Der Brettener Barbier

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Wellness für Männer

Es gibt wenige Termine auf die ich mich jeden Monat so freue, wie einen Besuch bei Berber Ali in Bretten. Berber ist das türkische Wort für Barbier oder etwas zeitgemäßer: Friseur. Der Berber Ali heißt in Wirklichkeit Ali Gök und kann mit Schere und Rasiermesser wahre Wunder vollbringen. Wenn ein Mann sich einmal für einen Friseur entschieden hat, dann bleibt er ihm treu bis ins Grab und so fahre ich gerne regelmäßig von Bruchsal nach Bretten um mir das Haar stutzen zu lassen. Gut, zugegeben – viel ist da nicht mehr zu machen! Der Deckel ist zwischenzeitlich kahl und weil ich nichts mehr hasse als einen Kranz, muss Ali regelmäßig ran um hier Tabula rasa zu machen. Kahlschnitt am Schädel plus Nassrasur am Bart oder auf türkisch:  Sac Kesimi & Sakal Bakimi. Macht zusammen einen läppischen Zwanziger (dafür wird meine Frau bei ihrem Friseur noch nicht mal gekämmt) und ist angesichts des nun Folgenden jeden verdammten Cent wert:

Scharf und Feurig

Das Ritual der Rasur mit dem blanken Messer ist das was dem ausgelutschten Begriff „Wellness“ für mich am nächsten kommt. Klangschalen auf dem Hintern oder heiße Steine auf dem Rücken können mich kaum entzücken, aber wenn ein Wildfremder mit einem scharfen Messer an meinem Hals hantiert, bin ich plötzlich tiefenentspannt. Zuerst wird in einer kleinen Schale mit 4000 Grad heißem Wasser der Rasierschaum angerührt, dann eine frische Einlegeklinge in das lange Rasiermesser geschoben. Der Stuhl ruckt nach unten, mein Kopf wird mit einem energischen Ruck auf die Kopfstütze bugsiert. Zimperlich ist kein türkischer Friseur, hier wird herzhaft zugepackt und das ist auch gut so – bin ja keine Prinzessin. Nachdem Hals und Schädel unter dichtem, schwerem Schaum verschwunden sind geht Ali ans Werk. Routiniert und kräftig lässt er die Klinge über die Haut fahren und weiß genau was Tango ist. Eine falsche Bewegung und das Blut würde sprudeln, doch in all den Jahren ist das noch kein einziges Mal passiert. Zum Vergleich: Wenn ich mich zuhause mit meinem mit etlichen Sicherheitsbügeln ausgestatteten Markenrasierer bearbeite,  kann ich hinterher erstmal mindestens fünf angebohrte Kapillare mit Klopapierfetzen abdichten.

Ehe ich es mir versehe ist mein Kopf bis auf die Augenbrauen so haarlos und glatt wie ein Baby-Popo. Jetzt kommt die Feinjustierung und die hat es in sich. Mit kritischem Blick besieht sich Ali meine Ohr- und Nasenbehaarung und schreitet erneut zur Tat. Er taucht Wattestäbchen bzw Q-Tips in heißes Wachs, steckt sie in meine Nasenlöcher, drückt auf die Nasenflügel und lässt das ganze kalt werden. Danach folgt ein beherzter Ruck, ein kurzer, jäher Schmerz und voilà. Nun geht es an die Ohren! Dazu besprüht Ali eine Art Mini-Fackel mit Haarspray und zündet das ganze mit einem Feuerzeug an. Diesen brennenden Wattebausch lässt er dann mit schnellen Bewegungen über meine Ohren gleiten und fackelt auf die Art und Weise in Windeseile meine sämtlichen Ohrenhaare ab.

Brenna tuat’s guat

Um Entzündungen vorzubeugen und vielleicht auch um von den schmerzenden Nasenflügeln und Ohrmuscheln abzulenken, kommt nun das große Finale. Aus der XXL-Flasche „Very, very old Spice“ gießt Ali einen kräftigen Schwall in seine Hände und patscht mir das Ganze ohne Vorwarnung auf die Haut. Doch das Gefühl seine Visage in einer Wanne Salzsäure zu baden, weicht schnell einer wohligen Wärme. Nun massiert Ali noch die Kopf und Gesichtshaut mit kräftigen Handgriffen und verteilt im Anschluss noch kühlende Creme darauf. Fertig!

Wer jetzt denkt: Was für eine Tortur, ich bin doch nicht irre… der irrt! Es ist eine wirklich tolle Erfahrung. Ein zutiefst männliches Ritual, nachdem es mir einfach gut geht. Der Schädel ist klar, porentief rein und völlig haarlos. Beschwingt gehe ich nach Hause und freue mich schon auf die nächste Runde bei Berber Ali. Die kommt bestimmt – denn dank entfernter ungarischer Vorfahren, ist mein Bart etwa drei Stunden später schon wieder nachgewachsen ;-)

eine Glosse von Philipp Martin (erstmals erschienen im Frühjahr 2018)

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