XXL-Partys im Kraichgau – Wie viel Spießer darf ich sein?
Eine Sinnsuche von Philipp Martin
Eine lange Arbeitswoche neigt sich endlich dem Ende entgegen. Den ganzen Samstag über habe ich mich noch um die verhasste Buchhaltung gekümmert, nun ist der Nachwuchs im Bett, die Spülmaschine brummt und ich kann mich entspannt mit einem Feierabendbier auf die Terrasse setzen. Herrlich, Flasche auf, Füße hoch und dem sanften Zirpen der Grillen im einsetzenden Dämmerlicht lauschen.
Von den Grillen höre ich allerdings nicht sonderlich viel, ein anderes Geräusch schiebt sich dominant durch die Szene und lässt den Flaschenöffner auf dem Tisch scheppern. Ein beständiges, tiefes und bis ins Mark gehendes Wummern erfüllt die spätsommerliche Abendluft. Ich muss nicht lange raten, wo die Quelle dieser Beschallung zu finden ist. Regelmäßig steigt mal hier, mal da in den umliegenden Weinbergen und Feldern eine Party nach der anderen… die Jüngeren lassen es krachen und feiern ihre zumindest vorübergehend wiedergewonnene Freiheit, nach all den Monaten der Einschränkungen durch die Pandemie.
Still proste ich Ihnen zu und versuche weiterhin meinen Abend zu genießen. Irgendwann nervt mich das Geräusch dann aber doch und ich ziehe mich ins Wohnzimmer zurück. Doch auch hier entkomme ich dem tieffrequenten Brummen der zweifellos üppigen Anlage des Partyvolks nicht. Es dringt teilweise durch die Wände und ich kann es in meinem Magen und in meiner Brust spüren, wirklich angenehm ist es nicht. Ich entlocke mir ein gequältes, schiefes Lächeln, denke an meine längst vergangenen, wilden Tage und stelle den Fernseher lauter.
Gegen 1 Uhr am Morgen wandere ich hinüber ins Schlafzimmer, immer noch begleitet von dem unablässigen Dröhnen das Basses. Wahnsinnig gerne würde ich das Fenster öffnen um frische Luft ins Zimmer zu lassen, doch dann wird die Geräuschkulisse unerträglich laut. Also schmore ich in meinem Saft und beobachte mit immer dünner werdendem Nervenkostüm das Voranschreiten der Zeiger auf dem Ziffernblatt meines Weckers. Gegen 2:30 Uhr halte ich es nicht mehr aus, kletterer aus dem Bett und setze mich an meinen Schreibtisch. Mittlerweile bin ich wütend und nur um Haaresbreite davon entfernt bei den Blau-Weißen anzurufen. Stattdessen setze ich mich an den Laptop und schreibe diese Zeilen, die sie nun gerade lesen.
Zwei Seelen kämpfen in meiner Brust: Ich will die Polizei nicht anrufen, ich will kein Spießer sein, ich will kein Spaßverderber sein. Aber: Ich will auch nicht die ganze Nacht wach liegen müssen, ich möchte nicht meinen schlecht gelaunten Nachwuchs, der sich ebenfalls im Bett wälzt, morgen früh den ganzen Tag über aushalten müssen. Ich will bei sommerlichen Temperaturen nicht mit geschlossenem Fenster schlafen müssen und von meiner eigenen Terrasse vertrieben werden.
Wie war das noch gleich damals, in den wilden Neunzigern, als ich in meiner Sturm-und-Drang-Zeit bis in den frühen Morgen gefeiert habe? Ich schaue mir ein paar der alten Fotos an und sehe uns verpickelt, mit hässlichen Klamotten und noch hässlicheren Frisuren in Steinbrüchen, in Party-Kellern oder – ja tatsächlich – auch in Weinberghütten sitzen. Wir rauchen, trinken Bier, kippen Kurze und im Hintergrund sehe ich deutlich einen stinknormalen Quelle-Universum Doppel-Kassettenrecorder seinen Dienst verrichten. Ein Gerät das zweifellos nicht dazu taugte, ganze Landstriche mit hämmernden Bass-Klängen wachzuhalten.
Ich glaube genau das ist der Punkt, den man in einer Diskussion zwischen den beiden altbekannten Parteien: (“Ich will meine Ruhe” versus “Lasst sie feiern, wir waren auch einmal jung”) anführen sollte. Dieser Lärm entstammt professionellen Soundanlagen, die potentiell dafür geeignet sind Stadien zu beschallen und nicht aus Klein-Larissas tragbarem Ghettoblaster mit Ipod-Aufsatz. Ich denke die Herrschaften, die diese Art von Anlage besitzen und einsetzen, sind sich absolut im Klaren darüber, dass deren Emissionen noch kilometerweit deutlich zu hören sind.
Nichts also gegen eine gepflegte Party in der Nachbarschaft, die auch gerne mal bis in die Puppen dauern darf. Ein paar mal im Jahr ist das völlig okay für mich, jedes zweite Wochenende definitiv nicht. “Leben und leben lassen”, das ist die Grundformel jeden gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Freiheit des einen endet da, wo die Freiheit des anderen beschnitten wird. Auch eine große Soundanlage hat Regler für Bass und Lautstärke, die man ganz einfach um Mitternacht ein Stück weit nach links bewegen kann. So kann die Party drei Tage weiter rennen und der Rest von uns kann pennen. Gschwätzt isch!
Jetzt will ich es aber von euch wissen, liebe Leser/innen. Was meint ihr? Sollte man regelmäßig Partylärm bis in den frühen Morgen geduldig aushalten, oder ist spätestens ab Mitternacht gegenseitige Rücksichtnahme angezeigt?
Lautstark feiern bis in den Morgen. Wie seht ihr das?
- Lautstark feiern geht in Ordnung, ab Mitternacht sollte aber langsam Ruhe einkehren (62%, 271 Votes)
- Kein Problem für mich. Ich halte es aus, wenn regelmäßig die Wände auch in der Nacht etwas wackeln. (25%, 110 Votes)
- Ich erwarte, dass sich alle jederzeit an die gesetzlichen Auflagen halten und spätestens ab 22 Uhr bei Zimmerlautstärke feiern. (13%, 59 Votes)
Stimmen insgesamt: 440