Das Geheimnis der alten Quelle

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Eine kleine Geschichte aus dem Herzen des Kraichgau

Eigentlich taugt diese Geschichte nicht dazu aufgeschrieben zu werden, enthält sie doch kaum Wissenswertes oder gar Nützliches. Irgendwie gehen mir aber die Ereignisse dieses Mai-Nachmittages nicht aus dem Kopf, stehen sie doch irgendwie dafür ein, wieso ich dieses Land und seine Leute derart ins Herz geschlossen habe. So habe ich mich nun entschlossen, euch doch davon zu berichten – wer etwas daraus mitnehmen möchte ist herzlich eingeladen, alles andere geht selbstverständlich auch in Ordnung.

Diese kleine Geschichte ereignete sich erst kürzlich, an einem dieser vielen – durch die Krise völlig ereignislosen und gleichgültigen Nachmittage im Frühjahr 2021. Auf der Suche nach neuen Geschichten und den vielen kleinen, sich noch im Verborgenen befindlichen Geheimnisse des Hügellandes, durchstöbere ich gerade wieder eine alten Landkarte meiner Heimat. In den grünen Niederungen zwischen den Kraichtaler Stadtteilen Unteröwisheim und Münzesheim stoße ich dabei auf eine kleine Ortsangabe, die ich bisher wohl immer übersehen hatte. Dort wo der Klumpbrunnbach und der Kraichbach einander nahe kommen, ist auf der Karte der Eintrag “Schwefelquelle” vermerkt.

hier befand sich einst eine Schwefelquelle

Schwefelquellen gibt es im Kraichgau zwar einige, die berühmteste steht wohl im Östringer Erlenwald, von einer solchen Quelle in Kraichtal war mir aber bislang nichts bekannt. Ich beschloss der Sache nachzugehen, schlüpfte in meine Wanderstiefel und zog zu Fuß los. Da ich nicht an der Landesstraße entlang laufen wollte – mein Selbsterhaltungstrieb verhinderte dies erfolgreich – entschied ich mich für die gut ausgebauten Wanderwege in der Kraichbachniederung. Was ich dabei freilich übersah: Exakt jener Kraichbach lag nun folglich zwischen mir und meinem Ziel. Auf Höhe des Ortes, wo nach der Karte die Schwefelquelle sein musste, suchte ich mir also einen Furt oder eine andere Möglichkeit den Bach zu überqueren. Ich fand nichts dergleichen, lediglich einen breiten Baumstamm, der von einem Sturm gefällt, über dem Bachbett lag. Um es abzukürzen – ich habe keine Ahnung wie ich es geschafft habe, meinen 112 Kilo schweren, wuchtigen Körper hinüber zu bekommen, am Ende stand ich dann aber völlig verdreckt am anderen Ufer.

Nun war ich laut Karteneintrag der vermeintlichen Quelle schon sehr nahe. Ich folgte den Ortsangaben so gut als möglich, doch alles was ich fand, war dicht überwuchertes Brachland, bewachsen mit unüberwindbarem Buschwerk. So sehr ich mich auch bemühte und mich zwischen den Zweigen hindurch zwängte, an besagter Stelle war keine Quelle zu finden. Etwas frustriert wollte ich gerade die Flinte ins Korn werfen und den Heimweg antreten, als das sonore Tuckern eines alten Treckers in Hörweite kam. Ich trat aus dem Unterholz zurück in die Ebene, als ein alter Mann auf einem grünen Traktor mit Bruchsaler Kennzeichen gerade auf den Feldweg neben mir einbog. Ich hob die Hand zum Gruß und der in einen grauen, zerschlissenen Arbeitskittel und mit einem abgetragenen Cordhut gekleidete Fahrer nahm den Fuß vom Gas.

Wilfried neben seinem treuen, grünen Traktor

Etwas misstrauisch beäugte er mich, als ich ihm aber von meiner Suche berichtete, vollzog sich auf seinem Gesicht das, was man bei vielen Menschen im Kraichgau beobachten kann, begegnet man ihnen nur aufrichtig und auf Augenhöhe. Die aus einem langen und arbeitsreichen Leben stammenden Furchen und Falten im Gesicht des alten Kraichgauers glätteten sich und seine Augen erstrahlten in wachsamer Lebendigkeit. Er erzählte mir – und ich schwöre es ist wahr – dass auch er gerade an die alte Quelle denken musste und auf der Suche nach ihr sei. Anders als auf der Karte verzeichnet war sie nach seiner Erinnerung aber ein paar Meter weiter in Richtung Unteröwisheim und so bedeutete er mir auf der hölzernen Pritsche Platz zu nehmen. Ich stieg auf und gemeinsam tuckerten wir in einer holprigen Fahrt über den feuchten Ackerboden. Der alte Mann stellte sich mir als Wilfried vor und erzählte mir, dass er als junger Mann in der nähe einmal ein Feld bewirtschaftet hatte und sich an einen kleinen Bachlauf und eine Quelle direkt daneben erinnern kann. Ebenso erinnerte er sich daran, dass bei der Flurbereinigung jenes kleine Wasser aber zugeschüttet wurde um mehr Land zu gewinnen. Was für ein Zufall, was für eine Fügung auf einen Zeitzeugen zu stoßen, der sich an eine Quelle erinnern kann, die hier vor fast 70 Jahren einmal sprudelte.

Tatsächlich treffen wir an der Stelle, an der in Wilfrieds Erinnerung die Quelle gewesen war, auf feuchten Boden und eine große Wasserlache. Hier muss die Quelle gewesen sein, noch heute drückt das Wasser durch den zugeschütteten Grund an die Oberfläche. “Des war scho immer a sauers Land” stellt Wilfried fest und erzählt von den vielen Brunnen, die früher einmal Unteröwisheim mit Quellwasser versorgten. Da wäre zum Beispiel der Gemmerichbrunnen, der Gwillichenbrunnen oder der schwarze Brunnen, über die wir schon vor geraumer Zeit an anderer Stelle berichtet haben.

Ich frage Wilfried noch kurz, ob ich ein Foto von ihm machen darf. Er nickt knapp, lächelt kurz in das Objektiv, setzt sich auf seinen alten Traktor und tuckert mit einem kurzen Gruß wieder von dannen. 89 Jahre ist er jetzt alt, fährt aber täglich noch los um seine Wiesen zu mähen und das bisschen verbleibende Land zu bestellen. Ein echter Kraichgauer, durch und durch.

Es sind Menschen wie er und es sind Begegnungen und Begebenheiten wie diese, wieso ich gerne hier lebe und über diesen kleinen Winkel unserer Welt schreibe. Manchmal gibt es eben nicht viel zu erzählen, doch auch im Kleinen und vermeintlich Unwichtigen können sich Schönes und viel Freude verbergen. Meint Ihr nicht auch?

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3 Gedanken zu „Das Geheimnis der alten Quelle“

  1. Es ist sehr selten, dass eine Geschichte so warmherzig und wortkreativ geschrieben wird. Sie ist total zum vorlesen durch die bildhaftigkeit geeignet.mein Mann hat sehr viel dabei gelacht und ich als Vorleser auch.Bitte mehr davon.
    Mit Sehr fröhlichen Grüßen Solveig Riegel

  2. Do legsch di nieda. Vor kurzem habe ich genau den gleichen Eintrag auf einer Wanderkarte entdeckt und gerätselt, ob da noch was zu entdecken ist. Oft sind diese Hinweise auf Landkarten vor Ort ja nicht viel wert. Deshalb vielen Dank für diesen informativen und herzerwärmenden Bericht!!

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