“Jeder hat hier jemanden verloren”

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Ahrweiler ist eine einzige klaffende Wunde

Die Bruchsalerin Maria Dahm und ihre Freunde vom Stamm Greif helfen bei den Aufräumarbeiten in Bad Neuenahr-Ahrweiler und treffeb auf Bilder, auf die sie nicht vorbereitet waren

Zunächst war da ein gutes Gefühl. Das gute Gefühl, viele Menschen in der eigenen Heimat mit den Spendenaufrufen erreicht und motiviert zu haben über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Mit sechs großen Lieferwagen samt Anhängern, vollgepackt mit den Sachspenden aus dem Kraichgau, haben sich die Pfadfinder des Stammes “Greif” am frühen Samstagmorgen Richtung Katastrophengebiet in Rheinland-Pfalz aufgemacht. Mit dabei ist auch Maria Dahm, die seit Jahren auch zu uns Hügelhelden gehört. Sie und ihre Freunde haben den Notruf der Kameraden vom Stamm “Schwarzer Adler” aus Bad Neuenahr-Ahrweiler gehört und sind ihm ohne zu Zögern gefolgt. Die Lage sei verheerend, man benötige nicht nur Spenden, sondern auch tatkräftige Hilfe – Hände die mit anpacken.

Mit jeder Kurve der kleinen Landstraße, über die sich der Bruchsaler Trupp Bad Neuenahr-Ahrweiler nähert, steigt die Anspannung, verstummen die Stimmen in der Fahrerkabine des Sprinters. Sie haben die Schilderungen der Freunde am Telefon gehört, die Bilder in den Medien gesehen, doch auf die Wucht der unverstellten Realität, sind sie nicht vorbereitet. Das Wasser, das sich mit ungeheurer Gewalt seinen Weg durch den mehrere hundert Jahre alten Ortskern bahnte, hat die kleine Altstadt in eine einzige, klaffende Wunde verwandelt. Massiv gemauerte Steinwände wurden eingedrückt, Fahrzeuge in die Häuser geschoben, Straßen und Brücken einfach mitgerissen. Am meisten verfolgt Maria das Bild des verwüsteten Friedhofes, dessen Grabsteine sich noch in weiter Entfernung in Häusern und Garagen wiederfinden. Alles ist grau, mit schwerem Schlamm überzogen… die Szenerie wird gespenstisch, geradezu surreal.

Nachdem sie ihre Spenden abgeladen haben, steht für drei der Bruchsaler Pfadfinder, die sich mit ihren Arbeitsstellen entsprechend einigen konnten, schnell der Entschluss zu bleiben und zu helfen. Auch Marias Chef bei der Forstverwaltung setzt sofort alle Hebel in Bewegung um unbürokratisch Sonderurlaub für sie zu ermöglichen “Bleib dort und hilf, das ist jetzt erstmal wichtiger” hört sie ihn am Telefon sagen. Mit ihr bleiben Jaqua und Timo vor Ort um mit anzupacken und die Menschen nicht alleine zu lassen. Neben ihrem Hab und Gut haben viele hier Angehörige, Freunde und Bekannte verloren. Eine Grundschullehrerin erzählt, das mindestens sechs ihrer Schützlinge die Flut nicht überlebt haben. Immer wieder bergen die Rettungskräfte Leichen aus den ausgespülte Häusern, Menschen die vom Wasser überrascht wurden und in ihrem eigenen Zuhause ertranken. Insgesamt haben weit über 100 Menschen allein in Bad Neuenahr-Ahrweiler in der Flut ihr Leben verloren.

Es sind Schilderungen, die so grausam und traurig sind, dass der Mund trocken und die Finger taub werden. Die Naturgewalt, die in diesem Sommer 2021 über die Menschen in Bad Neuenahr-Ahrweiler und weit darüber hinaus hereingebrochen ist, lässt sich tatsächlich in Worten nur schwer abbilden. Maria, Jacqueline und Timo stehen mittendrin in diesem unwirklichen Szenario und können auch am dritten Tag noch nicht wirklich erfassen, was hier passiert ist. Sie packen an, sie arbeiten unermüdlich, bergen alles aus den zerstörten Häusern was zu bergen ist, karren tonnenweise Schlamm aus den Räumen, von den Gehsteigen, von den Straßen… am Abend fährt dann die Feuerwehr durch den Ort, erklärt manche der Häuser für unbewohnbar, versiegelt sie…

Beate in ihrer improvisierten Suppenküche

Doch es gibt auch Bilder der Hoffnung, Momente die den Glauben an die Menschlichkeit und die unsichtbaren Bande zwischen uns allen stärken. Von überall her sind Helfer gekommen, um selbstlos mit anzupacken, um sich die Hände für andere schmutzig zu machen. Ohne etwas dafür zu wollen, ohne zu murren, stehen sie alle schlammverkrustet in jenen Straßen, die einstmals der idyllische Ortskern von Ahrweiler waren, bergen die Überreste ganzer Existenzen, unterstützen wo sie nur können. Beate Krass und ihr Mann Josef sind zum Beispiel aus dem nur 10 Kilometer entfernten Königsfeld gekommen und verteilen seit Tagen Suppe und Kaffee für die Menschen. Auf einem auf die Straße gespülten Schränkchen schöpft Beate Kelle um Kelle aus ihrem Suppentopf um den Helfern und Anwohnern etwas Wärme und Stärkung zukommen zu lassen. So wie sie, gibt es viele Menschen, die ihre Kraft selbstlos in den Dienst anderer stellen.

