Der Teilzeit-Rote

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Eigentlich ist Kraichtals Bürgermeister Tobias Borho Mitglied der SPD, für den Kreistag kandidieren möchte er allerdings im Lager der Freien Wähler. Eine Entscheidung, die nun für einigen Wirbel sorgt

von Stephan Gilliar

Dass Tobias Borho in den Kreistag des Landkreises Karlsruhe gehört, das steht im Grunde außer Frage. Als Vertreter der Stadt Kraichtal als größter Flächengemeinde in der Region sollte diese auch mit ihren Anliegen und Interessen im dafür zuständigen Regionalparlament vertreten sein. Sein Vorgänger Ulrich Hintermayer war hier vertreten, ebenso wie dessen Vorgänger Horst Kochendörfer.

Bei Tobias Borho würde man nun erwarten, dass er als ordentliches Mitglied der SPD über deren Kandidaten-Liste in den Kreistag einziehen würde, doch der 30-Jährige, der seit 2021 Bürgermeister der Stadt Kraichtal ist, folgte dieser Erwartungshaltung seiner Parteikollegen nicht. Stattdessen kündigte er an, auf der Liste der Freien Wähler für den im kommenden Jahr zu wählenden neuen Kreistag zu kandidieren und löste damit zumindest auf Seiten der SPD ein kleines Erdbeben aus.

Seine Parteimitgliedschaft sei eine private Angelegenheit, so Tobias Borho, der auch seinen Wahlkampf als Bürgermeister unabhängig und nicht als SPD-Kandidat bestritt und letztlich auch gewann. “Ich bin nicht der Bürgermeister einer Partei, sondern ich bin der Bürgermeister der Stadt Kraichtal und damit der Bürgermeister aller Kraichtalerinnen und Kraichtaler. Dies ist unabhängig davon, ob sie mich gewählt haben oder nicht, oder Mitglieder einer Partei sind oder nicht.” so Borho in einer Stellungnahme unserer Redaktion gegenüber. “Ich habe im Wahlkampf immer wieder ganz klar kommuniziert, dass ich Mitglied einer Partei bin, dieser Umstand für mich aber weder in meinem Amtsverständnis, noch in meiner Amtsausübung für mich eine Rolle spielt.”

Die Freien im Kraichtaler Gemeinderat freut`s natürlich, wird Ihnen der illustre Zugang doch im Kreistag zu einer stärkeren Position verhelfen. Reinhard Müller von den Freien Wählern und Borhos Stellvertreter im Rathaus sicherte ihm seine volle Unterstützung zu und warb für eine Abkehr vom Denken in klassischen Mustern: “Im Gemeinderat sollte generell das Denken in Parteistrukturen nicht im Vordergrund stehen, sondern eine erfolgreiche Kommunalpolitik über Parteigrenzen hinweg. Wir Freien Wähler Kraichtal e.V. sind nach Satzung nur den Interessen der Kraichtaler Bürgerinnen und Bürger verpflichtet… “ so Müller, der auch noch einmal hervorhob, dass die Freien Wähler e.V. ein Verein sind und ganz bewusst keine Partei. Fraktionsführer der Freien Wähler und Amtskollege Felix Geider bezeichnete gar die Entscheidung Tobias Borhos als Glücksfall. “…Die gesamte Fraktion freut sich über seine Kandidatur auf unserer Liste. Ob mit Parteibuch oder ohne, auf der ausschließlich kommunalen und regionalen Ebene finden Freie Wähler über Sachthemen zusammen. Das ist genau das, was uns als Verein von den Parteien unterscheidet.”

Weniger enthusiastisch bewertet man die Entscheidung von Tobias Borho erwartungsgemäß auf Seiten der Sozialdemokraten. Gunther Wössner vom Ortsverband der SPD kritisiert im Gespräch mit Hügelhelden.de das Vorgehen seines Parteikollegen. Die Fraktion wie auch der SPD-Ortsverein seien natürlich geschockt über so eine persönliche Entscheidung, so Wössner. Natürlich habe Tobias Borho das Recht diese Entscheidung zu treffen, doch was die SPD-Statuten betrifft, sei es nicht in Einklang zu bringen, dass man auf der einen Seite für die freien Wähler im Kreistag sitzt, dabei aber weiter SPD Mitglied bliebe. Einen Bruch möchte Wössner aber nicht forcieren. “Ich möchte aber auch ganz klar sagen, uns ist wichtig, dass die erfolgreiche Arbeit im Gemeinderat zumindest bis zur Wahl fortgesetzt wird und hoffnungsvollerweise auch danach… Von daher werden wir jetzt nicht auf Konfrontationskurs mit dem Bürgermeister gehen, weil für uns ganz klar ist, dass die Stadt im Mittelpunkt steht und ein sozialdemokratisches Wirken in der Stadt..”

