Der Kampf ums Land

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Trotz anderslautender Ziele breitet sich der Flächenfraß auch in unserer Region weiter aus.

Bald beginnen die Landwirte in unserer Region wieder mit der Aussaat. Jedes Jahr ein beeindruckendes Schauspiel, wenn aus kleinen Samenkörnern unzählige vitale Pflanzen wachsen. Jede einzelne dieser Pflanzen enthält wiederum Saatgut, aus dem weiteres Leben erwächst und so geht es weiter und weiter… Während Pflanzen sich also von Natur aus fortpflanzen, vermehren und ausbreiten ist der Boden auf dem sie wachsen, leider begrenzt und endlich. Ein Quadratkilometer Land bleibt ein Quadratkilometer Land, ist er einmal verbaut, steht er für andere Zwecke erst einmal nicht mehr zur Verfügung.

Um diese simple Wahrheit zu verinnerlichen, muss man kein Ingenieur und auch kein Mathematiker sein, es ist ein einfaches Gebot der Logik. Bislang ging man im Land mit dem zur Verfügung stehenden Boden jedoch eher sorglos um. Noch in den 90er Jahren bis hinein in die 2000er wurden für Siedlungs- und Straßenbau weit über 10 Hektar Land in Baden-Württemberg überbaut und versiegelt… Tag für Tag. So steht es im Bericht des Statistischen Landesamtes geschrieben. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Über 100.000 Quadratmeter verschwanden so an jedem einzelnen Tag des Jahres.

Das es so nicht ewig weitergehen kann, hat die schwarz-grüne Landesregierung verstanden und sich auf einen Nettoflächenverbrauch von exakt 0 (Null in Worten) bis 2030 im Koalitionsvertrag verständigt. Das heißt übersetzt: 2030 darf nur noch neu gebaut werden, wenn an anderer Stelle abgebaut bzw. entsiegelt wird. Ein Ziel, von dem man im Land noch weit entfernt ist. 2021 lag der Flächenverbrauch beispielsweise noch bei über 2.200 Hektar – das entspricht etwa dem Platzbedarf von 3000 Fußballfeldern.

Symbolbild

Schauen wir uns das Bild von einer Etage weiter oben aus an. In ganz Deutschland stehen uns etwa 360.000 Quadratkilometer Bodenfläche zur Verfügung, so groß ist unsere Bundesrepublik. Der größte Teil davon wird von der Landwirtschaft genutzt, danach kommen Waldgebiete und gleich danach Siedlungsgebiete. Während übrigens für Wohnflächen davon 3,9% benötigt werden, entfallen allein auf Straßen 5,1% unseres Bundesgebietes – zum Vergleich die Bahn benötigt für ihre Anlagen nur 0,3%.

In Baden-Württemberg sind 15% der zur Verfügung stehenden Bodenfläche bereits belegt, Tendenz – weiter steigend. Das Problem: Um die eigenen Ziele zu erreichen und durch den exorbitant hohen Flächenverbrauch natürliche und klimatische Prozesse nicht weiter zu destabilisieren, müsste radikal umgedacht und gegengesteuert werden. Dies ist aber auch bei uns keineswegs der Fall, zumindest nicht ansatzweise in solchen Dimensionen, die für einen effektiven Wandel notwendig wären. Wer sich den Regionalplan Mittlerer Oberrhein anschaut, findet immer noch jede Menge Flächen, die für Bebauung und Wachstum der Kommunen vorgesehen sind. Der Expansionsdrang auf dem Land hat dazu die Ausweisung vieler Grünzäsuren notwendig gemacht – reservierte Flächen, die das Zusammenwachsen benachbarter Kommunen verhindern sollen.

Obwohl durch Innenverdichtung und Nachverdichtung vielerorts die Schaffung neuen Wohnraums ohne weiteren Flächenverbrauch möglich wäre, setzen zahlreiche Kommunen immer noch auf die Ausweisung von Neubaugebieten, viele davon ausgerichtet auf Einfamilienhäuser, die viel Fläche verbrauchen und vergleichsweise wenig Wohnraum schaffen. Der BUND Landesverband Baden-Württemberg sieht diese Tendenz kritisch, schreibt dazu auszugsweise: “… So ist beispielsweise das Wohnen im Eigenheim im Grünen für viele Menschen ein Ideal. Dies wird auch vielfach staatlich begünstigt. Absurderweise zerstört dieser Wunsch als Massenerscheinung genau das, was man gewinnen will: die Nähe zur freien Natur. Auch die Mobilität ist nicht mehr zeitgemäß. Straßen zerschneiden Quartiere, durch Parkplätze für Autos gehen für die innerstädtische Lebensqualität wertvolle Flächen verloren.”

