“Dann geht die Sonne auf und alles ist gut”

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Die Zwillinge Lukas und Leon aus Heidelsheim sind Landwirte bereits in fünfter Generation. Für sie ist es der schönste Beruf der Welt, in dessen Zukunft sie enthusiastisch investieren. Wären da nur nicht die vielen Vorurteile, mit denen sie sich tagtäglich auseinandersetzen müssen.

von Stephan Gilliar

Ein landwirtschaftlicher Betrieb mitten im Dorf? Heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr, seit in den 1960ern der größte Teil davon ausgesiedelt wurde. Umso mehr erstaunt es mich am Ende der Brettener Straße, dort wo die B35 in ihrem niemals endenden Rauschen Heidelsheim wie eine Rasierklinge durchtrennt, hinter der Fassade eines unscheinbaren Einfamilienhauses einen lebendigen und intakten Bauernhof vorzufinden. Der große Innenhof grenzt an lange Brennholzstapel, einen Gemüsegarten, eine Scheune und zahlreiche weitere Betriebsgebäude. Schon als ich das Tor passiere kommen mir drei Hunde entgegen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwei imposante, riesengroße Landseer, deren Hobbit-Namen “Figo” und “Frodo” nicht so ganz zu ihrem Äußeren passen wollen und der kleine quietsch-fidele Dackel Udo.

Eigentlich bin ich nur mit Lukas Steiner verabredet, doch in der Maschinenhalle sitzt im Schatten der heißen Spätsommersonne seine halbe Familie plus Gäste – mit diesem Empfangskomitee habe ich nicht gerechnet. Da wären zunächst mal Lukas und sein Zwillingsbruder Leon, zweifelsohne keine eineiigen Zwillinge, aber augenscheinlich ein harmonisches Gespann. Neben Lukas sitzt dessen Freundin Marielle, eine entspannte Nordschwarzwälderin aus Calw. Dann wäre da noch Lukas und Leons Vater Bernd, der sich jeden Tag ein bisschen mehr von einem Schlaganfall vor zwei Jahren erholt und schließlich Hans-Werner von der ZG Raiffeisen, der ebenso sehr wie er landwirtschaftlicher Ratgeber des Betriebes ist, auch zum Freundeskreis der Familie Steiner zählt.

Eingeladen hat mich Lukas, weil er mir ein paar technische Innovationen vorstellen möchte, die nicht nur seine Arbeitsabläufe im landwirtschaftlichen Alltag erleichtern, sondern auch für Fortschritt und Nachhaltigkeit auf dem Hof der Steiners stehen sollen. Doch was Lukas eigentlich will, ist Reden. Über seinen Beruf und seine Leidenschaft Landwirtschaft. Über die spannenden Möglichkeiten, die sich durch neue Technologien ergeben, über Zukunftsfähigkeit und über ökologische und biologische Aspekte moderner Feldarbeit. Lukas will reden, will vermitteln, will aufklären, denn immer noch stößt er viel zu oft auf Vorurteile, Unwissenheit und teilweise sogar unverhohlene Feindseligkeit. Als wir später zusammen in seinem Schlepper über die Heidelsheimer Felder der Familie Steiner fahren, berichtet er mir von regelmäßigen Zusammenstößen mit Spaziergängern oder Radfahrern, die ihn bei der Feldarbeit offensiv angehen. Die Vorwürfe reichen dabei von der Vergiftung von Land und Boden bis zur Ausrottung von Insekten und der Gefährdung von Mensch und Umwelt. Er hat Leute erlebt, die ihn provokant bei der Arbeit mit Smartphones filmen und fotografieren oder andere, die sich weigern, seinem Schlepper auf einem landwirtschaftlichen Weg Platz zu machen.

Lukas kann einfach nicht verstehen, wieso so viele Menschen der Landwirtschaft gegenüber solch eine Abneigung zur Schau stellen, seinen Beruf und damit auch ihn verächtlich machen. Schon damals in der Schule haben manche Klassenkameraden ihn damit aufgezogen, ihn als “stinkenden Bauer” bezeichnet, nicht selten war Lukas deswegen am Boden zerstört und den Tränen nahe. Während letzteres noch zähneknirschend mit der fehlenden Reife der Jugend erklärt werden könnte, ist die offensive Abwertung durch Erwachsene nicht zu entschuldigen. Wer sich unreflektiert gegen die Landwirtschaft positioniert, spricht sich damit gegen all jene aus, die für die Produktion aller wichtigen Grundnahrungsmittel stehen. Ohne Landwirtschaft gäbe es kein Obst, kein Gemüse, kein Brot, keine Kartoffeln… oder kurz gesagt: So gut wie gar nichts. Es mutet seltsam an, die Hand zu beißen, die einen füttert.

