Der Hüter des Kellers

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Seit 170 Jahren gibt es den Eppinger Ratskeller, und zum Glück seit fast 40 Jahren seinen Kultwirt Klaus

von Stephan Gilliar

Den Eppinger Ratskeller zu betreten ist für mich immer ein besonderer, ja, fast ein magischer Moment. Das Gefühl, in der Zeit zurück zu reisen, das Gefühl, dass der eigene Puls sich verlangsamt und irgendwie etwas Schweres von den Schultern gleitet, das man dort gar nicht vermutet hat. Irgendwie schafft es der Geist dieser alten Mauern mich immer wieder zurück zu katapultieren.. Plötzlich bin ich wieder 16 und sitze in der holzvertäfelten Nische mit meinen Freunden, ein Glas Bier in der Hand und etwas Flaum auf den Lippen… oder ich bin wieder 10 und sitze bei den alten Männern am Stammtisch, über deren Köpfen kleine, blaue Rauchkegel schweben, in den Händen aufgefächert abgegriffene Skat-Karten…

Der Eppinger Ratskeller atmet Geschichte aus jeder einzelnen Pore, jede Schramme und jede Kerbe in den alten Tischen erzählen von Begebenheiten längst vergangener Zeiten. Gut, dass es noch jemanden gibt, der sie noch alle kennt, der sie bewahrt und in Ehren hält.

Klaus Doll ist der Hüter des Kellers und das bereits seit 1985. Mitte Dreißig hat er als Quereinsteiger in die Gastronomie hier das Ruder übernommen und die Zeitblase, die dieses alte Stück Eppingen birgt, seither vor dem Platzen bewahrt. Der alte Gastraum ist noch weitestgehend im selben Zustand wie vor 100 Jahren. Die Holzvertäfelungen an der Wand, die der alte Schreinermeister Hecker 1929 hier angebracht hat, haben mittlerweile ein tief dunkelbraune Patina, die schweren Brauerei-Stühle stemmen seit einem Jahrhundert jedes Gewicht und die gusseisernen Heizkörper bollern – zwischenzeitlich durch Wärme aus dem benachbarten Rathaus gespeist – wie Ende der Zwanziger, als Wilhelm Geier hier einen selbst konstruierten Dampfkessel im Gewölbekeller in Betrieb genommen hat.

Die Historie des Hauses und die seiner Wirte kennt Klaus wie seine Westentasche. Alte Aufzeichnungen, Stammbäume, das Ortssippenbuch… in den Schränken und Schubladen des Schankraums hat er all das aufbewahrt und kann die Geschichte des Ratskellers aus dem Stand wiedergeben.

Gebaut wurde der Ratskeller im Jahr 1852, auch von einem Doll, sowie Klaus einer ist, Verwandtschaft besteht allerdings keine. Querverbindungen gab es im damals noch sehr kleinen Eppingen jede Menge und so kam es, dass die Ehefrau des Erbauers Johann Philipp Doll, die Tochter des benachbarten Rössle-Wirts Michael Hartmann war. Das Rössle, das in seinen goldenen Jahren sogar einmal das Eppinger Kino beherbergte, gibt es heute nicht mehr. In dem erst kürzlich sanierten Gebäude sind mittlerweile Praxen und Wohnungen untergebracht.

Nach Johann Philipp betrieb dessen Sohn Johann Karl den Ratskeller, vornehmlich in seiner Eigenschaft als Bierbrauer zur Herstellung hausgemachten Bieres. Da Brauer im damals noch jungen Amerika händeringend gesucht wurden, verließ Johann Karl Eppingen alsbald und machte sich dem Vernehmen nach Richtung Chicago auf. Seine zurückgebliebene Frau verkaufte den Ratskeller im Anschluss, dieser wechselte in den folgenden Jahren noch mehrmals den Besitzer. Zu erwähnen wäre der Wirt Freudenthaler, Großvater der im Ratskeller zur Welt gekommenen Professorin Selma Rosenfeld, nach der in der Stadt sogar eine Schule benannt wurde. Freudenthaler starb 1913, seine Witwe betrieb den Ratskeller aber noch gut zehn Jahre weiter, bevor sie ihn an Wilhelm Geier verkaufte. Dieser lies zuerst seinen Bruder Albert eine schräge Mischung aus Übernachtungsbetrieb und Bäckerei in den Räumlichkeiten errichten, bevor er 1928 selbst als Wirt das Zepter übernahm.

