Hauptsache mal rumgemotzt

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Eine Unart, nicht nur im Kraichgau: Nicht gemeckert scheint genug gelobt

Ein Kommentar von Stephan Gilliar

Die Schilder stehen, der Verkehr läuft rund… der neue Kreisverkehr in Kraichtal ist fertig und das zwei Monate VOR geplantem Bauende. In den sozialen Netzwerken, auf der Straße und in den gängigen Klatsch und Tratsch – Hotspots der Stadt ist es auffällig ruhig. Kein Dank, keine Anerkennung, kein Wort des Lobes. So ticken die Kraichgauer einfach nicht – positives Feedback gehört nicht gerade zu Ihren Stärken. Wohl aber das Gegenteil davon. Was wurde in den vergangenen Wochen und Monaten nicht über die Einschränkungen der Baustelle geschimpft, gemotzt, gemeckert und gelästert. In unzähligen Diskussionen im Netz und an den Stammtischen wurden alle Register dieser im Kraichgau zur Kunstform erhobenen Bruddelei gezogen: Von Kraftausdrücken über Beschuldigungen im Giesskannenprinzip, bis hin zur Anklage überhaupt nicht zuständiger Behörden und Institutionen. Völlig ungeniert ergoss sich diese ganze Grütze in unzähligen Fäden und Diskussionen über alle, die es hören oder eben nicht hören wollten. Das wäre ja auch überhaupt kein Problem, schließlich ist das Motzen ein Volkssport im Hügelland, würde nicht die ausgleichende Komponente gänzlich fehlen: Das Lob.

Schon klar, wir reden hier nicht von Kleinkindern, sondern von Behörden, Bauträgern, Landesbediensteten, städtischen Angestellten und so weiter… Jeder einzelne von ihnen ist es mittlerweile gewohnt, inmitten des Wirbelsturms der kollektiven Entrüstung tiefliegenden Exkrementen auszuweichen. Dennoch lässt es keinen Menschen kalt, wenn er immer nur unflätig angegangen wird. Nehmen wir Baustellen zum Beispiel, gibt es mannigfaltige Gründe, wieso sich ein solches Projekt unvorhergesehen und unverschuldet verzögern kann. Da wären z.B. der Mangel von Baumaterial, der Mangel an Facharbeitern, Verzögerungen beim Dienstleister, unvorhersehbare Begebenheiten des Untergrundes, Wetterkapriolen, Lieferengpässe und und und… doch komplexe Situationen interessieren Bruddler und Motzer nicht wirklich – ihnen geht es um einfache Antworten und Parolen.. im Zweifelsfall hätten die Chinesen besagte Baustelle schließlich innerhalb von zwei Tagen abgewickelt. Keine Frage, bei so manchem Projekt gibt es auch durchaus angebrachte Kritik, doch wie so oft im Leben macht der Ton die Musik.

Wäre ich Behördenmitarbeiter, würde ich bei dieser Art des Feedbacks ohne Zweifel Elan, Antrieb und jegliches “Reinknien” nach kürzester Zeit einfach aufgeben. Es ist doch egal, wie ich es mache, am Ende mache ich es doch ganz sicher falsch. Vielleicht wäre es einfach an der Zeit, die Unkultur des Ungleichgewichts zwischen Kritik und Lob hinter sich zu lassen. Wenn das Internet hierbei etwas begünstigt hat, dann die absolut haarsträubende Unverhältnismäßigkeit der Reaktionen. Hat man sich früher vor der Baustellenampel einfach ein bisschen im Auto aufgeregt, das Radio eingeschaltet und sich mit Musik und badischer Gelassenheit wieder eingekriegt, teilt man heute seine Frustration mit tausenden anderer Menschen und steigert sich kollektiv in eine schon fast wahnhafte Auslegung einer eigentlich belanglosen Plattitüde.

So what, kann passieren, aber etwas anderes darf daraufhin nicht fehlen: Anstatt nun beharrlich zu schweigen, könnte man doch einfach auch einmal kurz festhalten: Vielen Dank, gut gemacht, bis zum nächsten Mal.