So fordern überspitzt ausgedrückt viele Menschen von der Landwirtschaft im Brustton der Überzeugung, kompromisslosen, ökologischen und biologischen Ackerbau ohne jeglichen Einsatz von Chemikalien oder Pestiziden oder glückliche Kühe auf immergrünen Weiden. Das ganze aber bitte ohne jegliche persönliche Einschränkungen, am besten zum Dumpingpreis im Discounter. “Agrarschizophrenie” nennt das der Autor Rolf Brauch in einem Meinungsartikel auf den Seiten der Konrad-Adenauer-Stiftung recht treffend. “Nicht zu Unrecht erscheint den Landwirten manche Kritik als Besserwisserei von außen. “….Die Landwirte wissen, dass sich die theoretische Bereitschaft der Konsumenten, für klima-, natur- und tierschutzgerechtere Lebensmittel einen entsprechend höheren Preis zahlen zu wollen, nicht in deren alltäglichem Kaufverhalten niederschlägt…” so Brauch, der in seinem Beitrag auch weiter ausführt, wie sich diese nicht zu erfüllende Anspruchshaltung auch auf die Landwirte selbst auswirkt. So seien Themen wie Depression und Burnout ein großes Problem bei unzähligen Landwirten, die damit zur diesbezüglichen Hochrisikogruppe zählten. Freilich gibt es auch in der Landwirtschaft noch zahlreiche Probleme die es zu lösen gilt, offene Baustellen in den Bereichen Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Ökologie, doch auch diese Branche ist wandlungsfähig und der Landwirtschaft kollektive Ignoranz zu unterstellen, ist schlicht und einfach nicht zutreffend. Schließlich ist Landwirtschaft nicht nur irgendeine Branche, sondern einer der zentralen Grundpfeiler jeder Wirtschaft und jeder Gesellschaft.

Tatsache ist in jedem Fall, Kleinbetriebe wie der der Steiners gehören zur aussterbenden Art. Realität in Deutschland im Jahr 2023 ist, dass immer weniger Landwirte immer größere Flächen bewirtschaften müssen, um wirtschaftlich operieren und überleben zu können. Auch Lukas und Leon könnten von dem, was der elterliche 60-Hektar-Betrieb abwirft, nicht auskömmlich leben. Beide haben daher noch reguläre Jobs, betreiben die Landwirtschaft derzeit noch im Nebengewerbe. Hinschmeißen, darüber denkt keiner der beiden Brüder nach, ganz gleich welche Widrigkeiten dafür sprechen würden. Ganz im Gegenteil, beide wollen die Landwirtschaft ausbauen, die Abläufe durch neue Technologien weiter optimieren. So kommt beispielsweise seit kurzem auf den Feldern der Steiners eine neue Arbeitsdrohne zum Einsatz, mit deren Hilfe die Zwischensaat komplett automatisiert ausgebracht werden kann. Bis zu 30 Kilogramm Saatgut kann eine solche Drohne aufnehmen und diese GPS-gesteuert und autark perfekt auf den Feldern ausbringen, sogar noch bevor die dort wachsenden Früchte geerntet werden.

“Damit sparen wir uns gleich mehrere Arbeitsschritte, müssen deutlich weniger mit dem Schlepper aufs Feld.” berichtet Leon und rechnet vor: “Pro Hektar Fläche braucht unser Schlepper bei jedem Arbeitsgang ungefähr 10 Liter Diesel, bei schwereren Arbeiten sogar mehr”. Die dadurch wegfallenden Emissionen, der niedrigere Verbrauch und die erheblichen Einsparungen sind für Natur und Betrieb in jedem Fall eine Win-Win-Situation. Die Steiners arbeiten auf ihren Feldern mit einer dreifachen Fruchtfolge. Im Gegensatz zu reinen Monokulturen wird nach jeder Saison etwas Neues auf den Feldern angepflanzt, auf Weizen folgt beispielsweise Mais, Raps oder Hopfen. Um den Boden vital und lebendig zu halten, wird in der Übergangszeit die sogenannte Zwischensaat ausgebracht – z.B. Kresse, Senf oder Klee. Musste früher der Boden aufwendig mehrfach mit dem Schlepper umgegraben und eingesät werden, übernimmt die Drohne das nun in einem einzigen Arbeitsschritt, ohne den Grund überhaupt berühren zu müssen.

Die satellitengestützte Landarbeit ist schon länger ein Thema. Der moderne Schlepper der Steiners kann ein komplettes Feld zentimetergenau mittels GPS-Navigation abfahren und bearbeiten. Selbst die Spritzdüsen sind computergesteuert, bis auf Kleinstmengen dosierbar und einzeln ansprechbar, so dass kein Quadratzentimeter Grund zu viel oder zu wenig abbekommt. Das ist wichtig, denn für viele Menschen ist der Einsatz von Spritzmitteln ein rotes Tuch. Tatsächlich wirken sich manche der verwendeten Substanzen tendenziell negativ auf die Trinkwasserqualität und auf die Artenvielfalt aus, jedoch wäre die Bewirtschaftung der Felder ohne die Ausbringung der Mittel nicht mehr ausreichend effektiv um den immensen Bedarf der Lebensmittelindustrie und der Verbraucher sicherstellen zu können. Keine Chemikalien in der Feldarbeit bedeuten weniger Ertrag und höhere Preise, die von den Verbraucherinnen und Verbrauchern faktisch nicht mitgetragen werden. Gerade das gibt der Problematik durchaus eine gesellschaftliche Dimension. Was ist uns, unser Land, unsere heimischen Produkte und unser Essen wert?

