Mitten im Nirgendwo des Bruchsaler Gleisdschungels verfällt ein kleines Stück Geschichte
von Stephan Gilliar
Es gibt Berufe, die längst ausgestorben sind, solche, die schon eine Weile im Sterben liegen und wiederum solche, deren Uhr bereits zu ticken begonnen hat. Während ich diesen Text schreibe, verfeinern zum Beispiel überall auf der Welt künstliche Algorithmen ihr Können, die möglicherweise eines nicht allzu fernen Tages auch meinen Berufsstand entbehrlich machen könnten. Doch das nur am Rande. Einen Beruf, dessen Angehörige man heute vermutlich an zwei Händen abzählen kann, ist der des Schrankenwärters. Ein Angestellter der Bahn, dessen Job es ist, bei herannahenden Zügen die Schranken zu schließen und danach wieder zu öffnen. Früher gab es dafür noch keine Automatisierung, so dass an größeren Kreuzungen von Gleis und Straße kleine Häuser standen, in denen Schrankenwärter ihrem Dienste nachgekommen sind. Da das nicht selten ein 24-Stunden-Job war, dienten diese Schrankenwärterhäuschen ihren Angestellten auch gleichzeitig als Wohnraum.
Ein solches Relikt findet sich auch noch mitten in Bruchsal, längst vergessen und seit geraumer Zeit in einem ungewissen Dornröschenschlaf schlummernd. Das gelbe Haus in der Sichtachse des Bruchsaler Schlosses, stand früher an einem der meist befahrenen Bahnübergänge der Stadt. Eine zu Beginn noch nicht einmal geschüttete Straße querte hier teilweise bis zu zehn Gleise, die zu Glanzzeiten der Bahn noch sehr regelmäßig und in engen Takt befahren wurden. Ältere Bruchsaler erinnern sich noch gut an die langen Wartezeiten, wenn man beispielsweise das Ende der Fünfzigerjahre erbaute Bruchsaler Schwimmbad auf diesem Wege erreichen wollte. Auch das Umfeld war damals ein gänzlich anderes, als wir es heute kennen. Der untere Schlosspark war im Grunde ein dichter Wald, das Umland nur sehr spärlich besiedelt, gerade das heute dicht bebaute Areal jenseits der Bahngleise noch weites, fast unberührtes Land. So darf man sich den Beruf des Bruchsaler Schrankenwärters durchaus wild-romantisch vorstellen, mit einem zwar durchgetakteten Tagesablauf, der heute aber für manche als Inbegriff der Entschleunigung von Hektik und Überforderung gelten könnte.
Noch vor einer Weile war das kleine, in die Jahre gekommene Häuschen mit der Adresse “Schlossraum 30” noch bewohnt. So sah man des Öfteren einen älteren Mann im Garten werkeln, doch irgendwann gingen hier die Lichter aus. Danach fiel das früher einmal leuchtend gelbe Gebäude zusehend in einen tiefen Schlaf, die Läden waren zugezogen, dort wo es keine gab, auch Scheiben eingeschlagen. Zuletzt entrümpelte wohl ein Unternehmen die Immobilie. Was in Zukunft damit geschehen wird, ist zumindest uns nicht bekannt. Schade wäre es jedoch, wenn sich das einzige Schmuckstück weiter in jenen “Lost Place” verwandeln sollte, zudem dieser Ort augenfällig allmählich wird. Ein Schrankenwärter wird zwar hier vermutlich nie wieder Dienst tun, erhaltenswert ist dieser Ort aber dennoch. So könnte man sich problemlos ein kleines Restaurant mit einem Biergarten unter den alten Bäumen vorstellen. Ein Sehnsuchtsort für viele Eisenbahnfreunde, die hier ihr Bier trinken könnten, während auf den Gleisen die eisernen Schlachtrösser vorbeiziehen.
Es ist schön, dass ihr die Aufmerksamkeit auf diese Häuschen lenkt. Es gibt sicher noch einige davon im Kraichgau. Auch in Gondelsheim ist noch ein ähnliches Bauwerk an den Schienen zu bewundern. Zur Bewohnung sicher nicht ideal, bieten diese Gebäude dennoch vielfältige Möglichkeiten. Ich frage mich warum Stadtverwaltungen, Wirtschaftsförderer, Stadtplaner und Investoren hier nicht aktiv werden. Die Idee mit dem Biergarten gefällt!
Euren informativen und augenöffnenden Artikel finde ich sehr wichtig!
Vor allem Berufe, die bereits ausgestorben sind, sowie spezielle Immobilien und Geschichten mit wichtigen Fakten MÜSSEN doch gewahrt werden.
Sonst weiß irgendwann kaum einer mehr davon.
Das ist nicht würdevoll!
Und zu jeder Zeit steckte Mühe und Herzblut darin!
Dieses Haus steht schon seit einiger Zeit zum Verkauf. Der Preis ist aber scheinbar so hoch, dass da keiner zuschlagen möchte. Der Zustand des Hauses ist davon ableitbar und öffentlich auch einsehbar.
Es tut weh das Haus so zu sehen, vor allem wenn man etwas mehr darüber weiss und die Besitzer und ihre Geschichte kennt. Der „älter Mann“ war der Besitzer und hat das Haus und seinen Garten mit seiner Frau gehegt und gepflegt. Das Leben kann grausam sein und eins ist sicher in meinem Herzen denke ich an die schönen Stunden dort.