Solange die Abstandsregeln gelten, ist regulärer Unterricht ausgeschlossen
Es ist eine Szenerie, die sich einfach nicht richtig anfühlt. Der große Pausenhof, die Klassenzimmer, die Gänge und Flure der nagelneuen Gemeinschaftsschule Kraichtal, liegen verwaist in der warmen Mai-Sonne. Es ist ein ganz normaler Werktag, eigentlich sollten Hunderte Schülerinnen und Schüler gerade ihre Mittagspause genießen, miteinander quatschen und über das Gelände toben – stattdessen empfängt uns bei unserem Besuch nur Leer- und Stillstand. In wenigen Tagen hätte der millionenschwere Neubau mit einem rauschenden Fest eingeweiht werden sollen, doch wie bei allen anderen Schulen in der Republik auch, hat Captain Corona hier einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen.
Ganz verlassen ist die Gemeinschaftsschule aber natürlich nicht, neben der von Beginn an erfolgten Notbetreuung, werden zwischenzeitlich auch die Klassenstufen neun und zehn wieder durchgehend betreut und unterrichtet – bald kommen auch die Viertklässler hinzu. Die nächste Stufe im Prozess des Wiederanfahrens erfolgt dann nach Pfingsten. Gemäß den Vorgaben des Kultusministeriums aus Stuttgart, werden dann auch die restlichen Klassenstufen wieder unterrichtet.
Allerdings erfolgt der Unterricht dann in einem rollierenden und stark reduzierten System. Jede Klassenstufe wird nur an voraussichtlich vier Stunden pro Tag in jeder zweiten Woche vor Ort unterrichtet. In der restlichen Zeit arbeiten Schülerinnen und Schüler so, wie es in den vergangenen Wochen zur neuen Normalität wurde – von zuhause aus. Wurden am Anfang noch Aufgaben per E-Mail und sogar als Direktzustellung bis an die Haustür geliefert, hat die Schule zwischenzeitlich ein Videokonferenzsystem eingerichtet, über das sich die Kinder untereinander und selbstredend auch mit den Lehrkräften austauschen können. Den direkten Kontakt und die unmittelbare Ansprache kann dieses System natürlich nicht ersetzen, weiß Rektor Matthias Fuchs. Manche Schüler konnte man per Homeschooling überhaupt nicht erreichen, insbesondere jene Kinder aus der Vorbereitungsklasse, die die deutsche Sprache gerade als Grundlage für den weiteren Unterricht erlernen. In Absprache mit dem Schulamt wurde für diese besondere Gruppe, nun wieder ein verpflichtender Präsenzunterricht vereinbart, da die Kinder ansonsten über kurz oder lang durch das Netz gerutscht wären.
Matthias Fuchs weiß, dass viele Familien unter der immensen Belastung zu leiden haben. “Ich bekomme Anrufe von Eltern die verzweifelt und deren Reserven aufgebraucht sind” berichtet uns der erfahrene Pädagoge, dessen Arbeitspensum sich seit Beginn der Krise massiv erhöht hat. Hoffnungen auf eine schnelle Rückkehr zur Normalität kann er allerdings nicht bieten. “Ich gehe davon aus, dass die Einschränkungen noch nach den Sommerferien bestehen werden. Solange es die Abstandsregelungen gibt, kann kein regulärer Unterricht stattfinden”.
Die Gründe dafür sind auch absolut einleuchtend. Da wegen der Verordnungen nur eine gewisse Anzahl von Schülern pro Lerngruppe unterrichtet werden kann, erhöht sich die Anzahl dieser Gruppen eklatant. Weil hingegen etwa 30 % der Lehrkräfte an der Gemeinschaftsschule einer Risikogruppe angehören und daher derzeit nicht unterrichten können, dezimiert sich die Zahl verfügbarer Lehrerinnen und Lehrer im Gegenzug. Durch diese unglückliche Kombination muss der Unterricht insgesamt reduziert werden, sowohl zeitlich als auch inhaltlich.
Obwohl die aus der Not geborenen Regelungen sicher nicht ideal sind, ist Matthias Fuchs dennoch dankbar über die klaren Ansagen aus Stuttgart. Das Kultusministerium mache seinen Job gut, so der Rektor. Es gäbe keine halbgaren Ansagen und das Ministerium halte sich durch akribische Umfragen und Datenerhebungen stets auf dem Laufenden um angemessen und schnell reagieren zu können.
Wie das rollierende System in der Praxis tatsächlich funktionieren wird, bleibt indes abzuwarten. Von insbesondere jüngeren Schülerinnen und Schüler kann kein Mensch erwarten, dass sie die Abstandsregeln genauso gewissenhaft umsetzen, wie manch Erwachsener. Um diese Regeln immer wieder ins Bewusstsein zu rücken, hängen überall in der Schule entsprechende Hinweisschilder, zudem wurden an den Eingängen Spender für Desinfektionsmittel aufgestellt. Eine Maskenpflicht an der Schule gilt übrigens nicht, diese können jedoch freiwillig getragen werden. Anders sieht das während der Fahrten im Schulbus aus, hier ist ein Mund-Nasen-Schutz Voraussetzung für die Beförderung, es sei denn dies ist aufgrund der bekannten Ausnahmebestimmungen nicht möglich.
Schule in Zeiten der Corona bleibt also weiterhin ein Experiment, dessen Folgen mangels entsprechender Erfahrungswerte wohl aktuell niemand wirklich abschätzen kann. Auch wenn die Schülerinnen und Schüler nun allmählich und Stück für Stück wieder ihren Schulalltag in Münzesheim aufnehmen, ist die Rückkehr zur gewohnten Struktur weiter nicht in Sicht. An der Gemeinschaftsschule Kraichtal bemühen sich Rektor Matthias Fuchs und sein Kollegium nach Kräften darum, so viel Normalität zu schaffen wie es Ihnen nur möglich ist. Wenn alles überstanden ist, soll die große Eröffnung der Schule aber natürlich gefeiert werden. “Da bestehe ich drauf” sagt Rektor Fuchs, widmet sich dem nächsten Schwung Papiere aus dem hohen Stapel auf seinem Schreibtisch und stellt augenzwinkernd fest: „Zumindest sieht man nun schon, dass Schule als Institution wohl doch sehr sinnvoll ist.“