Ein friedlicher Ort

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Mitten im alten Oberöwisheim findet sich eine der schönsten Büchereien des Kraichgau. Leider weiß das kaum jemand

Wenn man die alten Steinstufen des evangelischen Gemeindehauses in Oberöwisheim hinaufsteigt, die Tür zur rechten öffnet und tief durchatmet, dann beginnen Zeit, Stress und Hektik sofort wie eine welke Schale abzublättern. Die Atmosphäre, die Barbara Swanton und ihre Mitstreiter hier oben auf der kleinen Empore geschaffen haben, verströmt eine liebenswerte Mischung aus Nostalgie, Ruhe, Gemütlichkeit und diese eigenartige Magie, die nur im Beisein von Büchern entsteht. Gedämpftes Licht, viele kleine Ecken und Rückzugsorte, dazu der lieblich-schwere Geruch bedruckten Papiers. Es gibt Sofas, Sessel, eine kleine Kaffeeküche, eine Schmökerecke für Kinder, mannshohe Regale mit Gesellschaftsspielen, eine Mediathek mit unzähligen Filmen und dazu natürlich Bücher, Bücher und nochmal Bücher. Vor über 15 Jahren kam Barbara als gelernter Buchhändlerin die Idee, die Ölbergbücherei aus der Taufe zu heben. Damals entdeckte sie im Keller die Reste einer längst aufgegebenen Kirchenbibliothek und überzeugte die Veranwortlichen von einem Neustart in völlig neuer Form.

Die Ölbergbücherei gibt es tatsächlich schon eineinhalb Jahrzehnte lang, aber sie hat zwei entscheidende Probleme: Zum einen kennt sie kaum jemand und viele von denen die sie kennen, glauben es handle sich dabei um eine christliche Bücherei mit eher monothematischer, christlicher Literatur. Lassen Sie uns mit den gängigsten Vorurteilen daher ein für alle Mal aufräumen. Der Name Ölbergbücherei steht nicht im eigentlichen Sinne für den Ölberg in Jerusalem, die Bibliothek verdankt ihren Namen nur der Straße, in der sie sich befindet, diese heißt nun einmal Ölbergstraße. Das Suffix ev. für evangelische Ölbergbücherei verweist nur darauf, dass die evangelische Kirche ihre Räumlichkeiten für die Bücherei zur Verfügung stellt, sich aber in keinster Weise in die thematische Aufstellung oder literarische Zusammensetzung ihrer Bestückung einmischt. Tatsächlich ist die kleine Bücherei in Oberöwisheim äußerst weltlich aufgestellt – hat sämtliche gängige Literatur, für die sich eine möglichst breite Altersspanne interessiert – zu bieten. Darunter sind unzählige Werke der Jugendliteratur, Sachbücher, sowie reichlich Belletristik inklusive zahlreicher aktueller Bestseller. Die Bezeichnung Bücherei ist dabei schon fast zu tief gestapelt, eigentlich handelt es sich bei der Ölbergbücherei viel mehr um eine Mediathek. Schließlich gibt es auch reichlich Spiele und dazu audiovisuelle Medien, wie beispielsweise DVDs mit Serien oder Filmen und nicht zuletzt Hörbücher zu entleihen. Rund 7000 Medien finden sich derzeit im Bestand von Barbaras Swantons Baby, täglich werden es mehr.

Kraichtal hat also eine Bücherei, auch wenn das vielen überhaupt nicht bewusst sein dürfte. Diese Bücherei hat für wirklich alle und jeden geöffnet, man muss weder Mitglied der evangelischen Kirche sein, noch aus Oberöwisheim stammen. Ermöglicht wird dieses außergewöhnliche Leuchtturmprojekt durch Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, finanziert durch Spendengelder und Mitgliedsbeiträge. Kinder bezahlen beispielsweise zwei Euro im Jahr, Erwachsene fünf Euro, für Familien inklusive aller Kinder werden zehn Euro fällig. Ein Kind zahlt also nur 16 magere Cent pro Monat, um sich das ganze Jahr über mit Büchern, Spielen und Filmen zu versorgen, wenn das mal kein faires Angebot ist.

Bei diesen Beträgen wundert es nicht, dass die Bücherei chronisch unterfinanziert ist, vieles direkt aus den privaten Kassen der ehrenamtlichen Mitarbeiter gestemmt werden muss. Zum Beispiel Knabberzeug für das regelmäßige “Meet & Read”, einem Treffen am ersten Freitag eines jeden Monats bei dem ab 20:00 Uhr alle zusammenkommen können um sich miteinander auszutauschen, zu lesen, zu reden und vielleicht ein Gläschen Wein zu trinken. Dazu kommt der allsonntägliche Kaffeeklatsch, bei dem ab 11:00 Uhr bei einer Tasse Kaffee oder Tee miteinander in Kontakt getreten werden kann. Denn auch das ist die Ölbergbücherei – ein Treffpunkt, ein Ort an dem Menschen zusammenkommen können, völlig unabhängig von der Herkunft, der Konfession oder aus welchem der neun Stadtteile Kraichtals man den Weg hierhin findet.

