Durch den Bürgerentscheid könnten am Ende alle verlieren
Eine Meinung von Hügelhelden-Herausgeber Stephan Gilliar
Es ist etwas faul im Staate Dänemark bzw. in Philippsburg. Seit Wochen bekämpfen sich in der Stadt zwei Lager, wenn es um die geplante Ansiedlung des Logistikzentrums auf dem Areal der ehemaligen Salm-Kaserne geht. Da wäre zum einen die eigens dafür gegründete Bürgerinitiative, die in der Ansiedlung so etwas wie die Errichtung des Todesberges zu Mordor sieht. Reduziert man deren wortgewaltige Offensive auf den Kern, geht es Ihnen um mögliche Lärm- und Verkehrsbelastungen in der Stadt.
Auf der anderen Seite stehen jene Menschen in Philippsburg, die sich in der Errichtung des Logistikzentrums eine konjunkturelle Belebung der Stadt erhoffen, die seit dem Abgang des Goodyear-Reifenwerkes gelinde gesagt angeschlagen ist.
Die ganze Debatte hat in den vergangenen Wochen hohe Wellen geschlagen und mutet teilweise schon fast hysterisch an. Offene Briefe, Schlammschlachten im Internet, Darstellungen sowie Gegendarstellungen und sogar Postwurfsendungen sollen die Einwohner Philippsburgs auf Kurs bringen und die jeweilige Deutungshoheit der gegnerischen Seiten unterstreichen.
Bisheriger Höhepunkt der Kontroverse ist der Druck und die Verteilung von 10.000 Magazinen seitens der Bürgerinitiative. Aufgemacht in der Optik einer Zeitung und betitelt als “Philippsburger Stadtrundschau” soll es offenkundig den Eindruck eines journalistischen und damit idealerweise neutralen Presseerzeugnis vermitteln. Tatsächlich strotzt der Inhalt aber mitunter von emotionalen Formulierungen und Spekulationen. Auf der Webseite der Initiative ist die Wahl der Worte ebenfalls alles andere als kleinlaut. Bei manchen Aussagen musste die Initiative inzwischen gar zurückrudern und entsprechende Gegendarstellungen veröffentlichen.
Auch weitere so in Umlauf gebrachte Informationen, verdienen durchaus einen kritischen Blick. So baut ein vergleichender Bericht über die Situation in Malsch initial lediglich auf der Aussage eines einzigen Bürgers auf und auch wissenschaftliche Aussagen wie jene, dass die Ansiedlung des Logistikzentrums den Klimawandel im Raum Philippsburg fördere, dürften angesichts der Tatsache dass es sich beim Klimawandel schon per Definition um ein globales Phänomen handelt, kaum haltbar sein.
Natürlich sind die Befürchtungen eines höheren Verkehrsaufkommens in der Stadt durch die Ansiedlung eines millionenschweren Logistikzentrums nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Die Initiative möchte diesen Lärm und die Emissionsbelastung verhindern und setzt sich dem eigenen Namen nach für ein lebenswertes Philippsburg ein. Rund 900 Unterschriften hat die Initiative gesammelt und damit zwei Bürgerentscheide auf den Weg gebracht. Am Sonntag sollen die Menschen darüber abstimmen, ob die getroffenen Entscheidungen des Philippsburger Gemeinderates über die erweiterten Bebauungspläne der Areale Salmkaserne und Bruchstücker sowie der Errichtung einer weiteren Straßenanbindung Bestand haben oder gekippt werden.
Hat die Bürgerinitiative, die gemessen an der Zahl der eingereichten Unterschriften nicht einmal 10% der etwa 13.000 Philippsburger repräsentiert, mit den beiden Entscheiden Erfolg, so dürfte das geplante Logistikzentrum in dieser Form schnell Geschichte sein, auch wenn es bei den Entscheiden nicht um die Ansiedlung an sich geht. Zwischenzeitlich wurden bereits 44.000 qm Distributionszentrum der Dietz AG auf dem Gelände genehmigt.
Die Frage die man sich diesbezüglich in jedem Fall stellen sollte lautet: Was dann? Wie soll es weitergehen auf dem großen zur Verfügung stehenden Gelände auf dem ehemaligen Kasernenareal? Und vor allem: Wie soll es weitergehen mit Philippsburg?
Nach den längst nicht mehr sachlichen und aufgeheizten Diskussionen der letzten Monate werden potentielle Investoren zurecht einen weiten Bogen um die Stadt machen – Welches Unternehmen will schon Millionenbeträge investieren um sich danach in einem Scharmützel innerhalb der Bürgerschaft zerreiben zu lassen?
Wie lebenswert dieses Philippsburg nach dem Weggang von Goodyear und dem absehbaren Ende der Kraftwerke dann noch sein wird, steht daher in den Sternen. Vielleicht wird es dann ruhig sein auf den Straßen in und um die Stadt. Nicht nur ruhig wegen der fehlenden LKW, sondern auch wegen den fehlenden Menschen. Welche junge Familie möchte dann noch in eine Stadt ziehen, die wirtschaftlich wenige Zukunftsoptionen hat? Vielleicht kommt es aber auch ganz anders und schon bald steht der nächste Investor mit einem zukunftssicheren Plan vor der Rathauspforte, der nicht nur jede Menge Jobs schafft sondern auch nahezu lautlos und unsichtbar umsetzbar ist?
Was die Situation auf dem Arbeitsmarkt angeht, gehen die Meinungen beider Lager weit auseinander. So erhoffen sich die Befürworter nach dem Kahlschlag bei Goodyear von mehreren hundert Arbeitsstellen, durch die Ansiedlung des Logistikzentrums viele neue Arbeitsplätze. Die Bürgerinitiative scheint das nicht so zu sehen. In einem Interview mit der Bruchsaler Rundschau gab eine Sprecherin zu bedenken, dass man in Philippsburg nahezu Vollbeschäftigung habe. Die Rechnung der Initiative in der aktuell erschienenen Bürgerinformationen trägt den Kapitelnamen: „Das Märchen von den fehlenden Arbeitsplätzen“. Hier werden z.B. die 123 Frauen aus den etwa 300 aktuell gemeldeten Arbeitslosen in der Stadt kurzerhand herausgerechnet, da sie nicht „unbedingt als Logistik-Kraftfahrer oder Logistik-Arbeiter in einer Halle geeignet“ sein. Eine zumindest fragwürdige Auffassung der Geschlechtergleichheit im 100.ten Jubiläumsjahr des Frauenwahlrechts.
Man kommt nicht umhin bei der Kontroverse an die zeitgleich stattfindenden Brexit-Verhandlungen zu denken. Auch hier hat ein Teil der Bevölkerung eine richtungsweisende Entscheidung erzwungen, die sich – so viel ist sicher – massiv auf die zukünftigen Entwicklungen des Landes auswirken wird. Wie dieser Weg für Großbritannien verlaufen wird, entscheidet das britische Parlament am 11. Dezember. Die Weichen für Philippsburgs Zukunft stellen die Menschen am folgenden Sonntag. Ich wünsche mir für Sie eine gute Zukunft und auch das nach all den Tiefschlägen und den endlosen Debatten der letzten Jahre endlich Ruhe (keine Stille) in der gebeutelten Stadt einkehren kann.
Stephan Gilliar
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