Die Frage, die sich nun stellt: Kommt der Ausschluss oder kommt er nicht? Tatsächlich sieht der entsprechende Paragraph 6 im Organisationsstatut der Partei in einem solchen Fall im Worst-Case-Szenario auch einen Parteiausschluss vor, weiß auch Volker Geisel, Kreisvorsitzender der SPD Karlsruhe-Land: “Die Entscheidung von Tobias Borho ist daher für unsere Partei bedauerlich – wir hätten es gerne anders gehabt. Tobias Borho hat seine Entscheidung aber selbst nach reiflicher Überlegung getroffen, und das ist zu respektieren. Das Parteistatut ist eindeutig: Wer auf einer konkurrierenden Liste antritt, muss die Partei verlassen. Sobald seine Kandidatur formal beschlossen ist, liegt alles Weitere beim Landesvorstand…” Für Geisel wäre eine Kandidatur Tobias Borhos auf der SPD Liste allerdings auch mit einem großen, persönlichen Risiko verbunden, im schlimmsten Falle wäre er im kommenden Kreistag schlicht nicht mehr dabei, da gibt er sich keinen Illusionen hin: “Ich hatte Tobias Borho schon bald nach seiner Wahl angeboten, auf der SPD-Liste für den Kreistag zu kandidieren, auch wenn das für mich mit hoher Wahrscheinlichkeit den Verlust meines Kreistagsmandats bedeutet hätte. Das Interesse der Partei ist hier höher zu bewerten als meine Mitgliedschaft im Kreistag, auch wenn ich mein Mandat sehr gerne wahrnehme.”

Weit weniger gelassen betrachtet SPD-Fraktionschef Markus Rupp die Angelegenheit, zeigt sich über das Vorgehen des Kraichtaler Bürgermeisters überrascht und enttäuscht. Man könne nicht zwei Pferde auf einmal reiten, er habe für den Schritt Tobias Borhos keinerlei Verständnis. “Sein eigener Parteiaustritt wäre konsequent, ansonsten greift eben das bekannte Parteistatut das eben auch einen Parteiausschluss vorsieht. Seine Kandidatur für die Freien Wähler schadet in vielfacher Hinsicht der SPD“, stellt Rupp fest und macht auch seinem Unverständnis keinen Hehl: “Das ist meine Meinung, die ich mehrfach in den letzten Wochen geäußert habe.”. Für Rupp ist das Vorgehen Tobias Borhos ein No Go. Für ein moderates Vorgehen in dieser Sache gibt es für ihn keinen Grund. Für den überzeugten Sozialdemokraten ist die Mitgliedschaft in einer Partei etwas Bedeutsames, das konsequentes und geradliniges Handeln voraussetzt. Alles andere fördere nur die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung, so Rupp.

Der Kritisierte zeigt sich angesichts des Widerstandes aus den Reihen der SPD gleichermaßen irritiert und enttäuscht, bringt dies im persönlichen Gespräch mit bissigem Sarkasmus auf den Punkt: “Ich habe schließlich niemandem meinen Erstgeborenen versprochen”. Aus eigenem Antrieb wolle er die Partei nicht verlassen, kritisiert hingegen vielmehr die aus seiner Sicht nicht mehr zeitgemäßen Regelungen: “Nein, ich trage mich nicht mit dem Gedanken die Partei zu verlassen. Alle weiteren Entscheidungen bezüglich meiner Mitgliedschaft muss die SPD und ihre lokalen Gliederungen, also der Landes- bzw. der Kreisverband und der Stadtverband der SPD Kraichtal treffen. Eventuell bietet der dort entstehende Diskurs aber auch die Möglichkeit Parteiregularien zu hinterfragen, welche aus einer Zeit stammen, die mit unserer heutigen Realität und Wirklichkeit nur noch am Rande etwas zu tun haben.

