Früher als von vielen erwartet, verabschiedet sich Brettens Oberbürgermeister Martin Wolff heute in den Ruhestand. Was bleibt, nach all den Jahren?
von Stephan Gilliar
Montagmorgen. Das Wochenende ist vorbei und sie sind vermutlich gerade bei der Arbeit, welcher Art diese auch immer sein mag. Vor ihnen liegt eine ganz normale Arbeitswoche, nach ihr noch eine, und noch eine und noch eine. Je nachdem, an welchem Punkt im Leben sie sich gerade befinden, geht es so noch ein paar Jahre weiter oder vielleicht sogar Jahrzehnte. Was danach kommt, wer weiß das schon? Wer hat schon Gelegenheit, sich über die Zeit danach im ewigen Hamsterrad Gedanken zu machen?
Oberbürgermeister Martin Wolff in Bretten ist gerade im Begriff, das herauszufinden. Je nachdem, wann sie diesen Artikel lesen, ist der entweder gerade dabei seine letzten persönlichen Habseligkeiten in einen der vielen Umzugskartons zu packen oder bereits den Schlüssel abzugeben und das große Rathaus am Alfred-Leicht-Platz nach über 15 Jahren als Oberbürgermeister das letzte Mal zu verlassen. Mit 69 Jahren geht Martin Wolff nun in den Ruhestand, früher als geplant und früher als von vielen erwartet. Es sind keine politischen, sondern vielmehr persönliche Gründe, die ihn dazu veranlasst haben diesen Schritt zu gehen. Denn auch wenn es viele nicht sehen wollen, der Job eines Kommunalpolitikers, überdies einer Führungsposition, ist kein leichter… im Gegenteil. Zeitlich fordernd, das war das Amt eines Bürgermeisters schon immer, doch der raue gesellschaftliche Ton, der mitunter in unverhohlene Aggressionen umschlägt, der ist neu. Beleidigungen in den sozialen Netzwerken ist dabei noch die harmlose Variante, doch dieses Spektrum reicht in seinen Extremen bis hin zu Morddrohungen. Einmal erreichte Martin Wolff sogar ein anonymes Schreiben vor dem Peter-und-Paul-Fest, das ihm in Aussicht stellte, dessen Ende nicht mehr mitzuerleben. Wie es wohl sein muss, im dichten Gedränge der Menschen als Stadtoberhaupt Fröhlichkeit auszustrahlen, dabei jedoch die Angst auszuhalten, jeden Moment attackiert zu werden. In welche Richtung entwickelt sich eine Gesellschaft, in der bereits ländliche Bürgermeister für ganze Nächte unter Polizeischutz gestellt werden müssen, in denen – so in Bruchsal geschehen – ihre Autos in Flammen aufgehen? Es kommt nicht von ungefähr, dass ich in manchen Gemeinden überhaupt niemand mehr findet, der diesen Job gewissenhaft ausüben möchte.Doch es ist auch die private Seite, von der dieser Beruf viel Tribut verlangt. Gleichzeitig engagierter Bürgermeister, Ehemann und Familienvater zu sein, ist – gelinde gesagt- eine Herausforderung, denn auch Politiker können die physischen Gesetze von Raum und Zeit nicht überwinden.
Aus all diesen Gründen hat Martin Wolff nun beschlossen, seine eigentlich noch eine ganze Weile lang andauernde Amtszeit abzukürzen, sie mit Ablauf des heutigen Montags zu beenden. Sein Nachfolger Nico Morast, wurde längst gewählt und zieht schon am morgigen Dienstag in das freiwerdende, geräumige Eckbüro im zweiten Stock des Rathauses ein.
Wir haben Martin Wolff an einem seiner letzten Arbeitstage besucht, mit ihm über das, was war und auch das, was kommen wird gesprochen. Das Interview führte Hügelhelden-Herausgeber Stephan Gilliar. Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit wurde das Interview leicht gekürzt bzw. angepasst ohne aber die inhaltlichen Aussagen zu verändern.
Stephan Gilliar: Herr Wolff, nach außen hin geben Sie sich immer äußerst gelassen, auch dann, wenn der Wind etwas rauer weht. Das Ende einer jahrzehntelangen Laufbahn als Politiker und das Ende einer 15-jährigen Zeit als Oberbürgermeister kann sie aber nicht wirklich kalt lassen. In diesem Büro hier, dürften sie schließlich reichlich Zeit verbracht haben, all die Jahre?
