartphones. Die kleinen Kästen, ich hatte die als Armbanduhr getarnte Scall-Variante, waren kleine Funkempfänger – oder anders gesagt: Pager. Ein total ungeiles System, dass sich völlig zu Recht nicht durchgesetzt hat. Hatte man so einen kleinen Kasten, war man über eine Telefonnummer (01681…) innerhalb eines Radius von 25 Kilometern für den Rest der Welt erreichbar. Wer dich erreichen wollte, wählte einfach eine Rufnummer, berappte 1,40 Mark und schon spuckte dein Pager die Nummer des Anrufers aus, die du dann von einer Telefonzelle aus zurückrufen konntest…. oder eben nicht. Je nachdem, ob du Bock hattest, Münzen in der Tasche oder Guthaben auf deiner verfickten Telefonkarte… Geil, oder?

Mit meinem ersten richtigen Handy will ich gar nicht erst anfangen, Geschichten von Verbindungspreisen von rund 1 € pro Minute, würden euch nur beunruhigen. Auch wenn all das aus eurer Sicht tiefste Steinzeit war, vermisse ich doch manchmal die alten Tage der mäßigen bis überhaupt nicht vorhandenen Erreichbarkeit. Wenn du nicht zu Hause warst, gab es Dich für die Welt einfach nicht. Du warst nicht greifbar, nicht erreichbar, das war noch echte Freiheit. Ich hoffe von Herzen für euch, liebe digitals natives, dass ihr euch einen Teil davon wieder zurück erobern könnt.

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