Manchmal muss man einfach Nein sagen

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Nachdem er jahrelang bis zur Erschöpfung durchgearbeitet hat, zog der Unteröwisheimer Gastronom Felix Strohäcker einen ganzen Winter lang die Notbremse und hat in dieser Zeit viel über das Leben und sich selbst gelernt.

Allmählich drängt das Leben zurück in den Friedrichsplatz Nummer 14. Während ich mit Felix bei einer guten Tasse Kaffee im noch verwaisten Gastraum sitze, klingelt unablässig das Telefon oder die Haustürglocke. Der Postbote bringt frische Kaffeebohnen aus Italien, der Händler vom Großmarkt zwei Paletten frische Kühlware und eine Freundin der Familie steht schon samt Kinderwagen bereit, um die neue Speisekarte für die kommende Saison zu gestalten. In wenigen Tagen, am 2. März öffnet „D’Alessandro“ wieder – eine Mischung aus Pizzeria und Eiscafe mitten im Herzen von Unteröwisheim.

Was eine Saison ist, das weiß Felix im Grunde gar nicht mehr genau, denn bislang verschwimmen die Jahreszeiten in einem endlosen Meer aus Arbeit und Geschäftigkeit. Während im Sommer natürlich der Fokus auf dem Eiscafe liegt, ist dann im Winter die Pizzeria proppenvoll – an fehlender Nachfrage mangelt es jedenfalls nicht. Seit Felix denken kann, ist er in der Gastronomie zu Hause, wollte auch nie etwas anderes. “Schon im Kindergarten habe ich immer den Koch gespielt“, erzählt er lachend und seine Timm-und-Struppi-Haartolle wippt dabei fröhlich. Los ging für ihn alles bereits als Teenager, als er in seinem Heimatort Gochsheim bei Dino und seinem Bruder Mario D’Alessandro zu jobben begann. Abspülen, servieren, Pizza backen.. na ja, alles, was eben dazugehört, von der Pike auf gelernt.

So kam es dass in Felix nicht nur die Gewissheit heran wuchs, “Ich möchte Koch werden”, sondern auch ein immer stärkeres Gefühl der Verbundenheit zur Familie D’Alessandro, die heute für echte italienische Pizza und Eis nicht nur zweimal in Kraichtal sondern auch in Heidelsheim steht. Als Felix und Marios Tochter Serena sich bei der Arbeit in der Küche allmählich näher kommen, wird aus dem Gefühl der Verbundenheit dann sogar eine echte Familienmitgliedschaft. Heute sind die beiden verheiratet und haben mit dem kleinen Giuliano einen gemeinsamen Sohn, sozusagen als deutsch/italienische Koproduktion.

Direkt nach seiner Ausbildung zum Koch bei Schnitzellegende Thomas in der Gochsheimer Stadtschänke machte sich Felix schon mit jungen Jahren selbstständig. Jeder Gastronom kann ein Lied davon singen – diese Art von Arbeit ist im Grunde nicht nur einer, sondern mehrere Fulltime-Jobs. Einkaufen, Kochen, Servieren, Putzen, Buchhaltung… all das ist in einem normalen 8 Stunden Tag nicht unterzubringen. Früh aufstehen, spät ins Bett, sieben Tage die Woche… etwas anderes kannte Felix gar nicht. Noch grün hinter den Ohren und gerade mal 18 Jahre auf dem jungen Buckel marschierte er dann in Unteröwisheim zum örtlichen Gesangsverein und fragte nach einem Pachtvertrag für deren Sängerheim. Der Verein vertraute in ihn, sagte zu und Felix Eltern übernahmen trotz des Risikos eine Bürgschaft für die Investition ihres Sohnes in sein erstes Restaurant. Das Vertrauen und Geld in Felix gut investiert waren, zeigte sich schon nach wenigen Wochen. Der saalartige, riesige Raum war an jedem Tag der Woche vollständig ausgebucht, das Außer-Haus-Geschäft funktionierte zudem prächtig. So stand Felix von früh bis spät in seinem Sänger heim, musste am Anfang um über die Runden zu kommen früh morgens noch in einer Kantine aushelfen. Man kann sich leicht vorstellen, wie viel Zeit außerhalb des Restaurants für Persönliches, für Privates blieb.

Einige Jahre später, Felix und Serena hatten zwischenzeitlich geheiratet, kam die Frage innerhalb der Familie auf, wie es mit dem Eiscafe D’Alessandro weitergehen würde, wenn die Schwiegerleute Mario und Michelina irgendwann kürzer treten würden. Nach langem Zögern und Abwägen beschloss Felix, die Betriebe zusammenzulegen und fortan im zur Pizzeria erweiterten Eiscafe zu arbeiten. Räumlich war das keine große Umstellung – beide Restaurants liegen sich in Unteröwisheim genau gegenüber – mental aber durchaus. Schließlich funktionierte das Sängerheim hervorragend, stand für Felix Unternehmertum und nicht zuletzt seine Unabhängigkeit. “Das war mein Baby” erzählt er etwas melancholisch. Kurze Zeit später bekam er aber ein neues Baby, dieses Mal ein echtes aus Fleisch und Blut, seinen Sohn Giuliano. Durch die Synergien im Familienbetrieb hatte Felix das erste Mal in seinem Leben sogar Zeit übrig, um sie mit der Familie zu verbringen, das weiß er bis heute mehr als zu schätzen.