Martin Wolff: Ja, das kann man sagen. Manchmal habe ich fast rund um die Uhr hier gewohnt. Da war schon mal die Überlegung, ein Feldbett hier reinzustellen, wenn es abends spät wurde und ich morgens früh wieder da sein musste. Ja, es ist schon etwas Wehmut dabei, wenn man die gewohnte Umgebung verlässt. Aber im Moment fühlt es sich eher an wie in den Urlaub zu fahren. Ich denke, das richtige Gefühl kommt erst, wenn wir zurück sind. Wir fahren ja erstmal ein paar Tage weg.
Stephan Gilliar: Wenn sie dann in Kürze ihren Schlüssel abgeben, werden Sie hier im Rathaus ein Gast wie jeder andere auch sein.
Martin Wolff: Ja, am Montag gebe ich alles ab: mein Tablet, meinen Autoschlüssel, meinen Hausschlüssel, den Generalschlüssel – dann bin ich ein ganz normaler Gast im Rathaus.
Stephan Gilliar: Erinnern Sie sich doch einmal zurück an die Zeit, als Sie sich entschlossen haben, Oberbürgermeister ihrer Heimatstadt zu werden? Man geht wahrscheinlich mit vielen Ideen und Visionen in das Amt und dann trifft dann auf die Realität der Kommunalpolitik. Mit welchem Gefühl gehen Sie jetzt, und mit welchem Gefühl sind Sie damals gestartet? Was konnten Sie umsetzen, was nicht?
Martin Wolff: Also, ich denke, mir ist viel gelungen. Ich kam ja aus der Verwaltung und wusste, was geht und was nicht. Ich hatte mir nicht zu große Hoffnungen gemacht, alles sofort umzusetzen. Niemand kann hier zaubern. Man braucht den Gemeinderat und eine gute Verwaltung, ohne die geht nichts. Aber wir haben viel geschafft. Zwei Stadtentwicklungskonzepte, eine Bewerbung für die Gartenschau – das sind nachhaltige Projekte. Daneben gab es viele Alltagsaufgaben wie Schulsanierungen, Straßenbau und Sozialarbeit. Und dann kamen unerwartete Herausforderungen wie die Hochwasserproblematik. Da mussten wir ein großes Programm aufsetzen, das Millionen gekostet hat.
Stephan Gilliar: Wenn man Sie als Politiker einordnen müsste, würde ich Sie in die Schublade der Realisten und Pragmatiker stecken. Solche Leute haben es oft schwer, die Leute mitzunehmen. Hatten Sie manchmal das Gefühl, dass sie die Menschen nicht genug begeistern konnten?
Martin Wolff: Nein, das denke ich nicht. Wir haben immer eng mit dem Gemeinderat und der Verwaltung zusammengearbeitet. Viele Dinge dringen gar nicht an die Öffentlichkeit. Aber ich konnte die Verwaltung und den Gemeinderat meist gut überzeugen. Wir hatten viele Beschlüsse, und abgelehnte Vorschläge kann ich an einer Hand abzählen. Es ist mir gelungen, viele Menschen mitzunehmen, auch bei großen Projekten wie der Gartenschau-Bewerbung, wo es viel Bürgerbeteiligung gab.
Stephan Gilliar: Nun gibt es immer diese lauten Stimmen, die destruktiv sind, aber eigentlich nichts beizutragen haben. Wie haben Sie gelernt, diese Stimmen zu ignorieren?
Martin Wolff: Das ist Lebenserfahrung. Schreier gibt es überall, heute besonders in den sozialen Medien. Früher waren es Leserbriefe. Man lernt, wo es sich lohnt, seine Energie zu investieren. Mit Leuten, die konstruktiv sind, kann man viel erreichen. Die anderen lasse ich ins Leere laufen.
Stephan Gilliar: War das wirklich immer so leicht?
Martin Wolff: Nein, das musste ich mir auch erst erarbeiten. Es hat viele schlaflose Nächte gebraucht, um zu lernen, wann es besser ist, sich nicht zu sehr mit destruktivem Feedback zu beschäftigen.
Stephan Gilliar: Haben Sie nie Zweifel am eigenen Kurs gehabt?
Martin Wolff: Man hinterfragt seinen Kurs ständig. Aber Zweifel im Sinne von Unsicherheit? Nein. Man muss reflektieren und fragen: „Bringt das der Stadt was?“ Wenn es der Stadt und den Bürgern hilft, dann wird es wohl richtig sein. Man bekommt immer Feedback – von Bürgern, aber auch von Behörden. Und die Kritiker helfen einem, stärker zu werden.