Tobias Borho ist keineswegs der erste Kandidat, der trotz anders lautender Parteizugehörigkeit über eine parteifremde Liste versucht in den Kreistag einzuziehen. Sein Amtskollege, der Philippsburger Bürgermeister Stefan Martus, kandidierte vor einigen Jahren trotz CDU-Parteibuch auf einer freien Liste, kam dem anschließenden Ausschlussverfahren durch den eigenen Ausstieg bei den Christdemokraten zuvor. Vermutlich wird auch Tobias Borho nicht der letzte sein, der sich in die Reihe dieser Rebellen einreiht. Wie man über den weit gestreuten Flurfunk derzeit erahnen kann, wird die Liste der Kandidaten für den kommenden Kreistag auch in anderen Parteien noch weitere, diesbezügliche Überraschungen bereithalten. Während die einen das als Verlust von Integrität und Haltung verurteilen, sehen andere darin einen überfälligen Paradigmenwechsel. Ob Tobias Borho quasi als “Teilzeit-Roter” gleichzeitig Mitglied der SPD bleiben kann, während er für die Freien Wähler für den Kreistag kandidiert? Egal wie sich die Partei letztendlich entscheiden wird, keines der möglichen Szenarien dürfte bei den Sozialdemokraten für gute Laune sorgen. Sieht man über die Kandidatur hinweg, droht ein Gesichtsverlust, schließt man Tobias Borho aus, der Verlust eines namhaften Mitgliedes.

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11 Gedanken zu „Der Teilzeit-Rote“

  1. Wie der Wind halt weht, nichts Neues aus der Politik !! Werte und Identität haben, ist unbezahlbar und ist tief im Innern verankert …. Politiker können das nicht haben , sonst wären Sie nicht in der Politik ! 🤞

  2. Ich finde es sehr gut, auch mal über den Tellerrand hinaus zu schauen. Die Parteibücher behindern ebenfalls in der Bundespolitik kluge Ansätze, nur weil der Vorschlag aus dem falschen Lager kommt.
    Wo das hinführt, sieht man an der Uneinigkeit der Politik, sich unvoreingenommen mit den Vorschlägen auseinander zu setzen!

    • Schön wäre es,man würde besonders in der Kommunalpolitik Lösungen im Schulterschluss mit anderen Parteien zu Wohl der Stadt und Gemeinde finden. Leider ist das im Kraichtaler Gemeinderat nicht so. Auch wirkt der Bürgermeister nicht als Bürgermeister für alle.Auch wenn die Freien Wähler offiziell kein Parteibuch haben und als Wählerverein gelten, kann man die FW doch dem konservativen Lager zu rechnen. Als Sozialdemokrat ( mit Parteibuch und als Privatperson) zu den Freien Wähler zu wechseln erschließt sich mir nicht. Schlussendlich jedoch seine Entscheidung.

  3. Die Entscheidung ist aus persönlicher Sicht des guten Herrn durchaus nachvollziehbar, dürften doch aktuell die Erfolgschancen auf einer FW Liste deutlich über denen einer SPD-Liste liegen.
    Allerdings wünscht man sich als Bürger doch eigentlich integere, moralisch standfeste Persönlichkeiten, die nicht ihr Fähnchen in den nächstbesten Wind hängen, sondern mit Sachverstand und Weitsicht ihre politische Arbeit zum Wohle der Wähler verrichten.
    Davon sind wir sowohl auf Bundes- und Landesebene, als auch bis hinunter zur kommunalen Ebene, wie dieses Beispiel anschaulich verdeutlicht, doch sehr weit entfernt.

  4. Er hängt die Fahne in den Wind…
    Mal weht die dahin, dann dahin.
    Standfestigkeit und politisch eindeutige Zuordnung…Fehlanzeige.
    Für mich reiner Opportunismus zum persönlichen Machterhalt.
    Wenn wenigstens was dabei herauskommen würde.
    Als SPD Mitglied würde ich mich verraten fühlen.
    Als Wähler fühle ich mich getäuscht und hintergangen.

  5. Herr Borho macht gute Arbeit! Das ist doch die Hauptsache für unser marodes Kraichtal!!! Parteibücher sollten keine Rolle spielen. Und außerdem leben wir in einer Demokratie. Er wird seine Gründe haben!!!!!!!

  6. Herr Borho macht keine gute Arbeit.
    Und es stimmt, Kraichtal ist marode, schon lange.
    Politische Willensbildung findet über Parteien statt.
    Und auch in einer Demokratie kann nicht jeder grad machen, was er will oder ihm nutzt.
    Und Gründe sollte man in dieser (gewählten) Position offen legen.

    • Genau, im wählertäuschenden Tarn-Parteibuch…undercover SPD…
      Die beste Idee, die die Konservativen je hatten…

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