Die Philippsburger Dorfkneipe startet in ihr 40. Jahr
Ein Abend im legendären Huttenheimer Holzwurm
von Stephan Gilliar
Kinners, es ist so…die Zeit – das alte Miststück – rennt, rennt und rennt. Als ich das letzte Mal im Huttenheimer Holzwurm geschwoft habe, war ich noch jung, hatte Haare und stand ganz am Anfang des bunten Treibens mit weit offenen Wegen in alle Himmelsrichtungen. Seither sind 25 Jahre ins Land gezogen und so vieles hat sich getan, so vieles hat sich verändert. Aber nicht hier…Im Holzwurm in Huttenheim hingegen ist die Zeit stehen geblieben und dafür feiere ich diesen kleinen Felsen in der Brandung allen Irdischen von Herzen.
Samstagabend, 19 Uhr, mitten im schon jetzt nachtsschlafenen Huttenheim. Die zwei Laternen rechts und links der Tür flackern auf, der Rollladen hebt sich, im Schloss dreht sich der Schlüssel. Ich betrete erstmals nach wirklich langer Zeit wieder den Holzwurm und lasse schon auf den Stufen zweieinhalb Jahrzehnte auf dem Bordstein zurück. Alles ist wie immer.. Es riecht nach einer herrlichen Melange aus Whiskey, Bier und Qualm. Das Licht, das sich aus den wenigen Lampen in die Szenerie ergießt, schafft es kaum gegen die Schwere der alten Dielenbretter und Holzvertäfelung anzukommen, dafür aber genügend Raum für all die schummrigen Ecken, in denen schon so manche Huttenheimer Ehe ihren Urknall gefeiert hat.
Etwas ist aber doch anders, etwas fehlt im Holzwurm. Sein Schöpfer, sein Herz und seine Seele – sein Wirt Dieter “Richy” Richard ist nicht mehr da.. gestorben, kurz bevor die Welt erfahren durfte, dass Corona nicht nur eine Biermarke ist. Das Emblem seiner Initialen, geschmiedet aus Eisen von ein paar seiner treuesten Stammgäste und vor allem Freunden draußen im Biergarten über dem kleinen Teich, erinnert an ihn. Wobei eigentlich der Holzwurm selbst Richys Denkmal und Vermächtnis ist. Eröffnet hat er ihn vor knapp 40 Jahren, anno 1984, als Apple den ersten Mac baute, Ghandi ermordet wurde und es – heute undenkbar – einen ganzen Sommer lang regnete.
Der Holzwurm ist von der ersten Stunde an ein Familienbetrieb und ist es heute immer noch. Obwohl er es eigentlich nicht vorhatte, steht heute Richys Sohn Tim an seinem Platz hinterm Tresen, flankiert von seiner Mutter Annie und den Tanten Gitte und Linda. Nach dem Tod seines Vaters ist er in dessen Fußstapfen getreten und hält neben Hausbau, Fulltime-Job und kleiner Kinder, den alten Holzwurm auf Kurs. Vier Tage pro Woche hält die Familie hier die Stellung, am Wochenenden durchaus auch bis zur Morgendämmerung. Der Holzwurm ist eine Institution. Eine der letzten old-fashioned Dorfkneipen und einer der allerletzten Orte wo noch hart gerockt und noch härter gefeiert werden kann. Hier geben sich Bands aus der ganzen Region die Klinke und die Klampfe in die Hand, immer vorausgesetzt sie sind fähig, letzterer ein paar harte Riffs und Slides zu entlocken. “Highway to Hell” statt “Hello again”… nur wenn es knallt, ist es würdig.
Im Holzwurm gibt es all das, was eine Kneipe schon in den 80ern und 90ern zum zweiten Wohnzimmer für unzählige gemacht hat. Echten Steel-Dart, einen pornös-weißen Billiardtisch, günstiges Bier, guten Whiskey und nicht zuletzt Baguette de Bagasch´ mit dieser grell-orangenen Sauce, die auch nach 4000-mal Waschen nicht mehr aus dem Kittel geht. Tim liebt seinen Holzwurm und alles wofür er steht, natürlich nicht zuletzt für seinen Papa. Zusperren war daher nie eine Option für ihn, schließlich ist er nicht nur mit sondern auch im Holzwurm aufgewachsen. “Das ist mein Herzensding“, sagt er, zieht an seiner E-Fluppe und erinnert sich an seine Kindheit. Wenn es mal in der Kneipe unter der Wohnung nicht gewummert und gebumst hat, konnte er kaum einschlafen, so sehr fehlte ihm der Lärm im Hintergrund, lacht er. Um länger aufbleiben zu dürfen hat er freiwillig in der kleinen Kneipenküche den Abwasch oder bei Konzerten die Abendkasse übernommen. Eine Kindheit in der Kneipe – geschadet hat es dem smarten Huttenheimer offensichtlich nicht. Ob ihm das nicht alles zu viel wird, möchte man wissen. Schließlich läuft der Holzwurm neben all den ohnehin schon fordernden Verpflichtungen eines jungen, berufstätigen Familienvaters. “Das geht schon” sagt er, zuckt mit den Achseln und stürzt sich wieder ins Getümmel, klopft Schultern und schaut dem Soundcheck der heutigen Band zu. Als der erste Riff der Gitarre durch den Raum schreit, ist es dann ohnehin zu laut für ein Gespräch. Muss auch nicht mehr sein.. alles ist gesagt – jetzt wird genossen und begossen. Auf Dich alter Holzwurm, auf dich Richy… möget ihr ewig währen. Für immer hier, für immer jung.
Ja, genau so war und ist es im Holzwurm.
Ich war damals einer der ersten Gäste und auch die erste männliche Bedienung die dem Team unter die Arme gegriffen hat.
Mittlerweile bin ich auch über 60 Jahre alt und freue mich immer wieder über das Team.
Bis bald.