Wenn das Virus in den Altenheimen wütet
von Stephan Gilliar
Meine Großmutter ist eine fantastische Frau. Sie hat in ihrem Leben unfassbar vieles gesehen und erlebt. Geboren wurde sie 1924 in Köln, in jenem Jahr als Hitler nach seinem erfolglosen Putsch auf der Anklagebank saß, der Massenmörder Fritz Haarmann zum Tode verurteilt wurde und Wladimir Iljitsch Lenin starb. Sie hat die Schrecken des Zweiten Weltkrieges überlebt, den Hunger und die Verzweiflung im Anschluss, hat vier Söhne geboren und großgezogen und ihren Ehemann zu Grabe getragen.
In wenigen Wochen feiert sie Mitte Mai ihren 97. Geburtstag – immer vorausgesetzt, dass die Brandmauer welche die Verwaltung ihres Seniorenheims in Ettlingen um sie herum errichtet hat, bis dahin auch hält. Besucher dürfen das Heim derzeit nicht betreten und für das Personal gelten strikte Hygienevorschriften, die es jederzeit einzuhalten gilt. Im Heim meiner Großmutter gibt es derzeit noch keine Infektionen mit dem Coronavirus, die alten Menschen hier sind noch alle wohlauf, erzählt sie mir bei einem Telefonat am Ostersonntag.
Leider haben nicht alle Senioren in der Region dieses Glück. Dort wo das Virus die errichteten Barrieren überwinden konnte, wütet es unbarmherzig und breitet sich wie ein Lauffeuer unter den Bewohnern und dem Personal aus. Im Brettener Stadtteil Neibsheim sind 112 Menschen bereits erkrankt und 14 gestorben. Dies zumindest war der Stand vor drei Tagen, die Zahlen dürften seitdem weiter gestiegen sein. Um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen, fahre ich mit der Kamera nach Neibsheim, in der Hoffnung dort einen Ansprechpartner zu finden. Die harte Realität dieser Tage wird mir sofort bewusst, als mir vom Parkplatz des Pflegeheims aus bereits ein Leichenwagen entgegenkommt – wohl nicht der erste und nicht der letzte an diesem Tag.
Ich habe Glück und treffe vor dem Haupteingang auf den Leiter der Einrichtung. Er bittet mich mit der detaillierten Berichterstattung noch etwas zu warten, bis sich die größten Wogen geglättet haben und wieder etwas Zeit zum Verschnaufen ist. Danach aber möchte er reden – über Hintergründe, Versäumnisse und was in diesen schweren Tagen gut und was schlecht gelaufen ist. Sein Team möchte er aber dennoch ausdrücklich loben, alle halten die Stellung so gut es eben geht. Was ihn aber enttäuscht sind die Angebote dubioser Zeitarbeitsfirmen, die ihm Personal für Stundensätze von 50 € und weit darüber hinaus anbieten – schamloses Ausnutzen einer Notsituation.
Ohne diesem Gespräch schon zu sehr vorgreifen zu wollen, lassen sich aber bereits heute zwei Dinge mit Gewissheit sagen: Wie stark das Virus ein Pflegeheim trifft, hängt zum einen von einer akribischen Vorbereitung, aber auch von einer gehörigen Portion Glück ab. Trägerverbände die es geschafft haben ausreichend Schutzausrüstung für ihre Einrichtungen zu organisieren, haben damit den größtmöglichsten Joker im Kampf gegen die Infektion gezogen. Wie sich nun nach mehreren Hinweisen aus verschiedenen Heimen im Kraichgau gezeigt hat – offenbar eine Karte die nicht alle ausspielen konnten.
Da das Coronavirus in seiner Natur äußerst perfide ist, spielt aber auch das Glück eine gewichtige Rolle. Weil Infektionen sich bei vielen Menschen überhaupt nicht bemerkbar machen, können diese über Wochen hinweg unbemerkt und unbewusst viele andere Menschen anstecken. Selbst wenn alle Mitarbeiter eines Pflegeheimes mit Masken und Handschuhen ausgestattet sind, so haben diese selbstredend in ihrer Freizeit noch “unverhüllte” Kontakte, darüber hinaus gibt es Zulieferer oder die Gefahr von Schmierinfektionen über Verpackungen oder auch die Post. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es schlicht nicht, wer etwas anderes behauptet irrt daher.
