“Hätsch doch en Schrauwelade uffgmacht…”

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Seit fast 30 Jahren gibt es in Flehingen den Spielwarenladen Steckenpferd – zusammenhalten nur von Leim, Liebe und den lebenslustigen Eheleuten Rausch.

von Stephan Gilliar

Als ich das erste Mal das Steckenpferd betrete, wohlgemerkt nachdem ich etwa 20 Jahre unzählige Male einfach ignorant daran vorbeigefahren bin, schießen mir zwei Gedanken durch den Kopf: Der erste: Meinte Güte, ist das schön hier. Der zweite: Wie zum Teufel, kann das funktionieren?

Fangen wir mit dem ersten Gedanken an, denn dieser ist leicht zu erläutern. Das Steckenpferd ist ein Spielwarenladen, wie es sie vor vielen Jahrzehnten gegeben haben könnte. Zu einer Zeit, als Plastik noch kein Thema war, Spielzeug keine Akkus benötigte und Kinder sich noch an Holzbausteinen, Puppenhäusern oder Eisenbahnen erfreuen konnten. Das soll keine Kritik an unseren Jüngsten sein, Gott bewahre, doch seit den 80ern werden sie im Grunde zunehmend mit Werbung und Reizen derart vollgepumpt, dass die kleinen Birnen unter der Last dröhnen. Von Computerspielen über Action-Spielzeug bis hin zu elektronischen Daddeleien oder Modepuppen, deren Haute Couture im Sekundentakt wechselt. Eine Kakophonie, die unweigerlich den Sinn für die schlichten und schönen Dinge des Lebens übertönt.

Im Steckenpferd gibt es diese klassischen, urtümlichen und schönen Spielzeuge noch. Holzeisenbahnen, Holzpuppen, Steckspiele, Boote, Autos, Murmelbahnen und allerhand filigrane Figuren aus dem Erzgebirge. Andächtig schreitet man an ihren weitläufigen Regalen entlang, in denen diese Unikate in Reih und Glied stehen. Man riecht den würzigen und urigen Geruch des Holzes und hört nichts als die eigenen Schritte, während man die Winkel und Ecken des Ladens erkundet. Es ist der exakte Gegenentwurf zu Spielzeugläden in der Innenstadt, in denen es laut und hektisch zugeht und in denen Bildschirme, Aufsteller und Co. um die kurzweilige Aufmerksamkeit der Kids um die Wette brüllen.

Kommen wir zu meinem zweiten Gedanken, den Fragen, die ich mir einfach nicht verkneifen kann: Was geht das? Wie kann das funktionieren? Wie kann ein Laden wie das Steckenpferd fast 30 Jahre lang funktionieren, obwohl er nicht einmal ansatzweise in der Nähe belebter Einkaufsstraßen liegt, obwohl sein Sortiment wie aus der Zeit gefallen wirkt und obwohl viele seiner Waren vermutlich billiger und schneller über irgendwelche Online-Shops oder Handarbeitsbörsen im Netz zu haben sind? Nun, die Antwort darauf ist so simpel wie lapidar: Es geht gar nicht. Dass das Steckenpferd nach all diesen Jahren noch existiert, ist einzig und allein Ellen und Martin Rausch zu verdanken, die den kleinen Laden vor 27 Jahren in der ehemaligen Scheune in ihrem, von Ellen’s Großmutter geerbten Haus in Flehingen auf dem Weg gebracht haben. Leim, Liebe und Leidenschaft sind es, die dieses Unikat durch die Jahre getragen haben. Dazu der selten gewordene, aber ehrenwerte und wunderschöne Gedanke, dass Geld eben nicht alles ist im Leben.

