From my dead cold hands
Freunde, eine kurze Schlagzeile hat mich diese Woche doch kurz aus der Lethargie dieses gähnend weit aufgerissenen Sommerlochs geholt. Mehrere Zeitungen berichteten mit Verweis auf das Innenministerium Baden-Württemberg, dass sich die Anträge auf den sogenannten kleinen Waffenschein innerhalb von wenigen Jahren im Lande massiv erhöht – ja, sogar mehr als verdoppelt hätten. Mit diesem Lappen kann man sogenannte Schreckschusswaffen oder Reizschusswaffen rechtens bei sich tragen. Laut Ministerium trugen 2014 noch etwa 40.000 Menschen eine solche Waffe im Halfter, mittlerweile sind es schon über 91.000.
Der Politik scheint das ein Dorn im Auge, man möge doch bitte das Thema Sicherheit der Polizei überlassen. Ein Ministeriumssprecher wurde unlängst mit folgenden Worten zitiert: „Es gibt keinen Grund dafür, sich zu bewaffnen. Die Menschen im Land sollten die Sicherheitsfragen denen überlassen, die etwas davon verstehen – und das ist die Polizei.“
Woher der Boom beim kleinen Waffenschein kommt ist nicht schwer zu ergründen, die Menschen fühlen sich offenbar zunehmend unsicher im Land. Schlagzeilen von Übergriffen, Angriffen und Anschlägen allerorten tragen nun einmal sicher nicht dazu bei, dass man sich in seiner Haut wohler fühlt.
Die Übergriffe auf der Kölner Domplatte in der Neujahrsnacht 2015/16 stehen dabei nach allgemeinem Bekunden für den Beginn einer neuen Zeitrechnung im Land. Deutschlandfunk Kultur hat das ganze Dilemma mit einem sehr schönen Artikel namens „Die Folgen einer Silvesternacht“ zusammengefasst. Seither regiert die Angst und man kann kaum noch einen Schritt tun ohne auf die Trümmerkrümel des bröckelnden Vertrauens in Mama BRD zu treten. Was macht der von Angst gebeutelte, seines Vertrauens beraubte Bürger? Richtig! Er nimmt sein Schicksal in die eigenen Hände. Eigentlich ein feiner Zug, ginge es um Selbstverwirklichung, Bildung und geistige Entfaltung… in diesem Fall bedeutet es aber bedauerlicherweise nur: Zu den Waffen, Brüder!
Seit 7 Jahren haben die Anträge auf den kleinen Waffenschein im Landkreis drastisch zugenommen. Jeden Tag wollen 10-15 Bürger die Lizenz zum Töten, äh zum Schrecken oder Reizen. Denn mit dem kleinen Waffenschein, eingeführt anno 2003, darf der mündige Bürger fortan Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen mit sich führen. Voraussetzung dafür sind unter anderem ein Mindestalter von 18 Jahren, keine Drogenabhängikeit, keine Vorstrafen und eine ausreichende körperliche und geistige Eignung. Bis auf den letzen Punkt, dürfte der Erwerb des Wisches also für die Wenigsten ein Problem darstellen. Und dann? Dann geht´s in den nächsten Waffen-Discounter ihrer Wahl – es ist Shopping-Time, Baby!!! Eine Gasknarre, ein Schreckschussrevolver und die Jumbo-Packung Pfefferspray Marke „Mexican Blindmaker“ sollten für den Anfang genügen. Ab sofort dürfte der persönlichen Sicherheit nichts mehr im Wege stehen.
Gehen wir doch mal eine klassische Situation durch. Eine junge Frau kommt aus der Kino-Spätvorstellung und marschiert eilenden Schrittes zu ihrem, in einer Seitengasse abgestellten PKW. Vor ihr tritt aus dem Schatten eines Hauseinganges eine dunkle Gestalt und nähert sich schnell und mit eindeutig aggressiven Absichten. Was geschieht aller Wahrscheinlichkeit nach jetzt? Szenario A: Die junge Frau hat binnen eines Augenblicks die Schreckschussknarre in der einen und das Pfefferspray in der anderen Hand. Sie feuert breitbeinig eine Salve Warnschüsse ab, der Täter fällt in Schockstarre und Mrs.Rambo kann in Ruhe den Inhalt ihrer Spraydose unter seine Augenlider entleeren. Oder ist es aber Szenario B: Die junge Frau bekommt es mit der Angst zu tun, kramt zitternd in der vollgestopften Handtasche, findet spontan erst einmal gar nichts und hat dadurch wertvolle Zeit verschenkt. Zeit die Sie lieber dafür genutzt hätte um das einzig Sinnvolle in solch einer Situation zu tun: Zu schreien, was die Lungen hergeben. Ja, genau. Brüllen Sie wie ein Affe im Wald, auf das es bis nach Salzburg schallt. Machen Sie andere Menschen auf sich aufmerksam und nehmen Sie der Situation die Abgeschiedenheit und jede Anonymität. Das schreckt den Täter mehr ab als jede Pfeffer-Funzel. Laufen Sie schreiend zur nächsten belebten Ecke, sprechen Sie andere Menschen direkt an, fordern Sie Hilfe ein und wenn Sie schon nach irgendwas in der Tasche suchen müssen – dann nach ihrem Smartphone. (Praxistipp: Der Notruf kann auch vom Sperrbildschirm aus gewählt werden.)