Es kristallisiert sich aber immer weiter heraus, dass Pflegeeinrichtungen bei der Vorbereitung auf die Pandemie sträflich vernachlässigt wurden. Das Deutsche Rote Kreuz kritisiert beispielsweise die ungenügende Versorgung mit Schutzmaterialien – viele Politiker und Experten ebenso. Dabei hätte man doch gerade hier ansetzen müssen, hier wo die Schwächsten und Verletzlichsten auf engem Raum beieinander sind. Einmal eingeschleppt hat das Coronavirus in einer Pflegeeinrichtung leichtes Spiel. Die alten und geschwächten Patienten haben einer Infektion kaum etwas entgegenzusetzen, dementsprechend hoch ist die Sterberate in solchen Einrichtungen.
Im Kraichgau wütet das Virus nicht nur in Bretten sondern auch in Einrichtungen in Stutensee, Eppingen, Bad Rappenau oder Walzbachtal. Es steht außer Frage, dass diese Liste sich in den nächsten Wochen stetig erweitern wird. Dort wo das Virus aufschlägt, werden die jahrelang gehegten Fehler im System offensichtlich – allerorten fehlt es an ausreichend qualifiziertem Personal und an guter Ausrüstung. Anders ausgedrückt – die Art und Weise wie dieses Land mit seinen Ältesten verfährt, wird nun mancherorts unübersehbar. Manch Angehöriger von Heimbewohnern kann davon bereits ein Lied singen. Als ich meinen Schwieger-Opa vor einigen Jahren, kurz vor seinem Tod in einer solchen Einrichtung im Landkreis Karlsruhe besuchte, war ich schockiert über die Szenerie. Ein alter Mann der würdelos zusammengesunken in seinem eigenen Urin in einem sterilen und völlig kahlen Zimmer vor sich hin vegetierte – ein solches Ende ist niemandem zu wünschen. Selbstredend nur eine Momentaufnahme und nicht stellvertretend für alle Heime. Knappe Ressourcen stehen zwar nicht im Widerspruch zu einem liebevollen und wertschätzenden Umgang mit den Senioren, fördern diesen aber auch sicher nicht.
Nicht minder dramatisch sind die letzten Tage jener Senioren, die in einem der Heime leben, in denen das Virus bereits Fuß fassen konnte. Abgeschirmt von ihren Angehörigen und Liebsten verbringen sie dort oder im Krankenhaus ihre letzten Stunden – krank, einsam und isoliert. So sollte kein Leben zu Ende gehen.
Wenn meine Oma sich am Ende doch mit dem Virus infizieren sollte, will sie die Sache mit kölscher Gelassenheit tragen. “Et kütt wie et kütt”, sagt Sie mir zuversichtlich am Telefon und auch “Et hätt noch emmer joot jejange”.
Wenn es dann aber doch soweit sein sollte, wünsche ich mir nur, dass sie so gehen kann wie sie gelebt hat: Stark, selbstbewusst und hoch erhobenen Hauptes. Nicht mit jener elenden, traurigen Einsamkeit, die dieses verdammte Virus so vielen unserer Großmütter und Großväter aufbürdet
Wo bitte schön gibt es solche Pflegeheime, in denen jemand in einem kahlen sterilen Raum im eigenen Urin dahinvegetiert? Ich arbeite jetzt 20 Jahre in der Pflege und habe so etwas noch nicht erlebt. Selbst jetzt in dieser Coronakrise kann ich es mir nicht vorstellen. Es gibt jährliche Kontrollen durch Behörden, wie kann man diese täuschen? Wenn es wirklich so gewesen ist, dann sollte man mal die Behörden kontrollieren die diese Kontrollen durchführen. Es tut mir leid, wenn es immer noch Pflegeheime gibt in denen die Menschen nur verwaltet werden. Ich für mich kann sagen , dass es in unserer Einrichtung nicht so ist! Und zum großen Glück sind wir auch Covid 19 frei. Das liegt aber auch daran, dass die Leitung des Hauses schon frühzeitig dafür gesorgt hat , das genug Schutzmaßnahmen getroffen wurden und werden , die vom Personal auch mit größter Sorgfalt beachtet und durchgeführt werden. Ich hoffe das es weiterhin so läuft. Und im Übrigen werden unsere Bewohner nicht nur verwaltet. Ich denke dann wäre ich nicht schon 20 Jahre hier angestellt.
