Nach Jugendlichen und Urlaubern, sorgt nun eine neue, teuflische Randgruppe für reichlich Unmut
Eine Kolumne von Thomas Gerstner
Kinners, ein harmloser Schneespaziergang kann übelst ins Auge gehen, das weiß niemand besser als euer alter Tommy. Als ich mich einst bei Nacht und Nebel zum hemmungslosen Vögeln vom Jungen- in den Mädchentrakt unseres schwarzwäldlichen Landschulheims schlich, vergaß ich blöderweise meine verräterischen Fußabdrücke im tiefen Neuschnee. Da ich leider als Einziger Doc Martens Stiefel trug, war die Identifikation des Übeltäters am nächsten Morgen nur reine Formsache. Naja, was solls, das Schäferstündchen mit meiner schwedischen Perle war Disziplinarausschuss und Schulkonferenz allemal wert.
Die disziplinarische Abstrafung des Tommy G. nimmt sich im Vergleich zu den Konsequenzen einer Schneewanderung im Winter 2020/21, aber nur als harmlose Randnotiz der Geschichte aus. Diese neue Super-Posse ist tatsächlich das Piemont-Kirschle auf der Sahnehaube der Corona-Gameshow “Deutschland sucht den Super-Schuldigen”. Wir erinnern uns an ihre ersten Episoden zu Beginn des Arschkarten-Jahres 2020. Im Frühjahr schimpften wir noch auf Jugendliche, die es wagten derart krasse Dinge zu zelebrieren, wie gemeinsame Gespräche im Park oder kollektives Musikhören auf dem Grillplatz. Danach machten wir Urlauber als jene Übeltäter aus, die unser aller Bemühungen die Curve zu flatten aktiv sabotierten. Differenzierung – Fehlanzeige. Du konntest alleine im Outbreak-Ganzkörperschutzanzug mit einem Zelt tief in menschenleere Wälder ziehen, gelabelt als “Urlauber” rangiertest du 2020 aber dennoch irgendwo zwischen Goebbels und Pol Pot.
Freunde, vergesst aber feiernde Jugendliche und urlaubende Urlauber…wir haben einen neuen Superschurken..Yes, Baby! Die Pole Position des ultimativen Bösen haben zum Jahreswechsel diabolische Familien eingenommen, die es wagen sich einfach so zum gemeinsamen Schneespaziergang in den Schwarzwald aufzumachen. In Scharen brachen sie nach den Weihnachtsfeiertagen auf, um das Virus von den schneebedeckten Gipfeln der baden-württembergischen Höhenzüge hinab ins Tal zu husten. Lasst euch von diesen Heuchlern nicht täuschen! Es ging ihnen nicht darum nach Wochen der Isolation, des Lockdowns, der Beschränkungen, der Perspektivlosigkeit und der Abgeschlagenheit ein paar schöne Minuten mit den Kindern an der frischen Luft zu verbringen… Nein, diese Menschen wollten von Niedertracht und Arglist getrieben, ihre Schneestiefel ins bis dahin so gut geschmierte Getriebe unserer kollektiven Solidaritätsmaschine werfen. Doch keine Sorge, meine aufrechten Mitbürger… Medien und Behörden haben diesen lernresistenten Antagonisten schnell den Wind aus den Segeln genommen. Straßen wurden gesperrt, Zufahrten verweigert, Bußgelder verhängt und jede Menge larmoyante Appelle formuliert. Zurecht, schließlich sind Spaziergänge an der frischen Luft Pandemie-Treiber Nummer Eins!
Auch im Netz wurde einmal wieder ordentlich ausgeteilt und alle waren Sie am Start: Der mutmaßliche Villen-Eigner, dessen Grundstücksgrenzen sich irgendwo am dunstig-nebeligen Horizont verlieren. Jener, welcher der Meinung ist, man könnte doch auch mal zu Hause bleiben, ereifert sich dort genauso wie der Schwarzwald-Anrainer, dem die Heerscharen ebenfalls nicht geheuer sind. Dass viele von diesen Menschen seit Wochen und Monaten mitunter in kleinen Wohnungen ohne Hof und Garten festsitzen, Kinder weitestgehend ohne soziale Kontakte auskommen müssen, Väter mit der Perspektive von beruflichen und finanziellen Einbußen vor Augen, interessiert dabei nur am Rande. Wie schon zu Beginn der Pandemie ist es gute alte Tradition geworden, immer einen Sündenbock, immer einen Schuldigen parat zu haben, an dem man sich reiben und ob dessen Verderbtheit, man sich selbst etwas besser fühlen kann.
Freunde, im ernst? Geht’s noch? Es gibt in diesen beschissenen Zeiten vieles über das man sich aufregen kann, spazierende Familien sollten nicht dazu gehören. Wir alle wünschen uns Normalität zurück und müssen uns dennoch weiter zusammenreißen um die Misere gemeinsam in den Griff zu bekommen. Gemeinsam – darauf kommt es letztlich an. Nur wenn wir zusammenhalten und uns an die notwendigen Maßgaben halten, können wir dieses Jammertal irgendwann im Laufe des Jahres wieder verlassen. Gegeneinander wird es mit Sicherheit noch länger dauern…darauf gebe ich Euch Brief und Siegel. Ein beständiges “Über das Ziel hinausschießen”, kollektive Hysterie und der Verlust jeden Maßes, treibt uns nur auseinander und fort von jeder Lösung.
Doch keine Sorge, liebe teuflische Familienausflügler, auch diese infernalische Sau ist sicher alsbald durchs Dorf getrieben – das Casting für den nächsten Endgegner läuft bereits. Heiße Chancen auf eure Nachfolge haben bislang Senioren, die in der Schlange vor der Apotheke zur Ausgabe der FFP2-Masken zu eng beieinander stehen. Doch jetzt entschuldigt mich, ich muss schon mal den Scheiterhaufen vorheizen.