Echtes Mietgefühl

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“Wenn jetzt jeder Egoismus auspackt, bricht alles zusammen”

Anstatt starr auf die Miete zu pochen, greift Zimmerermeister Bernd Loho seinen Mietern Sabine und Herbert vom Güldenen Becher in Östringen mit einer außergewöhnlichen Aktion unter die Arme

Die Lage der unzähligen Gastronomen im Land wird immer verzweifelter. Seit Monaten sind ihre Gasthäuser und Wirtsstuben geschlossen, ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Während der Außer-Haus-Verkauf oft nur kleines Geld in die Kassen spült, laufen die mitunter beträchtlichen Ausgaben meist unvermindert weiter. Ein großer Teil wird für Pachten und Mieten fällig, berichtet beispielsweise der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser in der Berliner Zeitung und plädiert für ein zügiges Eingreifen des Gesetzgebers um weitere Schäden für die Branche abzuwenden.

Selbstredend trifft aber das gern gezeichnete Bild des gierigen und kompromisslosen Vermieters bei weitem nicht auf alle Immobilienbesitzer zu. Unter ihnen gibt es viele, die durchaus wissen, welche Nöte und Sorgen ihre Mieter derzeit durchleben und die bereit sind ihnen handfeste Hilfe anzubieten. Ein solcher Vermieter ist auch der Zimmerermeister Bernd Loho. Lange Jahre lebte der gebürtige Angelbachtaler in Östringen, war hier sogar im Stadtrat aktiv. Sein Vater erwarb vor vielen Jahrzehnten das alte Sinsheimer Hofgut an der Östringer Hauptstraße, vielen besser bekannt als die Traditionsgaststätte “Güldener Becher”. Mit jungen 18 Jahren erbte Bernd Loho das Gebäude und sanierte es über lange Zeit aufwendig und mit viel Liebe, ein entsprechend starkes Gefühl bindet ihn daher an das alte Haus. Mit den derzeitigen Mietern, Herbert und Sabine, ist er sehr zufrieden – man schätzt sich gegenseitig, kommt gut miteinander klar. Dass der Lockdown die Wirtsleute unverschuldet in eine prekäre Situation gebracht hat, tut dem 65-jährigen Zimmerermeister leid, für ihn war klar – es gilt nun zusammenzuhalten. “Wenn jetzt jeder Egoismus auspackt, bricht alles zusammen”, ist sich Bernd Loho sicher und erließ den beiden in einem ersten Schritt die Miete für den Januar.

Wirtin Sabine vom Güldenen Becher mit ihrer Tochter

Soweit so gut, doch nun hat Bernd Loho einen Weg entdeckt, einerseits seinen Mietern unter die Arme zu greifen, andererseits das eigene Geschäft zu stützen. So machte ihn seine Lebensgefährtin auf einen Bericht über eine Gutscheinaktion aus Freiburg aufmerksam. Die dortige Kreishandwerkerschaft hatte vor einiger Zeit das Konzept “Handel hilft Handwerk” ins Leben gerufen. Hierbei verschenken Handwerker ab einem gewissen Auftragswert Gutscheine für den örtlichen Handel oder die örtliche Gastronomie an ihre Kunden. Die Kosten dafür begleichen Sie selbst, um so solidarisch die zwangsweise geschlossenen Betriebe zu unterstützen. Bernd Loho hat dieses Konzept übernommen und für seine Beziehung zu Herbert und Sabine vom Güldenen Becher angepasst. Und das geht so: Er verschenkt an seine wichtigsten Kunden Gutscheine für den Güldenen Becher im Wert von jeweils 20 Euro. Diese Gutscheine können bereits jetzt für den Abholservice oder auch später nach der Wiedereröffnung genutzt werden. Den Wert der Gutscheine zieht er seinen beiden Mietern von der fälligen Miete ab, bei angestrebten 400 Gutscheinen immerhin ein Betrag von 8000 Euro. Herbert und Sabine sind von diesem Konzept restlos begeistert, erschließen sie doch dadurch viele neue Gäste und verdienen unterm Strich auch deshalb an ihnen, weil selten nur für 20 Euro gegessen oder getrunken wird. Meist fällt die Rechnung ja etwas höher als dieser Basisbetrag aus. Die beiden Wirtsleute profitieren also von mehr Kunden, mehr Umsatz und gleichzeitig im Hintergrund von nicht stetig ansteigenden Mietschulden, während Zimmerermeister Bernd Loho seinen Kunden etwas Gutes tun kann und dadurch in Sachen Marketing ein paar Pluspunkte sammelt. In der Tat eine echte Win-Win-Situation wie sie im Buche steht. 100 Gutscheine hat Bernd Loho auf diese Art und Weise bereits verschickt, in den nächsten Wochen sollen noch rund 300 hinzukommen. Eine tolle Idee der Wertschätzung und ein unbürokratische Bekenntnis zur gegenseitigen Solidarität in der Krise.

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