Warum überrascht mich der Bericht nicht. Leider ist es unter den Politikern schon lange bekannt das gespart wird an den relevant wichtigen Dingen. Sei es Personal oder Material. Ich selber habe 35 Jahre als examinierte altenpflegerin gearbeitet. In vielen Häusern. Die Menschen bezahlen zwischen 3000-5000€ im Monat und bekommen mittags zwieback anstatt Kuchen und nachts eine Windel anstatt 3 da die Windeln noch Kapazität haben. Genauso mit schutzkleidung. Wenn doch immer die gleiche pflegekraft das anzieht,kann man das doch öfters anziehen. So etwas habe ich oft gehört. Auch Neibsheim muss sich nicht rechtfertigen. Berlin sollte mal sich selber fragen warum das so ist. Wieso wird von oben herab kein riegel davor geschoben das es nicht möglich ist so abzocke zu betreiben für 50€ die stunde. Und in normalen Zeiten verbieten 12 Stunden Schichten zu machen und auch ordentlich zu bezahlen. Also sind wir alle dran schuld. Der Gesellschaft/Politik müsste es wichtig sein alte und kranke ordentlich und individuell gut zu behandeln. Und nun jemanden zu suchen wegen irgendeiner Schuldfrage. Schuld sind alle. Den alle denken an so etwas erst wenn sie selber betroffen sein können, oder sind.
… in wenigen Wochen (Ende Mai) wird meine Mutter 99 Jahre alt. Sie wird diesen Tag ohne mich verbringen, denn bis dahin glaube ich nicht, dass ein das Besuchsverbot aufgehoben sein wird. Sie hat erlebt. Die Bombadierung Bruchsals erlebte sie in einem Keller in Unteröwisheim.Glück hatte sie auch beim Brand des Seniorenheimes in Oberderdingen, das Feuer überstand sie mit einer sehr schweren Rauchvergiftung. Man beklagt heute die Zustände in Krankenhäuser und Altenheimen. Und die schlechte Bezahlung des Personals Hier ist die Politik verantwortlich. Wie kann es sein, dass Konzerne, denen es in erste Linie um Rendite geht so viele Macht bekommen haben ? Zurück gedreht wird dieses Rad mit Sicherheit nicht.
…Erhaltung von wesentlichen Grundbedürfnissen bleiben in Einrichtungen mit hoher Infektionsrate nunmal aus. Das Pflegepersonal in Stationären Pflegeeinrichtungen war vor Covid19 bereits am Limit. Politik und Gesellschaft schauen nicht erst seit gestern zu. Das wenige Personal welches noch im Einsatz ist, benötigt zusätzlich doppelte Zeit um die nötigen Schutzmaßnahmen einzuhalten. Wo wird diese Zeit wiederum eingespart? Richtig! Bei der Grundversorgung! Da bekommt der Patient/Bewohner nunmal etwas weniger zu Trinken. Wird er schon durchstehen bei 39,4Grad Körpertemperatur. Verrückter Irrsinn! Die Pflegepersonen Vor Ort benötigen durch ihre erlernte Hilflosigkeit dringend Beistand von Pflegeexperten. Die Pflege wird dazu genötigt die Situation “auszusitzen“ da die Pflegesituation in Deutschland nicht die nötigen Personalressourcen mitbringen. Krankheitssymptome werden zwar festgestellt, jedoch erst viel zu spät. Dann beginnt die Symptomlinderung durch den Arzt, welche zwar notwendig, aber nicht das Grundlegende an der hohen Mortalität ist. Schlichtweg, werden Pflegeheimbewohner bei bestehender Unterversorgung nun noch schlechter versorgt. Den Schuldtragenden bei dieser Misere müssen wir hier nicht suchen. WIR.
Es ist eine Schande für eine reiche Gesellschaft, wie mit den Menschen am Anfang und am Ende ihres Lebens umgegangen wird. In der Geburtshilfe sieht es nicht besser aus.
Und daran sind alle in der Gesellschaft mit verantwortlich. Das komplette Gesundheitssystem müsste in non-Profit-Einrichtungen mit guter finanzieller und personeller Ausstattung umgekrempelt werden. Es kann nicht sein, dass mit Gesundheit Bzw. Pflege Profit und Rentabilität verbunden ist. Was wird nach der Krise sein? Wird die Gesellschaft dann wieder erstarren oder andere Verhältnisse lautstark einfordern? Ich kann mir vorstellen, dass das alles schnell in Vergessenheit gerät. Leider.