Doch die Zeiten wurden schwieriger, spätestens als die Pandemie keinen regulären Betrieb der Gastronomie mehr zuließ. Man ruderte, man kämpfte, doch es wurde nie wieder so wie vor COVID. Das größte Problem: Fehlendes Personal. Wie verhext fand sich kaum noch jemand, der im Service arbeiten wollte. Das ist zwar einerseits verständlich, weil die Arbeit weder sonderlich üppig bezahlt wird, noch die Zeiten entsprechend attraktiv sind, doch der “Cut” durch Corona war trotzdem ohne gleichen. So mussten Felix und das verbleibende Team alles, aber auch alles auffangen, was durch die ausgedünnte Personaldecke liegen blieb. Durcharbeiten war das Gebot der Stunde, monatelang, zwischenzeitlich sogar jahrelang.

Mario ist an jedem heißen Sommertag in seinem Eiswagen unterwegs

Auch wenn der Körper in jungen Jahren vieles verzeihen mag, im Geiste wurde Felix immer erschöpfter, immer müder. Bis an den Punkt, an dem einfach nichts mehr ging und Felix die Gewissheit kam, “wir können so nicht weitermachen”. Also beschlossen er und seine Familie einen harten Schnitt zu setzen und in der Wintersaison das Geschäft komplett zu schließen. Keine reduzierten Öffnungszeiten, keine ausgedehnte Karte, kein Außer-Haus-Verkauf, sondern der komplette Shutdown auf Null. Einfach fiel Felix diese Entscheidung aber nicht, Sorgen und Schuldgefühle begleiteten den Prozess noch eine ganze Weile. “Man fragt sich, ob die Kunden das mitmachen, ob sie wiederkommen, ob man wieder Personal findet, nach einer so langen Auszeit wieder an die Zeit zuvor anknüpfen kann” beschreibt ihr jene Gedanken, die ihm lange durch den Kopf spukten, ihn manchmal nachts wach hielten. Doch irgendwann merkte Felix, es geht, es ist machbar. Plötzlich war wieder Zeit für Spaziergänge mit Serena, für Spieleinheiten mit seinem Sohn, für Privates und für Freunde. Felix verbrachte viel Zeit zuhause, werkelte, backte in seinem kleinen Backhaus im Garten Brote, Pizzen, Kuchen und mehr.

Komplett in die Entspannung fand er aber nicht, einfach nur auf dem Hintern sitzen und ein Buch lesen, dafür floss nach all den Jahren der hektischen Betriebsamkeit noch zu viel Strom durch die Adern. “Das habe ich bis zum Ende meiner Auszeit nicht ganz geschafft, aber ich muss doch sagen – die Akkus sind wieder geladen“, resümiert Felix seine Auszeit. Dem Neustart in wenigen Tagen sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits freut er sich unendlich auf die Arbeit in der Küche und den Kontakt mit den Gästen, doch eine Sorge ist geblieben, eine Sorge die ihn schon seit Jahren begleitet: Das Personal. Da es unermesslich schwierig geworden ist, verlässliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, weiß Felix noch nicht, wie der Betrieb am Ende laufen wird. Zwar gibt es eine Handvoll loyaler Teammitglieder, doch Nachwuchs wird dringend, sehr dringend sogar gebraucht. “Ich war schon soweit, unser Konzept auf Selbstbedienung umzustellen, aber das bringe ich einfach nicht übers Herz, das ist nicht die Art und Weise, wie ich hier arbeiten möchte“, seufzt er und zeigt mir einen Wagen, auf dem die Kunden selbst ihr Geschirr abgestellt hätten. “Ich hab mir dieses Ding wochenlang angeschaut und irgendwann beschlossen, dass ich das nicht haben möchte“, sagt er und gibt sich kämpferisch: „Das muss auch so klappen.“

Seine Auszeit bereut er in jedem Fall nicht, kann jedem dazu raten, sich selbst auch einmal aus dem Spiel herauszunehmen und wenn es nur ein paar Wochen sind. “Um den Kopf frei zu bekommen und eine andere Perspektive zu bekommen” und stellt fest – auch um sich selbst daran zu erinnern – “Manchmal muss man einfach Nein sagen”.

Es ist eine mutige Entscheidung, ein zutiefst respektabler Akt des Willens, sich gegen den allgegenwärtigen Leistungsdruck der Gesellschaft zu stemmen und den Stecker trotz aller Widerstände zu ziehen. Man kann daher nur hoffen, dass Felix vom Leben für diese Entscheidung nicht abgestraft wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Kundschaft am 2. März wieder in alter Stärke zurückkehrt und einem der letzten Gastronomen in Unteröwisheim weiterhin die Treue hält.

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5 Gedanken zu „Manchmal muss man einfach Nein sagen“

  1. Lieber Felix, ein sehr beeindruckender Artikel, der zum Nachdenken zwingt. Schön, dass ihr etwas zur Ruhe gekommen seid, um so schöner, dass es mit dem Eiscafé/Pizzeria Italia wieder weiter geht. Wir wünschen dir, deiner Familie und deiner „Crew“ einen guten Start in die neue Saison, viel Erfolg und haufenweise Gäste. Wir freuen uns auf euch: Adel und Dieter Kimmich🍨🍕

  2. Ich freue mich sehr,endlich wieder etwas von Felix zu hören. Mein Mann und ich waren sehr oft als Gäste im Sängerheim.Sogar die Weihnachtsfeier von seinem Verein wurde da immer abgehalten.Jeder war immer zufrieden. Wir fanden es alle sehr schade,als Felix im Sängerheim aufhörte.Lieber Felix ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute für die neue Saison. Ich werde auf jeden Fall mal wieder einen schwäbischen Maultaschensalat bei dir essen.Mit freundlichen Grüßen Trudel K.

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