Wenn Freiheit wichtiger als Sicherheit ist
Zu Besuch bei einem Vagabunden
Gesehen hat ihn jeder schon einmal – den Mann mit dem Lederhut und den weißen Hunden. Jenen der barfuß und mit wippendem Rauschebart den Kraichgau durchwandert, Tag für Tag, bei jedem Wetter. Kennen dürften ihn dagegen die wenigsten und das ist ihm auch recht so.
Joachim, so heißt er, lebt zwar mitten unter uns und könnte doch nicht weiter von uns entfernt sein. Wir mit unseren vollen Terminplanern, festen Arbeitszeiten und Hypothekenraten… und er – der Vagabund, oder moderner Nomade, wie er sich selbst nennt. Seit drei Jahren wohnt er in einem Peter-Lustig-blauen Bauwagen am Ortsrand von Unteröwisheim, zusammen mit seinen beiden schneeweißen Schäferhunden Heckmeck und Trulla. Heckmeck, der Hunde-Opa kann nicht mehr ganz so schnell wie die wenige Monate alte Trulla, die dafür vor Übermut durch die Gegend schießt. Auch Joachim plagt mit seinen 50 Jahren schon das eine oder andere Zipperlein. Der rechte Fuß ist rot und rissig. Zum Arzt gehen will Joachim aber nicht – jeder Kontakt mit unserer Welt wird bei ihm sorgfältig abgewogen. Er vertraut lieber auf seine Selbstheilungskräfte. Beim Zahnarzt ist er vor Jahren einmal gewesen, als die Schmerzen im Backenzahn zu groß wurden – das war es aber auch schon in Sachen Gesundheitsvorsorge.
Gedanken macht er sich aber schon. Was wenn ich in meinem Bett mal einen Herzinfarkt bekomme, fragt er sich und Sorgenfalten gesellen sich zu den ohnehin schon tiefen Furchten auf seinem gelebten Gesicht. So schnell würde ihn hier draußen niemand finden, das ist sicher. Aber im Großen und Ganzen geht es im gut, hier in seinem kleinen Refugium. Die Ausstattung in seinem Wagen ist spartanisch, aber effektiv. Es gibt eine kleine Solaranlage, auf die er zwei Jahre gespart hat. Sie versorgt einen klitzekleinen Kühlschrank, einen Fernseher und einen CD-Player mit Strom. Mit Letzterem hört er die großen Rocklegenden: Black Sabbath, Ozzy Osbourne und Jethro Tull. Seine Idole hat er sich sogar überall auf den Körper tatöwieren lassen, erzählt er uns und entblößt seinen Bauch der wie ein Cover einer Rock-LP verziert ist. Ein bisschen müffelt es, als er das tut – doch ohne Wasseranschluss bleibt die tägliche Hygiene eben auf der Strecke. Wenn er sich duschen will oder die wenigen Klamotten waschen möchte, fährt er ins Itzel-Haus nach Bruchsal. Dort ist der Andrang zwar manchmal so groß, dass er stundenlang warten muss, aber es ist eben besser als gar nichts. Zur Not hat er ja noch das große Regenfass und etwas Seife zur Hand – zumindest im Sommer.
Wie aus einem gelernten Metzgermeister ein Nomade wurde
Im Winter verbringt Joachim die langen dunklen Stunden in seinem Bauwagen und hält sich dort mit seinem Bollerofen warm. Das Holz dafür sammelt er über das Jahr hinweg zusammen. Dann sitzt er da und hört Musik oder Talksendungen im Radio. Kochen kann er auf seinem kleinen Gasherd. Aus dem was die Supermärkte wegschmeißen, zaubert er tolle Gerichte: Lammeintöpfe, Ragouts, Gulasch und und und. Kochen kann er! Immerhin ist er gelernter Metzgermeister, genau wie seine Brüder. Aufgewachsen ist Joachim in Neckargemünd. Der Vater hatte dort eine Metzgerei und so war es auch von Beginn an ein ungeschriebenes Gesetz, dass auch er und die Brüder diesen Weg gehen mussten. Es folgte die Eingliederung in den elterlichen Betrieb und die Übernahme der dazugehörigen Wirtschaft. Glücklich war Joachim aber nie damit und so kam es wie es kommen musste. Vater und Sohn überworfen sich und Joachim zog seiner Wege. Er kam bei einem Freund in Sulzfeld unter und verbrauchte dort seine Geldreserven.
Kein Schicksalsschlag und keine Tragödie
Das ist das Erstaunliche an seiner Geschichte – Es gab keinen harten Schicksalsschlag, keine persönliche Tragödie – Joachim beschloss einfach die gesellschaftlichen Tretmühlen zu verlassen. Es folgten kleinere Jobs und schließlich die staatliche Hilfe. Heute sind der Bauwagen und die paar Dinge darin, Joachims ganzer Besitz. Von seinen kleinen monatlichen Bezügen kauft er sich immer zuerst eine Monatskarte für die Straßenbahn. Damit fährt er zu jedem Spiel des KSC nach Karlsruhe und sammelt dort Pfandflaschen ein, so kommen zumindest ein paar Euro zusammen. Bis auf ein paar wenige Flaschen Bier am Tag, hat Joachim keine klassischen Laster – doch das war nicht immer so. Vor langen Jahren gehörte er zur Alki-Fraktion vor dem Bruchsaler Rewe-Markt und trank täglich einen Kasten Pils. Eines Tages erwachte er mitten in der Nacht, wusste nicht wo er sich befand oder welche Tageszeit war. Da wusste er, dass er etwas ändern musste und reduzierte seinen Konsum drastisch. Er raucht nicht und auch harter Alkohol sowie Wein gehören zu seinen Tabus.
Ganz verzichten will er auf sein tägliches Bier nicht – zu sehr plagen Ihn manchmal die Sorgen. Denn auch wenn sein Lebensstil für manche nach der großen Freiheit klingt, so beschäftigen ihn doch oft quälende Fragen nach dem Morgen. Was wenn ich krank werden, was wenn ich hier an diesem Ort nicht mehr bleiben darf, was wenn das morsche Untergestell des Bauwagens irgendwann bricht…? Zwar haben ihm schon mehrere Verwaltungsmitarbeiter eine Sozialwohnung in Aussicht gestellt, doch nur unter der Bedingung dass er sich von seinen Hunden trennen würde. Wie könnte er – die beiden treuen Begleiter sind doch seine ganze Familie. Und so zieht er weiter barfuß durch den Kraichgau, die beiden Hunde immer an seiner Seite. Manchmal läuft er sogar noch weiter und hört sich Konzerte an, allerdings außerhalb der Umzäunung – einfach nur der Musik wegen. Den Sommer will er nutzen um nach einem besseren Platz für seinen Bauwagen zu suchen. Einen Platz an dem er langfristig bleiben kann. Einen Platz der ein Morgen verheißt, für sein raues Leben das bisher nur aus Heute besteht.