Helfer aus Bruchsal in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Und…dann gibt es noch die Anderen… zwielichtige Gestalten, die sich die Gunst der Stunde zunutze machen um zu stehlen, das schutzlos ausgelieferte wenige Hab und Gut der Flutopfer zu plündern. Auch Hochwasser-Touristen machen den redlichen Menschen in Bad Neuenahr-Ahrweiler das Leben unnötig schwer, indem sie durch die Straßen flanieren, gaffen und die Not anderer in schnellen Schnappschüssen mit dem Smartphone festhalten. Wer an diesen Tagen ohnehin mit sauberen Klamotten durch die Stadt läuft, wird von den Menschen mit Argwohn betrachtet, schildert Maria die Reaktion der Ahrweiler auf diese unerwünschten Gäste.

Für die Helfer und Anwohner ist das Arbeiten neben der augenfälligen Notwendigkeit auch eine Art von Betäubung, stetige Beschäftigung für die Hände. Das wahre Ausmaß der Katastrophe wird jeden Tag etwas offensichtlicher, die Folgen sind dennoch nicht absehbar. Maria und ihre Kameraden sehen gestandene Männer weinen, sehen Menschen resigniert vor ihren zerstörten Häusern sitzen und ins Leere starren. Vor dieser Stadt und so vielen anderen im Katastrophengebiet auch, liegen noch lange Tage und Nächte… Doch die Frage was morgen sein wird, treibt hier niemanden um… gestern steckt noch zu sehr in den Knochen und heute ist noch lange nicht vorbei. Die Flaggen haben sie trotzdem gehisst, überall wehen Sie an den Häusern – oder dem was davon übrig geblieben ist. Das machen die Menschen hier normalerweise nur an Feiertagen, heute aber dennoch – als Dank an die Helfer und als unmissverständliches Zeichen für sich selbst und andere: Wir sind immer noch da!

Wenn Sie die Arbeit vor Ort unterstützen wollen – die Pfadfinder haben mit dem Betreff „Hochwasser“ ein Spendenkonto eingerichtet:

Förderkreis Stamm Greif
DE63 6639 1200 0000 6507 06
bei der Voba Bruchsal- Bretten

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2 Gedanken zu „“Jeder hat hier jemanden verloren”“

  1. Bereits am vorletzten Sonntag warnte der private Wetterdienst Kachelmannwetter vor einem kommenden Starkregen im Rheinland und der Eifel. Einen Tag später präzisierten sich die Warnmeldungen und deuteten an, dass es vor allem in der Eifel wohl zu extremen Starkregen-Ereignissen kommen wird. Zeitgleich gab das Europäische Flut-Warnsystem EFAS eine Warnmeldung heraus, die vor einer „extremen Flut“ für die drei Tage später betroffenen Gebiete warnte. Am Dienstag schickte dann auch noch der Deutsche Wetterdienst DWD eine „amtliche Gefahrenmeldung“ heraus, die ziemlich präzise genau die Gebiete umfasste, in denen es zwei Tage später zur Hochwasserkatastrophe kommen sollte. Geschehen ist nichts.

    Politik und Medien zeigten sich stattdessen „überrascht“. Noch am Abend vor der Katastrophe, als es schon kräftige Niederschläge gab, sprach man im Wetterteil des Heute-Journal nach der lächelnden Abmoderation von Klaus Kleber verniedlichend von in der Nacht zu erwartenden „ergiebigen Regenfällen“ – kein Wort von der von nahezu allen Diensten vorgehsagten Katastrophe. Die für das EFAS-System mitverantwortliche Hydrologin Hannah Cloke fand klare Worte und sprach von einem „monumentalen Versagen“ der deutschen Behörden. Wie viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn man die klaren Warnungen ernst genommen und die gefährdeten Gebiete evakuiert hätte?
    Noch immer wird in „problematischen „Gebieten gebaut. Auch mit Wissen der Behörden. Konzequenzen? KEINE.

  2. Hallo liebe Pfadfinder aus Bruchsal ich als Bruchsaler bin stolz auf euch Stephan du bist ein toller Kerl ich danke euch für eure Mühe da kann sich mancher ein Beispiel nehmen. LG Jürgen Bauer Bruchsal

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