Gebt der Gemeinschaftsschule eine echte Chance

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Tag der offenen Tür an der Markgrafen-Gemeinschaftsschule Münzesheim

Es gibt kaum eine Schulart, die heftiger und kontroverser diskutiert wird als die Gemeinschaftsschule. Das liegt zum einen daran, dass diese Schulform noch recht jung ist – sie wurde erst vor sechs Jahren anno 2013 in Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Zum anderen liegt es aber daran, dass diese Art der Schule mit dem bisherigen Schulsystem fast zur Gänze bricht.

Das althergebrachte System setzt bekanntlich auf die konsequente Trennung der verschiedenen Leistungsniveaus und zwar bereits nach dem vierten Schuljahr. Dann trennen sich die Wege der Kinder, oder wenn man es böse formulieren wollte – die Spreu vom Weizen. Auch wenn kein Kultusministerium eine solche Aussage je bestätigen würde, so lässt sich doch das Volksempfinden stark vereinfacht wiedergeben mit: Hauptschule: Schlecht, Realschule: Mittel, Gymnasium: Gut.

Die Gemeinschaftsschule lehnt diese Trennung ab und vereint die unterschiedlichen Schulzüge und Leistungsebenen quasi unter einem Dach. Dieser demokratische und integrative Ansatz wird von vielen Kritikern als realitätsfern zurückgewiesen, Befürworter hingegen sehen in dieser Schulform eine konsequente Antwort auf die immer heterogener werdende Schülerschaft und die Gesellschaft selbst.

Mittlerweile gibt es in Baden-Württemberg rund 300 Gemeinschaftsschulen – eine davon findet sich im Kraichtaler Stadtteil Münzesheim. Hervorgegangen aus der ehemaligen Volksschule, werden hier mittlerweile 393 Schüler von 48 Lehrern nach dem neuen System unterrichtet und ausgebildet. Das Besondere: Jeder Schüler wird hier gemäß seiner individuellen und ureigenen Fähigkeiten gefördert. Lehrer, Schüler und Eltern entscheiden gemeinsam über das entsprechende Lernniveau. Zur Wahl stehen insgesamt drei Ebenen von denen eine zum Hauptschulabschluss, eine weitere zum vollwertigen Realschulabschluss und eine dritte zur Vorbereitung zum Übergang auf die gymnasiale Oberstufe führt.

Damit ein solches System funktionieren kann, braucht es entsprechend ausgebildete und darüber hinaus motivierte Lehrerinnen und Lehrer. Tatsächlich arbeiten Lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen ein überdurchschnittliches Pensum ab, gilt es doch jeden einzelnen Schüler individuell zu betrachten und keinen Frontalunterricht von der Stange abzuarbeiten. Dass diese Herausforderung an der Gemeinschaftsschule Kraichtal gemeistert wird, davon sollten sich Eltern und potentielle Neuzugänge unter den Schülern am vergangenen Wochenende beim Tag der offenen Tür überzeugen.

Die Schulleiter Matthias Fuchs und Bernd Schürle sowie das Kollegium der Markgrafen-Gemeinschaftsschule hatten in jedem Klassenzimmer entsprechende Info- und Mitmach-Angebote vorbereitet. In unkomplizierter und freundlicher Atmosphäre sollte so allen Interessierten das Konzept der Gemeinschaftsschule näher gebracht werden. Dieses setzt auf eine ausgeklügelte Ganztagesbetreuung die die beiden Faktoren “Leben” und “Lernen” in Balance halten soll.

Konkret beginnt ein Tag in der Gemeinschaftsschule mit dem Unterricht um 8 Uhr. Am Vormittag findet in den meist zwischen 20 bis 25 Schülern großen Klassen, der Unterricht in den Hauptfächern statt. Danach gibt es in der Mensa ein Mittagessen und im Anschluss Zeit für Freizeit und Spiele. Danach steht die individuelle Lernzeit auf dem Plan. Hier arbeiten die Schüler selbständig an dem, was in einer konventionellen Schule zu Hause die Hausaufgaben sind. In der Gemeinschaftsschule stehen hierfür Lehrer aus allen Fachbereichen zur Verfügung, um Fragen zu klären und gemeinsam mit den Schülern nach dem jeweiligen Lernniveau den Stoff zu vertiefen. Den Abschluss des Schultages bilden noch zwei Unterrichtsstunden in weicheren Fächern, die dem Umstand Rechnung tragen dass das kindliche Leistungsniveau am Nachmittag tendenziell geringer ausfällt als am Vormittag. Unterrichtsende ist dann schließlich gegen 15:50 Uhr.

Zu den Erfolgen des Systems Gemeinschaftsschule, lässt sich noch kein abschließendes Urteil fällen. Hier darf nicht vergessen werden, dass dieses Schulsystem erst vor fünf Jahren aus der Taufe gehoben wurde und die ersten Schüler gerade erst jetzt davor stehen ihren Abschluss zu machen.

In Kraichtal wurde die Markgrafenschule erst mit dem Schuljahr 2014/2015 zur Gemeinschaftsschule und ist die einzige weiterführende Schule der Stadt. Diese ist sich der Tragweite und Bedeutung dieser Tatsache bewusst und hat vor einigen Jahren beschlossen die Entwicklung der Schule mit einer zweistelligen, millionenschweren Investition zu fördern. Die entsprechende Sanierung sowie der umfangreiche Anbau an die Gemeinschaftsschule befindet sich derzeit in der finalen Bauphase. Kann der aktuelle Zeitplan eingehalten werden, so können die neuen Räume bereits zu Beginn des kommenden Schuljahres in Betrieb gehen. Dann stehen komplett neue Lehrräume für die Gemeinschaftsschule zur Verfügung, die nach modernstem Stand der Technik ausgestattet wurden. Zudem wurde eine neue Mensa mit Platz für rund 150 Schüler erbaut, sowie eine komplette Umgestaltung der Außenflächen vorgenommen.

Wie das Modell der Gemeinschaftsschule selbst, werden auch diese für eine Stadt in der Größe Kraichtals außergewöhnlich hohen Investitionssummen von mehreren Seiten scharf kritisiert – der Erfolgsdruck auf die noch junge Schule ist dementsprechend hoch. Fair wäre es daher von allen Beteiligten, die Markgrafenschule sich erst einmal entwickeln zu lassen. “Es muss erstmal Ruhe reinkommen” sagt Schulleiter Matthias Fuchs und steht damit keineswegs allein. Überall im Land fordern moderate Stimmen, dem neuen System erst einmal die Chance einzuräumen sich zu entfalten. Für aussagekräftige Bilanzen ist es auch nach objektiven Maßstäben einfach noch viel zu früh. Schon Henry Ford konstatierte schließlich einst: Der größte Feind der Qualität ist die Eile.

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