Bis hierher und nicht weiter

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Wenn die Heimat unter Beton verschwindet

von Stephan Gilliar

Stellen Sie sich bitte vor, vor ihnen stünde eine randvolle Flasche Mineralwasser. Wenn ich sie nun bitten würde, in diese voll gefüllte Flasche Mineralwasser einen weiteren Liter Wasser hinein zu schütten, würden sie mir vermutlich den Vogel zeigen. Zu Recht, denn die Flasche ist voll, es passt einfach kein weiteres Wasser hinein. Ach wie schön wäre es, ließe sich dieses einfache Gleichnis auch auf unsere Heimat übertragen. Dann könnte man schon seit geraumer Zeit sagen: Wir sind voll, nichts geht mehr. Kein völlig absurder Gedanke, bedenkt man, dass sich im Grunde von jedem Dorfrand im Kraichgau bereits die ersten Häuser der Nachbarkommune ausmachen lassen. Oder dass es kaum noch einen Ort gibt, von dem aus nicht das ständige Rauschen irgendeiner Straße zu hören ist. Im Grunde ist schon längst der Punkt erreicht, an dem unsere traditionell ländlich geprägte Region ihre Identität und ihr Gesicht zu verlieren beginnt. Selbst im früher davon noch verschonten Hinterland schlängeln sich mittlerweile endlose Asphaltbahnen, fressen sich gesichtslose Neubau- und Gewerbegebiete immer weiter in die Landschaft.

Die Argumente dafür sind immer die gleichen: Wir brauchen den Platz, schließlich nimmt der Verkehr immer weiter zu, schließlich wollen sich weitere Unternehmen und Familien hier ansiedeln oder räumlich vergrößern. Das stimmt, hier beißt die Maus keinen Faden ab. Dennoch kommt mir dabei immer wieder das eingangs beschriebene Bild der Flasche Mineralwasser in den Kopf. Voll ist voll, nichts geht mehr… rien ne vas plus. Leider ist unsere Heimat aber keine Flasche und Raum ist bekanntlich in der engsten Hütte. Und so wird in das bisschen unberührte Hügelland, das uns noch bleibt, hinein gequetscht, was hinein gequetscht werden kann. Jede Kommune kocht hierbei ein eigenes Süppchen und verwandelt frank und frei Grünland in Grauland. Ein kleines Sträßchen hier, ein paar neue Bauplätze oder eine Erweiterung von Gewerbefläche da… das wird den Kohl schon nicht fett machen. Doch der Kohl ist in diesem Fall unsere Mineralwasserflasche, er hat bereits einen Fettgehalt von 100%, mehr geht einfach nicht.

Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: “Täglich werden in Deutschland rund 54 Hektar als Siedlungsflächen und Verkehrsflächen neu ausgewiesen.” so schreibt es das Bundesumweltministerium wortwörtlich auf seiner Webseite. Das entspricht 76 Fußballfeldern, wohlgemerkt jeden gottverdammten Tag. Das sind fast 28.000 Fußballfelder an Flächen, die uns Jahr für Jahr einfach verloren gehen. Man muss nicht extra erwähnen, dass Land keine nachwachsende Ressource ist, was weg ist, ist weg. Baden-Württemberg fällt hier übrigens keineswegs positiv auf. Obwohl die Landesregierung sich auf die Fahnen geschrieben hat, den Flächenverbrauch zu reduzieren, nimmt dieser in den letzten Jahren viel eher weiter zu – weit über 2000 Hektar waren es im letzten Jahr.

Das ganze mutet eingedenk des sich immer weiter manifestierenden Klimawandels regelrecht schizophren an. So werden Millionen für den Hochwasserschutz ausgegeben, weitere Millionen für Dürrephasen und Missernten, während mit Flächenversiegelung im großen Stil die natürlichen, klimatischen Kreisläufe Stück für Stück destabilisiert werden. Symptombehandlung, die das Versagen bei der Ursachenbehebung allenfalls kaschieren kann. Die selben Kommunalpolitiker und Behördenleiter, die sich jedes Jahr im Sommer von ihren Revierförstern den hundsmiserablen Zustand der eigenen Wälder beschreiben lassen, setzen kurz darauf ihre Unterschrift unter Bauanträge, die diesen im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgraben. Jedes Stück Beton verhindert, dass Wasser im Boden versickern kann, stattdessen fließt der Regen oberirdisch völlig sinnlos über Bäche und Flüsse aus der Region hinaus.