Ellen und Martin geht es nicht um Profit – der Laden schafft es mit Hilfe von Martins selbstgemachtem Honig und den Produkten rundherum, mit Ach und Krach eine schwarze Null zu generieren. Müssten sie Pacht oder Miete bezahlen oder gar Angestellte beschäftigen, würde die Rechnung längst nicht mehr aufgehen. Weil Ellen und Martin aber direkt nebenan im Haus wohnen und werkeln, kann – bis einmal die Ladenschelle erklingen sollte – das Steckenpferd quasi im Strom des Alltags einfach mitschwimmen. “Unser Steuerberater kriegt jedes Mal eine Krise, wenn er die Abrechnungen sieht” lacht Ellen und mit ihr lacht jede liebenswerte Falte, strahlen ihre Augen unter der wilden Mähne, die bis auf ihre Schultern fällt. “Der Spaß an der Freude steht für uns im Vordergrund“, sagt Martin, der gerade barfuß in Zimmermannshose und der obligatorischen ledernen Batschkapp reinkommt.

Die beiden sind ein schönes Paar, strahlen eine Ruhe und eine Harmonie aus, die in langjährigen Beziehungen bei weitem keine Selbstverständlichkeit sind. Kennengelernt haben sich die beiden, man höre und staune, bereits im Kindergarten in Bretten. Später lief man sich als Teenie wieder über den Weg, schwofte gemeinsam in der Alten Post, im Holzwurm oder im Penny Lane in Gölshausen. Als echte Brettener spielte auch das Peter-und-Paul-Fest eine gewichtige Rolle im Leben der beiden. Jedes Jahr waren sie dabei, waren Teil des Lagerlebens, engagierten sich im Verein zur Pflege des traditionellen Handwerks. Martin schnitzte hölzerne Löffel und Steckenpferde, später auch Holzschwerter und bot sie auf dem Fest zum Kauf an. Ellen kümmerte sich um die beiden Söhne und noch ungefähr 1000 Sachen mehr.

Wenn sie nun bei dem Wort “Steckenpferde” aufgehorcht haben, dann völlig zu Recht. In dieser Phase entstand die Idee – reifte allmählich der Gedanke, einen eigenen Laden für Holzspielzeug zu gründen. Zu Beginn stellte Martin die meisten der verkauften Holzspielzeuge noch selbst her, doch man kann sich nur allzu leicht vorstellen, dass der zeitliche Aufwand mit dem zu erzielenden Gewinn in absolut keiner Relation stand. So suchten die beiden Stück für Stück Handwerksbetriebe in Deutschland, die sich noch auf die traditionelle Herstellung von Holzspielzeug verstehen. Ihre Waren kommen aus dem tiefsten Bayern, aus dem Harz oder dem Erzgebirge. Viele davon sind handgemacht, in Form und Funktion einzigartig. Zu Weihnachtszeit hatten die beiden immer einen festen Stand auf dem Weihnachtsmarkt in Sternenfels, dieser war auch bitter nötig, um die spärliche Bilanz des kleinen Ladens etwas aufzubessern.

Doch wie gesagt, weder Martin noch Ellen ging es jemals darum, den großen Reibach zu machen. Beide sind Idealisten durch und durch. Im Ort stieß das Steckenpferd damals auch nicht auf sonderlich viel Interesse. Martin galt als Ur-Grüner sowieso immer als Exot im konservativen Flehingen, das hat auch seine Zeit im Oberderdinger Gemeinderat nicht besser gemacht. “Hätsch doch en Schrauwelade uffgmacht…” hat ihm damals ein Alteingesessener empfohlen, doch das war nicht der Rausch´sche Way of Life. Den beiden geht es vielmehr darum, Schönes zu erschaffen und Ursprüngliches zu erhalten. Sie sprechen sich gegen den immer weiter ausartenden Oberderdinger Landfraß aus, beschäftigen sich lieber mit der Pflege von Streuobstwiesen oder eben der Imkerei. In seiner kleinen Honigwerkstatt imkert Martin Honig aus der Region. “Der verkauft sich ganz ordentlich“, sagt er zufrieden, wenngleich natürlich auch hier keine Reichtümer zu erzielen sind. “Manchmal lebt man von der Hand in den Mund” lacht Martin hinter seinem weiß gewordenen Rauschebart.. „Aber wir haben alles, was wir brauchen”.

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