Lukas weiß, dass viele Menschen die ausgebrachten Mengen auch stark überschätzen. “3 Liter davon kommen auf 1000 Liter Wasser und das verteilt sich auf viele Hektar Land“, erklärt der 25-Jährige. Die computergestützte Dosierung ermöglicht hier weitere Einsparungen. Auch das Umweltbundesamt bestätigt den Trend: ‘…In den letzten Jahren gingen die Funde von Pflanzenschutzmitteln in Gewässern kontinuierlich zurück. Zwischen 2013 und 2016 überschritten noch etwa 3,8 % der Proben im oberflächennahen Grundwasser den jeweiligen gesetzlichen Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter…” so das Amt auf seiner Webseite.

Doch trotz aller Widrigkeiten, trotz der immer weiter steigenden Anforderungen und des teilweise toxischen, gesellschaftlichen Klimas, wollen Lukas und Leon weitermachen und den elterlichen Betrieb weiterführen. “Es ist mein Herzblut“, sagt Lukas unumwunden. “Wenn ich früh morgens im Schlepper unterwegs bin, meine Musik während der Arbeit höre und dann die Sonne am Horizont aufgeht – das ist einfach wunderschön, da kann ich komplett runterkommen und abschalten”. Die Leidenschaft für den Beruf haben sie von ihrem Vater geerbt. “Landwirtschaft machst du nicht wegen dem Geld, des machsch weil du es magst“, sagt dieser und erzählt, wie seine Söhne schon in ganz jungen Jahren Feuer und Flamme für Bulldog, Schlepper und Co. waren. Bis er den Betrieb an die beiden übergibt, soll es noch ein wenig dauern. “Noch sind sie nicht so weit’” sagt er und trotz seiner vordergründig etwas ruppigen Art, spürt man dahinter den Stolz und die Liebe für seine beiden Jungs.

So wird es auf dem Hof der Steiners weitergehen, die Arbeit, die einst die Urgroßeltern aufgenommen haben, auch in Zukunft fortgeführt werden. Auch wenn sich das “Wie” in der landwirtschaftlichen Arbeit verändert haben mag, bleibt das “Wofür” auch in Zukunft bestehen. Es gilt das Land zu bewirtschaften und sich der Natur, den Elementen und dem Wandel dieser beiden anzupassen – so gut es eben geht. Kein Landwirt kann sich dabei Träumereien hingeben, kein Beruf dürfte mehr Pragmatiker hervorbringen als dieser. Zukünftige Anforderungen, Klima, Wetter, Technologie…damit gilt es Schritt zu halten. “Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, sagt Leon und Lukas nickt zustimmend. Was sich die Brüder von ihren Mitmenschen dafür erhoffen, ist etwas mehr Offenheit, etwas mehr Unterstützung und etwas mehr Zusammenhalt. Eine alte Bauernweisheit bringt das abschließend gut auf den Punkt: “Wo der Bauer arm ist, ist das ganze Land arm.”.

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5 Gedanken zu „“Dann geht die Sonne auf und alles ist gut”“

    • Finde es toll das man auch mal die andere Seite zuhören bekommt.
      Eines weiss ich die heidelsheimer Bürger schätzen die Arbeit der Landwirte das Problem sind oft die zugezogen da gibt es viele die ein Brett vorm Kopf haben.wir wollen ja nicht unter die Gürtellinie gehen

  1. Ganz toller Bericht. Weiter so und der Familie weiter viel Erfolg. Vielleicht begreift auch dann der letzte was für Verantwortungsbewusste Ernährer wir haben.Schenkt den Betrieben eure Wertschätzung.

  2. Vielen Dank, lieber Stephan, für diesen tollen Bericht!
    Ich hatte 21 Jahre meine Pferde bei der Familie Steiner in Pension und kann voll und ganz bestätigten, mit wie viel Fleiß, Leidenschaft und Herzblut die Familie Landwirtschaft betreibt – mit Respekt für die Natur.
    Ich kannte noch Opa Alfred, der mich zu meiner ersten Weinlese mit folgenden Worten begrüßt hat: “Mädchen; beim Weinberg bist du 364 Tage der Knecht und
    1 Tag der König.”
    Diese Werte für Familie, Zusammenhalt ,Respekt und Demut vor der Natur wurde an alle Generationen weitergegeben und dafür stehen auch heute noch Leon und Lukas.
    Vielen herzlichen Dank Familie Steiner, dass ihr mich all die Jahre in eurer Familie willkommen geheißen und meine Tiere so gut umsorgt habt. Es war eine tolle Zeit!
    Ich wünsche euch und eurem Betrieb nur das Beste.

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