Auch die Stadt Kraichtal weiß, welches Juwel hier ehrenamtlich in Oberöwisheim entstanden ist und kündigt an, das Projekt Ölbergbücherei nach Kräften zu fördern. Bürgermeister Tobias Borho, der zusammen mit seiner Frau Amelie nicht nur den Förderverein unterstützt, sondern auch aus privaten Mitteln einen Rückgabekasten für Bücher angeschafft hat, will die Institution stärker in Kraichtal verankern. Da die Ölbergbücherei bislang aber als privates Projekt rangiert, ist eine städtische Förderung nicht ohne weiteres möglich. Potentieller Gamechanger ist hier der neu gegründete Förderverein, ein Hebel, mit dem die Stadt etwas bewegen kann: ”Es ist ein Kraichtaler Verein und damit fällt er auch unter die Förderrichtlinien der Stadt Kraichtal. Wir hatten verschiedene Überlegungen auch schon, wie wir da über das Maß, was in den Förderrichtlinien drin steht, die Ölbergbücherei hinaus fördern können. Das haben wir aber aufgrund der Rücksprache, aufgrund der aktuellen Haushaltslage erstmal hinten angestellt, weil die Ölberg Bücherei wachsen will. Weil wir hier eine Erweiterung planen in den Nebenräumen, das ist auch schon mit der evangelischen Kirchengemeinde abgesprochen, die auch diese kostenlos zur Verfügung stellt, was uns ganz arg freut. Und bevor wir jetzt quasi in die Richtung gehen, Finanzierung für Personal oder sonst irgendwas, wird jetzt erst mal der Blick hierauf gerichtet auf die Erweiterung. Und auch da werden wir gucken, wo wir das finanziell unterstützen können.”

Der Bürgermeister arbeitet also an einer finanziellen Unterstützung seitens der Stadt, die zunächst der Erweiterung der Räumlichkeiten zugute kommen soll. Erster Knackpunkt ist hier ein notwendiger Mauerdurchbruch, für den Barbaras Swanton und ihre Mitstreiter aktuell Kostenvoranschläge einholen, die allerdings in ihren Dimensionen über den Möglichkeiten der kleinen Bücherei liegen. Vieles wird ohnehin durch ehrenamtliche Arbeit erledigt werden müssen, wenn der Mauerdurchbruch einmal geschafft ist, sollte die Renovierung der zwei zusätzlichen kleinen Räume aber so machbar sein.

Unterstützen kann und sollte aber jeder die kleine Ölbergbücherei, der sich für dieses Konzept erwärmen und begeistern kann. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten, beispielsweise eine Mitgliedschaft im Förderverein. Für einen Jahresbeitrag von derzeit 15 Euro lässt sich die Arbeit des ehrenamtlichen Teams der Ölbergbücherei unterstützen, alternativ sind auch Geld- oder Sachspenden möglich. Mit Letzterem sind gut erhaltene Bücher, Hörbücher oder DVDs gemeint, allerdings nicht irgendwelche uralten Schinken, sondern halbwegs aktuelle Literatur, an denen möglichst viele Menschen auch heute noch Freude haben können. Zu guter Letzt gibt es natürlich noch die Möglichkeit, sich selbst in der Bücherei zu engagieren, beispielsweise an der Ausleihe auszuhelfen, dass die Öffnungszeiten dadurch erweitert werden können. Diese sind derzeit noch eher überschaubar. Aktuell öffnet die Ölbergbücherei jeden Sonntag von 11:00 Uhr bis 12:00 Uhr, dienstags von 16:30 Uhr bis 17:45 Uhr und zusätzlich jeden ersten Freitag im Monat ab 20:00 Uhr zum oben erwähnten “Meet & Read”.

Infos zum Standort

Ölbergbücherei Kraichtal

Ölbergstr. 4, 76703 Kraichtal-Oberöwisheim

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1 Gedanke zu „Ein friedlicher Ort“

  1. Wunderschön!
    Aber anstatt sich wieder mit fremden Lorbeeren zu schmücken, wär’s doch mal was, wenn hier schnell von der Stadt unterstützt würde.
    Stadtdessen das übliche Gejammer und „hinten anstellen“…
    Und leider auch ein Zeichen dafür, welche Rolle Literatur hier wirklich spielt.
    Was sind schon Bücher gegen Autos…

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