Wie ist es möglich, dass wir einen Hitzesommer nach dem anderen abfeiern, dass sogar mächtige Ströme wie der Rhein fast trockenfallen und dennoch in der Region dutzende Großbauprojekte völlig unbeirrt weiter laufen können, als wäre nichts passiert, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun? Fragen, die in der Kathedrale um den goldenen Altar der allmächtigen Wirtschaft einfach verhallen. Fast 30 Jahre ist es nun her, dass der geniale Wirtschaftswissenschaftler Kenneth Boulding gestorben ist, seine Worte tragen aber noch heute weit: “Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum könnte in einer endlichen Welt für immer weitergehen, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.”

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35 Gedanken zu „Bis hierher und nicht weiter“

  1. Sehr guter Beitrag . Seit Jahren geht es diesbezüglich in die falsche Richtung und wie erwähnt kocht jede Kommune ihr eigenes Süppchen. Das schlimme daran , besser wird es nicht . Mit knapp 85 Millionen Einwohnern , Tendenz steigend , sind wir jetzt schon überbevölkert. Mit jedem neuem Projekt bzw. Spatenstich der frenetisch gefeiert wird , dreht sich mir eher der Magen um .

    • Wenn man aber den Nachrichten glaubt, sind wir immer noch zu wenig.
      Die Einbürgerungsfristen sollen verkürzt werden, noch mehr „Fachkräfte“ sollen kommen.
      Die Wirtschaft brauche diese dringendst!
      Und wohnen müssen die halt auch irgendwo….

  2. Hier wird mir aus der Seele gesprochen!!!
    Seit bestimmt 30 Jahren treibt mich dieses Problem um.
    Und es geht grad so weiter.
    Bürgermeister, egal welchen Coleurs, haben anscheinend nichts als Bauen im Sinn. Im Duett mit ihren Verwaltungen.
    Die vermeintliche Lösung für ALLES!!!
    Und dem gemeinen Volk predigt man was von Sparen und Nachhaltigkeit…
    Wirkliche Nachhaltig und Energiewende und Vorbildfunktion…FEHLANZEIGE!!!
    Wie heißt es so schön: der Fisch fängt am Kopf zu stinken an…
    Wohl war!!!

  3. Das stimmt alles.Zum Thema Nachhaltigkeit ist doch alles gesagt wenn man sieht was z.b.in Menzingen leer steht.
    Aber neben dem Friedhof ein Neubaugebiet entsteht!

    • Und Kraichtal plant fleissig weiter. Wurden nicht kürzlich für sage und schreibe 532 000 Euro vorsorglich „ Ökopunkte“ gehamstert für Ausgleichsflächen für zukünftige Baugebiete. Jetzt müssen Sie Kindergartengebühren erhöhen. Das Geld hätte man sinnvoller einsetzen können.

  4. Sehr gute Zusammenfassung zum Mechanismus, dass wir die Probleme erzeugen, die wir dann. mit hohem Aufwand bekämpfen müssen.

    • Vielleicht aber auch im alten, kleinen, sanierten Haeuschen der Oma, mit nicht so viel qm Wohnfläche wie heute gewünscht. 😉

      • Sorry, wollte niemandem auf die Füße treten! Ich habe aber den Eindruck, dass oft in Dimensionen gebaut wird, die einfach nicht nötig sind . Der Landfrass hat Ausmaße angenommen, die unser sehr schönes Hügelland nicht mehr verträgt. Bin selbst betroffen und bekomme ein riesiges, lautes neues Industriegebiet vor die Tür gebaut. Wenn man die Neubaugebiete dazu nimmt bleibt nicht mehr viel Landschaft übrig. Es gibt bessere Lösungen.

    • Dem stimme ich zu, Leute oder Firmen die Platz brauchen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, was hier alles geschrieben wird. 2022 baut bestimmt keiner zum Spass bei den Preisen.
      Aber Leute die ihre Schäfchen im trockenen haben wollen den anderen dies verwähren. Doppelmoral lässt grüssen und wer hat den die 8 bis 12a Grundstücke mittel im Ort bestimmt nicht im Neubaugebiet.

      • Also wir gehören zu denen, die ihre „Schäfchen im Trockenen“ haben sollen.
        Auf 340m2 mitten im Ort.
        Gerne hätten wir die oben beschriebenen „8 bis 12a“, dann hätten wir genug Platz, um uns von dem Chaos an der Hauptstrasse zurück zu ziehen. 3a gehen dann halt für Lärmschutzmaßnahmen drauf. Macht auch keiner freiwillig, bei den oben angedeuteten Kosten. Und sähe bestimmt toll aus, auch im Hinblick auf Dorfentwicklung, Entschuldigung, Städteplanung muss man hier ja sagen.
        Aber wir säßen ja “ im Trockenen“…
        Ändert nur nix an der jahrzehntelangen Planungslosigkeit, die hier vorherrscht und grad weiter geht.
        Und was „Doppelmoral“ angeht: lieber mal genau die ansprechen, die für diese Nichtplanung verantwortlich sind oder jene, die ihre Grundstücke/Äcker vergolden konnten.