In der Tat scheint die Tendenz zur Verschwendung gerade im ländlichen Raum fortzubestehen. Ein Umdenken zu alternativen Mobilitätskonzepten und neuen Wohnformen ist hier nicht in aller Konsequenz erkennbar. So sah sich beispielsweise kürzlich der Fraktionssprecher der Grünen im Brettener Gemeinderat auf seinen Vorschlag hin, in einem geplanten Neubaugebiet der Stadt auf Mehrfamilien- statt auf Einfamilienhäuser zu setzen dem Vorwurf ausgesetzt, ideologisch zu argumentieren. Erst kürzlich hatte die Stadt zudem für landesweite, mediale Aufmerksamkeit gesorgt, als alte Streuobstbestände in einer “Nacht und Nebelaktion” zugunsten eines neuen Gewerbegebietes gerodet wurden. Besser sieht es aber auch in den anderen Städten und Gemeinden unserer Region kaum aus. Viele planen die Ausweisung von neuen Wohn- und Gewerbegebieten, obgleich Kritiker keine effektive Auslastung bestehender Quartiere sehen. Mancherorts sollen sogar innerörtlich Bestandsimmobilien zugunsten von großflächigem Parkraum abgerissen werden.

Zwar werden in den letzten Jahren weniger Einfamilienhäuser gebaut, dafür ist deren Grundfläche aber in den letzten Jahrzehnten größer geworden. Problematisch ist der damit einhergehende Flächenfraß für Pflanzen, Tiere und das Klima. Durch die Zerschneidung und Zersplitterung von Naturräumen werden natürliche Kreisläufe unterbrochen und das Artensterben begünstigt. Der BUND sieht in seinem Forderungskatalog an die Landesregierung daher auch die Reglementierung des kommunalen Flächenverbrauchs als wichtigen Ansatzpunkt und fordert schärfere Vorgaben für die Kommunen, “…wie viel Fläche sie unter welchen Voraussetzungen verbrauchen dürfen und wie verdichtet gebaut werden muss.” Auch in ländlich strukturierten Räumen müsse der Geschosswohnungsbau Vorrang erhalten, so der BUND, der sich gleichzeitig für die Abschaffung des § 13b BauGB einsetzt – ein Paragraph, der das Bebauen in bislang grüner Ortsrandlage stark vereinfacht.

Schließlich wäre da noch die Frage des Straßenbaus. Gleich mehrere große Bauvorhaben stehen in unserer Region an, wenn es nach den Maßgaben des Bundesverkehrswegeplanes 2030 geht. Im Fokus stehen vor allem die Ortsumfahrungen von Östringen, Bruchsal und Bretten – allesamt einhergehend mit der Zerschneidung von bislang noch intaktem Naturraum. Der BUND will das nicht hinnehmen und bezeichnet den Bundesverkehrswegeplan als verfassungswidrig, stützt sich dabei auf ein Gutachten, wonach dieser die EU-rechtlichen Vorgaben zur Strategischen Umweltprüfung nicht erfüllt. Hintergrund: Gerade der deutsche Verkehrssektor wird die gesteckten Klimaziele krachend und weit verfehlen. Umweltverbände, aktuell Greenpeace und der BUND, fordern daher den Plan einem “Klima-Check” zu unterziehen und weitere Straßenbauprojekte sofort zu stoppen.

