Es war einmal: Die Todesraupen von Bretten – Eine Stadt in Angst und Panik

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Aus der Reihe „Kleine und große Katastrophen des Alltags“ schauen wir heute zurück auf die ersten warmen Tage des Jahres 2019. Vor drei Jahren machten Eichenprozessionsspinner das Gelände einer Brettener Schule unsicher. Neben Gelassenheit und Pragmatismus reagierten manche dereinst darauf mit einer weiteren Emotion: Hysterie. Ein gefundenes Fressen für unserem Kolumnisten Thomas Gerstner.

Eine Kolumne von Tommy Gerstner

Sind wir ehrlich Freunde, die Zahl der Tage an denen in Bretten mal so richtig der Bär steppt kann man an den Fingern abzählen. Drei davon sind schon reserviert durch jene Phase in denen die Brettianer Leinenhemden tragen und sich beim Biertrinken aus dem Holzkrug Spreisel in den Lippen zuziehen und die verbleibenden Action-Szenen behandeln meist vollgelaufene Keller und Vorgärten.

In diesem Jahr hat sich der Herrgott aber etwas ganz besonderes einfallen lassen und eine Plage biblischen Ausmaßes über das gute alte Brettheim hereinbrechen lassen. Weil Heuschrecken in größeren Chargen aber wohl nicht verfügbar waren, griff der Herr zu jenen Viechern die wegen ihrem scheißlangen Namen echt kacke in eine griffige Online-Schlagzeile zu packen sind. Die Eichenprozessionsspinnerraupen bzw. deren Schambehaarung suchten eine Brettener Schule gleich zweimal binnen weniger Tage heim und stifteten Chaos und Panik allerorten.

Sofort nach Bekanntwerden der Naturkatastrophe hörte man überall das kreischende Dröhnen der Rotoren zahlloser aufsteigender Helikopter-Eltern und in den sozialen Netzen brach die Naturgewalt sich ihren Weg. Schließlich muss es in diesem Fall ja einen Schuldigen geben und da der adoleszente Kraichgauer bei Kindern und kleinen Katzen kein Pardon kennt, flogen die Fetzen in hohen Bögen. Von Obrigkeitsversagen bis hin zur massenhaften Bekundung den eigenen Nachwuchs durch Herausnahme aus dem Unterricht heroisch zu schützen, reichte die Palette der Massenhysterie.

Klar, allergische Reaktionen sind keine schöne Sache und bei Kinder schon gar nicht. Wir reden bei den Auslösern hier aber nicht von einem Chemie-Unfall im Industriegebiet, einem Strahlungsleck im AKW oder vergifteten Mahlzeiten in der Mensa, sondern von einer kleinen Raupe die sich überall auf unserem Kontinent findet. Es gibt im Leben Risiken und es ist unmöglich allen aus dem Weg zu gehen – schon gar nicht sie gänzlich zu vermeiden.

Was sollen die Verantwortlichen denn außer einer Grundreinigung und einer Durchsuchung der Umgebung nach Nestern tun? Na ja, ein paar Möglichkeiten gäbe es schon… Wir könnten alle Sträucher und Bäume in der Stadt abholzen und jedes Krabbeltier ausrotten das es wagt die Fühler in den Brettener Himmel zu strecken… Wir könnten die beiden Schulen großzügig mit Asbest bepinseln und anschließend einen Napalm-Teppich über den bösartigen Viechern niedergehen lassen oder wir setzen hochgiftige afrikanische Baumschlangen aus, deren Population wir – nachdem sie alle Raupen vertilgt haben – durch die Ansiedlung von Grizzlybären in den Griff bekommen… Vielleicht stecken wir die Kids aber auch in diese gelben Anzüge aus Outbreak und führen die Atemluft gefiltert über Schläuche zu…

Chers amis, Dinge wie diese passieren, es gibt keine absoluten Sicherheiten und auch keinen Anspruch darauf. Manchmal sind es Läuse, die Krätze, Pollen, Keime und ab und an auch mal Eichenprozessionsspinner… In anderen Ländern dieser Erde gehen Kinder zur Schule und stolpern auf dem Schulweg über Giftspinnen, Schlangen oder Alligatoren… irgendwie werden daraus auch Erwachsene. Ein Brettener Schulkind könnte jeden Tag überfahren werden, von einem Meteor oder dem Blitz getroffen werden oder an seinem Pausenbrot ersticken… Der sicherste Weg es davor zu bewahren, wäre es in seinem Zimmer hermetisch abzuriegeln und vom Rest der Welt zu isolieren, was dabei herauskäme dürfte Ihnen klar sein.

Eichenproze.. spin,,Euchprspi…sie wissen schon gehören zu unserem Leben und sind Teil unserer Welt. Wir haben schon in den 80ern fette Raupen aufgesammelt und sie über unsere Arme krabbeln lassen um danach rote, juckende Pusteln und Quaddeln aufzukratzen. Wir sind auf Eiben geklettert und rot gesprenkelt wieder runtergekommen…. aber… wir leben noch – wir sind noch da.

Seit Jahren sind Allergien bei Kindern auf dem Vormarsch… das liegt auch daran wie wir Ihnen die Welt präsentieren und vorstellen. Machen wir Ihnen Angst und reagieren auf die kleinen Pirouetten des Lebens überdosiert und hysterisch so färbt das auf die Kids ab. Lasst die Kids spielen, sie von Bäumen fallen, durchs hohe Gras robben, Insekten betatschen und bitte… die Sagrotan-Tücher stecken… Lehrt Eure Kinder Gelassenheit, denn sie ist die angenehmste Form des Selbstvertrauens.

Ein Schlusszitat von Marie von Ebner-Eschenbach am Ende einer Kolumne von Thomas Gerstner (Vater, ehemaliger Baumkletterer und im Matsch-Spieler)

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