      • Firmen die Platz brauchen suchen sich keine kleine Gewerbegebiete auf dem platten Land. Vorausschauend siedelt man sich in Autobahnnähe an oder mit entsprechendem Zugang zum Schienennetz. Wer hier die Schäfchen im Trockenen hat können Sie aus den Aussagen heraus nicht beurteilen. Fakt ist die massive Bodenversiegelung können wir uns einfach nicht mehr leisten.

  5. Das Land braucht bestimmt keine neuen Familien mehr, die hier alles zubauen um sich ihre Wünsche zu erfüllen. Und damit nebenbei noch mehr Strassenverkehr mitbringen.
    Wie schon einmal gelesen, gibt es, wenn das so weiter geht, ab 2060 kein Grünland mehr in BaWü.
    Und über die Energieversorgung dieses Wahnsinn macht sich wohl keiner Gedanken…

  6. Der Artikel beschreibt es konkret, totales Versagen von Behörden, Verwaltungen und ihrer Chefs ( Bürgermeister…).
    Und schlimm: keinerlei Änderung in Sicht. Damit kommt alles, was dringend nötig wäre, nicht oder zu spät.
    Eigentlich sollte man/frau wegziehen, nur wohin? Wo läuft es besser?

    • Ich stimme Ihrem Kommentar voll und ganz zu. Bis auf einen Punkt:
      Wegziehen ist keine Option! Man muss diesen Irrsinn stoppen, dies erreicht man nicht durch Augen schließen, Mund halten oder Wegziehen. Artikel wie dieser von Hr. Gillar sind es, welche aufrütteln und dazu animieren die Stimme zu erheben, den Erhalt unseres Hügellandes zu schützen und dazu einen Beirtag zu leisten ein Umdenken zu erzwingen.

      • Das stimmt. Aber diese Theater hier geht seit Jahrzehnten, insbesondere was den Verkehr anbetrifft.
        Und die Zersiedelung dieser schönen Landschaft tut einfach nur weh. Und es ändert sich nichts. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer.
        Kritische Stimmen wurden gezielt mundtot gemacht. In Ausschüsse wurden Leute berufen, die keine kritischen Stimmen erhoben und primär von diesen ganzen Vorgängen sogar noch monetär profitieren. Und, wie unten beschrieben, ihre Schäfchen schon lang im Trockenen haben.
        Dies gilt für Stadträte, Verwaltung und Bürgermeister.
        Wie lange hält man diese freundlich gesagt Trickserei aus?
        Wie lange hält man diese Ignoranz und Dummheit aus?
        Wie lange hält man es aus, zuschauen zu müssen, wie hier gegen praktisch alles verstossen wird, was längst Stand von Technik, Wissenschaft und Forschung ist?
        Ich stelle zunehmend fest, dass hier wohl ein Leben zu kurz ist, um die Dinge zu ändern, die dringendst geändert werden müssen.
        Nur mit einem Umzug oder besser mit nie hierher gezogen sein, könnte man vielleicht die Erfahrung gemacht haben, dass es woanders vielleicht besser läuft.
        Die Hoffnung stirbt zuletzt (und sie stirbt doch).
        Die Natur braucht den Menschen nicht, aber der Mensch braucht die Natur.

        • Das stimmt. Wer nicht weg zieht (wenn ja, wohin?) muss was anderes machen, z.B. hier mit diskutieren.
          Oder abstumpfen und ablenken, was wohl auf die meisten zutrifft.
          Oder nur noch an sich denken.
          „Ich, mich, meiner, mir, da denk ich schon an vier“.
          Schade und traurig, was hier abgeht und wie sich die Gesellschaft verändert und Dörfer kaputt gehen.
          Und daran ändern Neubaugebiete bestimmt nix!

  7. Mir reicht es auch, dass Dauergeschwurbel von Landräten, Bürgermeistern bis hin zu Gemeinderäten. Wenn es darum geht, mit Land Kasse zu machen, sind sie alle dabei!
    Und wenns mal nicht klappt, dann zahlt man halt 532000€ an andere Gemeinden zur Schaffung ökologischer Ausgleichsflächen, wie oben beschrieben.
    Ein Basar wie der CO2-Zertifikatshandel. Wohin der uns gebracht hat, sieht man ja.
    Kein Wunder, dass sich NIX ändert!