Dr. Volker Behrens und Harmut Weinrebe

Der Kampf gegen den Klimawandel ist auch ein Spiel gegen die Zeit, das weiß ein jeder von uns, gerade wenn es um das erklärte Ziel geht, die Erderwärmung auf einem noch “beherrschbaren” Niveau zu stabilisieren. Es ist ein Kampf, den Umwelt- und Klimaschützer nicht nur auf globaler Ebene, auf Bundesebene oder auf Landesebene kämpfen, sondern auch in der Region. Hartmut Weinrebe, Regionalgeschäftsführer des BUND Mittlerer Oberrhein und Dr. Volker Behrens vom Arbeitskreis Klimaschutz des NABU verfolgen die Entwicklung seit langem, wissen aber auch, wie schnell schleichende Prozesse aus dem Fokus der eigenen Wahrnehmung verschwinden können. “Die Jungen wissen gar nicht mehr, wie die Dörfer früher ausgesehen haben – als man noch Federball auf der Straße spielen konnte ohne ständig Autos ausweichen zu müssen” weiß Hartmut Weinrebe und Volker Behrens nennt das “Shifting Baselines” – Ein Syndrom der sich verschiebenden Ausgangssituation. Auf die Natur bezogen bedeutet das, dass jeder den Zustand der Umwelt aus der eigenen Kindheit als Idealzustand annimmt. Für die junge Generation ist das natürlich ein anderer, als für die älteren – objektiv ist beides nicht.

Weder Hartmut Weinrebe noch Volker Behrens sind Schwarzseher, registrieren durchaus Veränderungen zum Positiven in der Region – ein gesteigertes Bewusstsein und eine erhöhte Sensibilität für natur- und klimabezogene Themen. Dass der Fortschritt nicht so schnell kommt, wie man es sich wünschen würde, führen beide pragmatisch auf politische Widerstände, Ambitionen zum Machterhalt und kurzsichtige, aber populäre Positionen zurück. Dennoch geht es um die Frage: “Kriegen wir als Gesellschaft das Ganze noch eingefangen”, stellt Volker Behrens in den Raum. “Klimaschutz ist zumindest mittlerweile bei allen als Thema gesetzt“, stellt Hartmut Weinrebe fest und attestiert der Gesellschaft durchaus eine Entwicklungsfähigkeit. “Es ist sehr viel auf dem richtigen Weg, die Frage ist aber : Haben wir die Zeit?“ Es ist eine Frage, die zahlreiche Experten mit einem klaren “Nein” beantworten würden, so geht es nun eher um die große Frage: Was lässt sich dagegen tun?

Dr. Volker Behrens sieht die Justiz hier als zentralen Spieler an. Durch ihre verfassungsgemäß neutrale Rolle, sei sie dazu imstande, einen angemessenen Ausgleich der Interessen zu gewährleisten und verweist auf Präzedenzfälle, wobei zunächst unausweichbar anmutende Straßenbauprojekte durch Gerichte letztlich gestoppt wurden. Was die großen Straßenbauprojekte in der Region angeht, ist Hartmut Weinrebe da nur verhalten optimistisch, glaubt nicht, dass deren Realisierung auf dem Gerichtsweg gestoppt werden kann. Ihm geht es darum, Alternativen zu unterbreiten, Gegenvorschläge zu machen und dadurch Zeit zu gewinnen. Zeit in der Bewusstsein reifen und das Umdenken von oben stattfinden kann. „Manchmal sind die zu bohrenden Bretter sehr dick” räumt er ein, aber auch: “ Es bringt nichts in Endzeitdepression zu verfallen”.

Vordringlich bleibt das Thema des Flächenverbrauchs dennoch. Alleine während sie diesen Artikel gelesen haben, wurden in Baden-Württemberg statistisch rund 600 Quadratmeter Boden überbaut.

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9 Gedanken zu „Der Kampf ums Land“

  1. Das mit dem Flächenverbrauch kann ich nachvollziehen. In vielen Gemeinden gibt es innerörtlich Grundstücke, die seit Jahrzehnten unbebaut sind und es wohl auch noch lange bleiben. Oft hört man, dass diese für den Enkel oder gar Urenkel gedacht sind, die es aber teilweise gar (noch) nicht gibt oder diese überhaupt nicht im Ort später leben wollen. Die Nachverdichtung ist eine gute Idee, bringt aber im Zusammenleben aufgrund der „Enge“ oft Streitigkeiten mit sich. Früher waren die Menschen froh, mit dem Eigenheim, dieser Enge entfliehen zu können. In den nächsten Jahrzehnten werden viele Eigenheime aufgrund der demographischen Entwicklung auf den Mark kommen, was mit ihnen geschieht ist eine interessante Frage. Hohe notwendige Investitionskosten, gerade in die energetische Sanierung, wird potentielle Käufer abschrecken. Aber auch das Thema Vermietung hat sich ungünstig entwickelt. Viele private Vermieter sind durch den immer stärker werdenden Mieterschutz ebenfalls abgeschreckt. Last but not least führt auch die Energiewende zu mehr Flächenverbrauch. Die Windräder brauchen zum Beispiel Platz und nicht nur für den Standort selbst, sondern auch für Zufahrtswege und technische Einrichtungen. Die angeblichen 2% sind nur die halbe Wahrheit. Dies zu kompensieren, wird eine spannende Aufgabe und benötigt guter Ideen.