Stephan Gilliar: Kritiker gibt es in Bretten nicht wenige. Der Brettener Gemeinderat wirkt zudem nach außen hin oft gespalten.
Martin Wolff: Ich würde es nicht so dramatisch sehen. Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen im Gemeinderat. Mir war immer wichtig, dass man sich streiten kann, aber auf sachlicher Ebene. Persönliche Angriffe habe ich nicht toleriert. Und ja, manchmal gab es Spielchen im Hintergrund, das gehört zur Kommunalpolitik. Aber das hat mich nie wirklich beeinflusst.
Stephan Gilliar: Was war die größte Krise ihrer Amtszeit?
Martin Wolff: Eine persönliche Krise war der letzte Wahlkampf, der sehr unter der Gürtellinie verlief. Das hat mich schon getroffen. Aber wie gesagt, meine Kritiker haben mich stärker gemacht. Eine andere große Herausforderung war die Corona-Krise, besonders die Situation in den Pflegeheimen. Die 37 Todesfälle in einem Heim in Neibsheim haben mich sehr mitgenommen. Auf der anderen Seite gab es viele schöne Momente im Alltag, zum Beispiel das tolle Team im Rathaus. Wir haben viel gemeinsam geschafft.
Stephan Gilliar: Ihr Vorgänger hat sich auch nach seiner Amtszeit stark ins politische Geschehen der Stadt eingemischt. Was für ein Alt-OB möchten Sie sein?
Martin Wolff: Ich sehe das als Staffelübergabe. Der, der den Stab weitergibt, läuft nicht neben dem neuen Läufer her und gibt Anweisungen. Ich werde mich nicht einmischen, aber ich bleibe im Kreistag und werde mich für Bretten einsetzen, wenn es nötig ist.
Stephan Gilliar: Wie oft werden wir Sie in Bretten als Privatier sehen?
Martin Wolff: Sehr oft! Wir sind hier verwurzelt, gehen ins Sportstudio, auf den Marktplatz, besuchen Kulturveranstaltungen. Wir bleiben ganz normale Bürger in Bretten.
Stephan Gilliar: Haben Sie je bereut, dass Ihr Amt so viel Zeit von Ihrer Familie weggenommen hat?
Martin Wolff: Bereuen nein, denn es war eine bewusste Entscheidung. Meine Frau wusste, dass ich oft abends unterwegs bin. Dafür bin ich ihr sehr dankbar, denn sie hat das alles mitgetragen.
Stephan Gilliar: Heute gibt es immer weniger Leute, die bereit sind, als Bürgermeister zu kandidieren. Können Sie das nachvollziehen?
Martin Wolff: Absolut. Der Ton ist rauer geworden, besonders in den sozialen Medien. Anfeindungen sind heute viel persönlicher und anonymer. Das kann an die Substanz gehen, und nicht jeder möchte das aushalten.
Stephan Gilliar: Ist unsere Demokratie in Gefahr?
Martin Wolff: Noch nicht, aber wir müssen aufpassen. Es gibt Stimmen, die die Demokratie von innen aushöhlen wollen. Wir müssen als Gesellschaft wachsam bleiben.
Stephan Gilliar: Letzte Frage: Würden Sie heute eingedenk all dessen noch einmal eine Karriere als Kommunalpolitiker starten?
Martin Wolff: Wahrscheinlich nicht.
Zuviel ist zuviel!!!
Hallo Martin
Herzlichen Dank
Du warst ein super OB
DANKE 🙏
Wer bestimmt was Demokratie ist? Die Parteien die seit 80 Jahren regieren und die KEINE Veränderung haben wollen ? Demokratie bedeutet : alle Macht geht vom Volke aus. und dazu benötigt man weder Berufspolitiker und keine Parteien. Die Schweiz ist das beste Vorbild. Horst Seehofer meinte: Diejenigen die entscheiden sind nicht gewählt und diejenigen die gewählt sind, haben nix zu entscheiden
Nun, seit 1949 ist es in der Bundesrepublik Deutschland nun einmal so: Die BRD ist eine repräsentative Demokratie, in der das Volk durch gewählte Volksvertreter „herrscht“. Diese Volksvertreter bilden den Bundestag, der das einzige unmittelbar demokratisch gewählte Verfassungsorgan ist. Das Zitat stammt direkt vom Deutschen Bundestag. Und was die teilweise direkte Demokratie im politischen System der Schweiz angeht, so müssen Sie sich nur die derzeitigen Schlagzeilen ansehen um zu erkennen, dass auch dieses System alles andere als fehlerfrei ist.