PS: Mich selbst nehme ich von dieser Kritik natürlich nicht aus. Tatsächlich schulde ich dem Kraichtaler Bürgermeister sogar einen Kasten Bier, weil ich das Bauende des Kreisverkehrs deutlich pessimistischer eingeschätzt habe. 😉

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6 Gedanken zu „Hauptsache mal rumgemotzt“

  1. Die regionalen Nachrichtenseiten haben ja mehr als genug Stroh ins Feuer geworfen, selbst wenn man Kolumne drüber schreibt.

  2. Alles gschwetzt, Daumen hoch!
    Sollen die, welche sich nach Zweitagesbaustellen nach cineschischer Art sehnen, doch nach China auswandern, aber Bruddle dürfen die dort nicht! Sakasmus Ende!

  3. Ein Tag Sonnenschein macht noch lange keinen Sommer.
    Vielleicht sollte man bei Ausschreibungen einfach größeren Wert darauf legen, ob und in welcher Zeit die Firma einen Auftrag ausführen kann, als danach zu gieren, um wieviel die Firma die Mitbewerber unterbietet.

  4. Wenn ich das so richtig verstehe, sollen wir ein Lob aussprechen , dass die Zeitplanung nur um 30 Prozent danebenlag. Die Bauzeit, also der Zeitaufwand war 1/3 kürzer. Wer hier noch von Planung redet ist kein Bruddler sondern Schwätzer. Dazwischen wurde das Ende der Bauzeit auf August und dann wieder auf September verlegt bis dann im Oktober endlich Vollzug gemeldet werden konnte. Wie perfekt die Zusammenarbeit von Behörden, Bauträgern, Landesbediensteten, städtischen Angestellten funktioniert hat kann man daran erkennen, dass die Abteilung, die die Schilder zu ordern hatte, von der früheren Fertigstellung, anscheinend nicht informiert wurde, sodass der Verkehr um weiter Tage eingeschränkt war, weil die Schilder fehlten.
    Eine Terminverschiebung nach hinten haben Sie schön und richtig erklärt:
    „Da wären z.B. der Mangel von Baumaterial, der Mangel an Facharbeitern, Verzögerungen beim Dienstleister, unvorhersehbare Begebenheiten des Untergrundes, Wetterkapriolen, Lieferengpässe und und und… doch komplexe Situationen interessieren Bruddler und Motzer nicht wirklich – ihnen geht es um einfache Antworten und Parolen.“
    Für Ihre einfache Antwort was die Gründe waren, dass die Bauzeit um etwa 34 Prozent verkürzt werden konnte (Wir sind ja alle soooo dankbar dafür) wäre einem der Bruddler, der täglich bis zu 1 Stunde vor der Ampel im Stau stand dankbar. In manchen Berufen kann man sich das vielleicht Ihren Typ leisten,
    „vor der Baustellenampel einfach ein bisschen im Auto, das Radio einschalten und sich mit Musik und badischer Gelassenheit wieder eingekriegt“ nicht so, wenn man Termine hat oder pünktlich bei der Arbeit sein muss:
    Zum Schluss noch: Ich habe mit vielen Auswärtigen Kollegen gesprochen, die überwiegend der Meinung waren, dass so etwas bei Ihrer Gemeinde nicht möglich wäre. Also so schlimm und bruddlig sind wir Kraichtaler anscheinend doch nicht, auch wenn uns das der eine oder andere einreden möchte.
    Also für was sollen wir uns bedanken, soll wir anerkennen und loben, dass zum Glück die Fehlplanung um 1/3 der Zeit kürzer und nicht länger war, oder was und wen sollen wir loben. Das Ampeln nicht funktionieren oder falsch eingestellt waren, dass die informierte Polizei dafür sich nicht für zuständig erklärte.

  5. wie bereits erwähnt: Wenn nicht jeder wegen ein paar Metern ins Auto sitzen würde und vielleicht mal aufs Radl umsteigen würde (tagsüber ist ja teilweise schon sehr, sehr schönes Wetter draußen!), dann wäre die Blechlawine auch nicht so lange.

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