In den 50er Jahren fand der nächste Generationenwechsel im Ratskeller statt. Der Koch Hilkert bezog die Gaststätte und die kleine Wirtswohnung darüber. Auch hier gibt es Querverweise in der Eppinger Gastronomie – so war der Koch familiär mit der Familie Abendschein verbandelt, deren Spross Gerhard alias Didi nur einen Steinwurf entfernt über Jahrzehnte hinweg die Gaststätte Zornickel innehatte.

Es folgten die Familien Zahn, Ziegler, Kimmele und schließlich Rudi und Margot Frank in der bewegten Geschichte der vielen Wirte des Ratskellers. Zuletzt war es der alte Palmenwirt Rudi Bucher, bevor schließlich Klaus die Geschicke des kultigen Kellers übernahm. Kaum einer hat hier so lange die Stellung gehalten wie er und wenn es nach ihm geht, mögen auch noch viele weitere Jahre folgen. Für viele Eppinger dürfte ein anderes Gesicht als jenes mit dem dichten, blonden Bart und der kleinen runden Brille hinter dem hölzernen Tresen des Ratskellers auch gar nicht vorstellbar sein. Seit 1985 steht er dort, das Jahr, in dem Eppingen seinen 1000. Geburtstag gefeiert hat.

Vieles hat sich seither verändert. Das Bier kostete damals eine Mark sechzig und die Menschen in der Stadt haben ihrer eigenen Gastronomie noch stoisch die Treue gehalten, Stammtische waren damals eine feste Institution und der soziale Kit im gesellschaftlichen Leben Eppingens. Andere Dinge verändern sich hingegen (zum Glück) nicht, allen voran der Ratskeller selbst. Die kleine Zunftstube, die oben über dem Schankraum nur über eine steile Stiege zu erreichen ist, gibt es noch immer. In Eppingen nennt man sie Jägerstube, seit sich hier regelmäßig die Jagdgesellschaft um Wilhelm Geier versammelt hat. Sogar der alte Versammlungsraum, von wo es früher einmal in die angeschlossene Kegelbahn hinüber ging, hat die Jahrzehnte überstanden. Hier trifft sich immer noch der Fanclub der FC Bayern aus Richen, der sich genau in jenem Jahr gründete, als Klaus den Ratskeller übernahm.

Viele Gäste hat Klaus über die Jahre kommen und gehen sehen, so manchen Stammgast hat er zwischenzeitlich überlebt. Dass der Ratskeller immer noch der Ratskeller ist, das hat Eppingen ihm zu verdanken. Ihm, der sich der Geschichte dieses Hauses stets bewusst war und sich ihrer immer würdig erwiesen hat. Dafür gebührt ihm Dank, auch wenn er diesen in seiner bescheidenen Art mit einem verschämten Kopfschütteln und einem Brummen aus dem blonden Bart sofort abtun würde. Dennoch – Danke Klaus, bleibt noch etwas und halte das alte Mädchen Ratskeller am Leben.

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1 Gedanke zu „Der Hüter des Kellers“

  1. Tolle Reportage über die schönste Wirtschaft in Eppingen. Wir kommen immer wieder gerne dorthin. Zu erwähnen wäre noch der dazugehörige schöne Biergarten unter alten Weidenbäumen. Und ja: hoffentlich ist Klaus Doll noch lange für uns da!

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