    • Aber die Windräder würden wenigsten einen energetischen Beitrag leisten.
      Ganz im Gegensatz zu Häusern.
      Und das mit den unbebauten Grundstücken ist wie am Pool im Urlaub: ein ausgelegtes Handtuch um zu zeigen, hier ist schon jemand.
      Gehört wie an den meisten Pools verboten.

    • Betrifft Windräder:
      Um auf der sicheren Seite zu sein muss man die angeblichen 2% mit dem Faktor 7,5 multiplizieren – dann wären wir bei 15%
      (von (360.000 – (Gewässer + Siedlung + … + …) = …)

      In BW haben wir, siehe Text, noch 85% verfügbar.
      „ … In Baden-Württemberg sind 15% der zur Verfügung stehenden Bodenfläche bereits belegt, … „

      Bezogen auf die noch verfügbaren 85% in BW beträgt die benötigte Fläche für Windräder, weitere knapp 20% die abgehen.
      Im Text wird auch die destabilisierende Wirkung des Flächenverbrauchs für natürliche und klimatische Prozesse angedeutet.
      Diese destabilisierende Wirkung haben auch die Windräder ->Änderung der mittleren Temperatur und des Niederschlages (precipitation) hinter dem Windrad/Windradpark.
      Observed onshore precipitation changes after the installation of offshore wind farms – NASA/ADS (harvard.edu)

  2. Ein Superartikel, der genau beschreibt, was abgeht.
    Auch in Kraichtal sind die Dörfer weitgehend zerstört.
    Fußball auf der Strasse? Lebensgefährlich!
    Umdenken? Fehlanzeige!
    Flächenverbrauch? Größer denn je!
    Verkehr? Mehr den je!
    Konzept? Null!
    Vorbild? Null!

    Mann lullt hier die Leute mit medienwirksamen Aktionen ein, welche folgenlos bleiben.
    Stichwort Klimatag.
    Betonung auf TAG!
    Baut weiter die Landschaft zu, wenn auch z.T. „öko“.
    Verhökert hier schützenswerte Landschaft an Leute mit werbemanipuliertem Wunsch nach Einfamilienhaus im Grünen.
    Dazu kommen Industriegebiete…
    Siehe Artikel oben, was die Folgen anbetrifft.
    Schade, dass man über diese Vorgänge immer nur genug zu lesen bekommt.
    Es müsste sich nur mal was tun hier!

  3. Vielen Dank dass ihr das thematisiert. Fährt man durch Neubaugebiete sieht man ganz deutlich, dass die Menschen ihre Fläche dort gar nicht nutzen. Gärten werden mit Plastikzeunen abgeriegelt und Gartenfläche versiegelt oder mit „Zierkies“ stillgelegt damit man keine Arbeit hat. Höchstens ein Mähroboter zieht einsam seine Bahnen, zerlegt jedes Blümchen, damit ja nichts blüht und zerschneidet im schlimmsten Fall noch einem Igel die Pfoten. Für diese Menschen wäre eine Wohnung im Mehrfamilienhaus sinnvoller. Mit Tiefgarage darunter und einem Park in der Nähe. Aber selbst wenn eine junge Familie innerorts bauen oder besser noch renovieren wollte, Förderung, Kinderzuschuss usw. gibt es nur für einen Neubau im Neubaugebiet. Veraltete Konzepte, die uns die Zukunft kosten.

    • Stimmt! Das sehe ich auch oft.
      Grün macht eben auch Arbeit!
      Manchmal frag man sich, wer da überhaupt wohnt.
      Und abends quillt alles mit Autos zu, nach langem Anfahrtweg durch die Landschaft. Oder das Motorrad kommt dann raus, schnell noch eine Runde drehen ( nicht nur durchs Neubaugebiet).
      Mit Konzept hat das nichts zu tun.
      Vielmehr Eigennutz und Gier!

  4. Ich frag mich, ob diese Artikel auch von den sogenannten Verantwortlichen (Bürgermeister, Landrat, Gemeinderäte, Verwaltungen…) gelesen werden.
    Wenn ja, wieviel Ignoranz wird denn da an den Tag gelegt?

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