  8. Und nicht vergessen: die o.g. 532000 € haben wir bezahlt! Die haben sie uns vorher aus der Tasche gezogen!
    Kein Wunder, wenn dann überall Geld fehlt und es oft nicht für das Nötigste reicht!

  9. Schon lange keinen Beitrag mehr gelesen, der derartige Reaktionen ausgelöst hat.
    Das Thema scheint vielen unter den Nägeln zu brennen.

  10. Gerade kommt Lesch’s Kosmos im TV,
    Thema Wasser/Hochwasser/Anstieg Meeresspiegel.
    Ein Thema, dass bei dem Bauwahn hier und der oben beschriebenen Methodik der Beschaffung von Ausgleichsflächen woanders auch hier immer akuter wird.
    Wo soll den das Wasser hin?
    Fakt auch nach Lesch: andere Länder in Europa sind da viel weiter (und schlauer) als wir!
    Fazit: typisch deutsch, so tun, als täte man was und wenn‘ s hart kommt, Kopf in den Sand, jammern und abwarten.
    Danach die Schuldfrage klären, damit das Ganze Struktur bekommt.
    Traurig!!!

  11. Danke für diesen Beitrag!
    Wenn ich daran denke, dass im kommenden Jahr die „Fortschreibung des Regionalplans“ verabschiedet werden soll, wird mir mit den aktuellen Planungen schlecht. Alleine für Bretten werden weitere „Siedlungsgebiete“ von knapp 100 Hektar, davon rund 2/3 für Gewerbegebiete vorgesehen. Wo soll das noch enden?

  12. Wenn man/frau das alles so liest, könnte man/frau Angst bekommen, das Kraichgau wird zur Betonplatte.
    Dann kann jede(r) bauen und fahren, wo er/sie will.

  13. Schauen hier auch mal die Bürgermeister etc. rein?
    Wäre vielleicht gut im Hinblick auf Erweiterung des Erkenntnishorizonts!

  14. „…und wieder tun wir trotz totaler Ahnungslosig so, als wüssten wir genau Bescheid, was wir tun…“
    Kam grad im TV bei Lesch…
    Passt hier doch auch, oder?

  15. In den nächsten Jahren wird das noch deutlich zunehmen, denn die ganzen Windkraftanlagen benötigen Zugänge und dafür müssen Straßen gebaut werden. Abgesehen von den Tonnen an Stahlbeton, die im Boden verbaut werden müssen. Das wird unser Hügelland sehr stark verändern, aber daran wird kein Weg vorbeigehen, sollen die erneuerbaren Energien doch wachsen.

  16. Hier in Landshausen stehen so viele Häuser leer, viel mir vorhin auf dem Fußweg nach dem Einkauf im Dorfladen auf.
    Ebenso Bauplätz, die seit Jahrzehnten nicht bebaut werden.
    Diese würde locker den hier angeblich vorhanden Siedlungsdruck decken.
    Nur wenn niemand die Sanierung angehen kann oder vielmehr möchte…
    Man will ja gern neu möglichst mit unverbaubarem Blick in die Landschaft, auch wenn man sichs eigentlich gar nicht leisten kann.
    Mal gespannt, wann auch die „dringende Notwendigkeit“ eines neuen Baugebiets mit allen bekannten Folgen dahergedichtet wird.
    Gierige Investoren und Bauunternehmer gibt es wohl genug.
    Den Rest machen die Banken.

  17. Wenn dieses Volk nicht endlich kapiert, dass Verzicht auf eigentlich Unnötiges nicht zwingend einen Verlust darstellt, ändert sich gar nix.
    Wie hat ex..ex…BDI-Präsisent Olaf Henkel mal gesagt (die Älteren Semester kennen ihn vielleicht noch…) :
    „Ohne Wirtschaft ist alles nichts“.
    Ich habe damals schon gegengehalten: ohne Natur ist alles gar nix und Wirtschaft gibts dann nicht.

  18. Bin mal gespannt, wie lange das hier so weiter geht mit dem Hinhalten und Rauszögern und Nixmachen durch Behörden, Verwaltung und Bürgermeister. Also ich fühle mich regelrecht vera…t.
    Und darf für alles bezahlen.
    Bin beruflich viel unterwegs und kann nur sagen: es täte gut, mal über den Suppentellerrand rauszukucken!
    Andere sind da viel weiter!!!

  19. Hier wird das wertvollste Gut nur verammscht!
    Anstatt von der Kandschaft nachhaltig zu profitieren, macht man sie kaputt. Des schnöden Mammons und der Gier zuliebe.

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