Um eine Waffe souverän führen und einsetzen zu können, braucht es mehr als nur den reinen Besitz. Sie müssen Ihre Reflexe und Ihr Bewusstsein für eine solche Situation trainieren. Dafür gibt es praktische Selbstverteidigungskurse in denen Sie von erfahrenen Profis mit solchen Szenarien konfrontiert werden.(Töten lernen in 45 Minuten, VHS Buxtehude…) In erster Linie geht darin nicht um den Einsatz einer Waffe, sondern um schnelles und souveränes Handeln. Keiner der Trainer wird Ihnen raten in einem Matrix-Slow-Motion-Kampf ihre Gegner Hollywood-reif zu liquidieren – er wird Ihnen viel eher beibringen eine solche Situation effektiv zu entschärfen. Dort wo es möglich ist, bedeutet das: Rückzug ist oft die beste Verteidigung. Das Innenministerium geht sogar noch weiter und sagt: Waffen in Konfliktsituationen führen statt einer Entschärfung viel eher zu einer Eskalation der Lage, oft geht der Schuss so sprichwörtlich nach hinten los.
Beherzigen Sie stattdessen lieber ein paar einfache Tipps, die viel effektiver sein können als jede Pseudo-Knarre. Parken Sie nicht in zwielichtigen Gegenden, wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit dorthin zurück müssen. Bitten Sie im Falle eines Falles einen Kollegen oder zur Not auch einen Passanten um Begleitung. Machen Sie in ausweglosen Situationen auf sich aufmerksam und scheuen Sie sich nicht andere Menschen ganz direkt aufzufordern Ihnen zu helfen. Und wenn Sie schon ein Gadget in ihre Handtasche packen wollen, dann kaufen Sie einen Handalarm oder eine laute Pfeife um das ganze Viertel auf Sich aufmerksam zu machen. Denn wenn potentielle Vergewaltigungsmörderdiebe etwas gar nicht mögen, dann im Fokus jedermanns Aufmerksamkeit zu stehen. Diese Tipps gelten übrigens nicht nur für Frauen… Der Autor dieses Artikels ist 1,95 Meter groß, 110 Kilo schwer und der festen Überzeugung bei einer handfesten Auseinandersetzung sogar gegen (k)einarmige Großmütter den Kürzeren zu ziehen. Gestatten Sie noch ein oder zwei Gedanken zum Schluss. Ob die Sicherheitslage in unserer Region sich wirklich in den vergangenen Jahren objektiv so dramatisch verschlechtert hat, wage ich zu bezweifeln. Die aufgepeitschte Berichterstattung der Medien und die Skepsis vor dem Fremden verleitet leicht dazu sich in seinen Ängsten bestätigt zu fühlen. Tatsache ist: Da draußen gibt es und gab es schon immer Gestalten, die uns nicht wohlgesonnen sind. Sie können und sollten versuchen diesen wann immer es möglich ist aus dem Weg zu gehen. Wenn Sie sich jedoch auf mögliche Konfrontationen vorbereiten wollen, dann lassen Sie sich von Profis unterrichten die wissen von was sie reden. Eine kleine Spritz-Zisch-Bumm-Pistole zu kaufen, ist in den meisten Fällen keine Lösung. Bitte vergessen Sie nicht: 99 Prozent der Menschen die Ihnen da draußen begegnen, wollen nichts Böses von Ihnen! Viele sind sogar bereit Ihnen im Falle eines Falles zu helfen und danach mit Ihnen ein Bier trinken zu gehen.
Einer davon ist Ihr ergebener
Thomas Gerstner
dieser Artikel erschien erstmals 2017 – die neue Veröffentlichung wurde von der Redaktion inhaltlich angepasst