Seit Monaten tourt der Kraichtaler Musiker Simon Buss in seinem Van durch Europa und spielt in Straßen und Kneipen von Lissabon bis Aberdeen.
“Jetzt gehts erscht mol ab” ruft Jakob gut gelaunt. In breitem Pfälzer Dialekt feuert er Simon und Sina an, die auf dem Vorplatz der kleinen Kneipe “Black Pearl” gerade alles geben. Vor ihnen sitzen und stehen etwa 30 bis 40 Menschen, die sich an diesem lauen Frühsommerabend ebenso wie Jakob bestens amüsieren. Viele von ihnen sind von der nahen Reha-Einrichtung in den Dorfkern von Bad Zwesten heruntergekommen um eine kleine Auszeit vom zweifelsohne intensiven Therapieprogramm zu nehmen. Die Stimmung ist ausgelassen, geradezu familiär. Obwohl sich der kleine Kurort im Norden Hessens befindet, trifft man hier nicht nur auf den gemütlichen Pfälzer Jakob, sondern auch auf Gäste aus der eigenen Heimat. Sören beispielsweise findet, dass Simon und Sina unbedingt auf dem kommenden Weizenbierfest in Ochsenburg spielen sollten, in diesem Moment noch nichts ahnend, dass beide nur einen Katzensprung von dort entfernt leben…oder vielmehr lebten. Denn eine feste Postadresse haben beide schon seit über vier Monaten nicht mehr, ihr kleines Heim auf vier Rädern steht jeden Tag an anderer Stelle. Im Frühling sind sie gemeinsam aufgebrochen, touren seither als Minimalbesetzung ihrer Band “Barn54” durch Europa. Mal spielen sie auf der Straße, mal in einem Pub oder einer Kneipe.
In den letzten Wochen waren sie in Großbritannien unterwegs, vom südlichsten Zipfel Englands bis hinauf in den Hohen Norden Schottlands. Erst seit ein paar Tagen sind sie wieder auf deutschem Boden unterwegs, so ganz angekommen sind aber beide noch nicht. immer wieder spricht Simon das Publikum in englischer Sprache an, Entschuldigt sich mit “We fucked it up”, wenn er mal irgendwo einen Ton nicht getroffen hat. Das passiert allerdings nicht oft, die meisten Nummern spielt das Duo ohne jegliche Probleme, souverän und voller Inbrunst. Das besondere an den Songs von „Barn54“: Alle handgemacht, alle selbst erdacht. Das ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr, ein Umstand, den es ganz explizit hervorzuheben gilt. Die meisten lokalen Bands mit einem gewissen Bekanntheitsgrad setzen bedauerlicherweise fast alle auf Covermusik. Das ist im Grunde nichts anderes als die Wiedergabe fremder Songs, nahezu ohne jegliche kreative Eigenleistung. Bands wie “Barn54”, die sich selbst Gedanken machen, eigene Texte, eigene Melodien entwerfen, rangieren viel zu oft unverdient am Rande der Aufmerksamkeitsschwelle der Masse. Das ist bedauerlich, das ist traurig, jedoch ein Beat, den jeder Songwriter nur zu gut kennt.
In den Songs von “Barn54” steckt viel Herz, viel Leidenschaft und jede Menge persönliche Geschichten. Nicht wenige davon sind von Melancholie geprägt, von Tiefpunkten im Leben und der höchstpersönlichen Herangehensweise, diese Täler wieder zu verlassen. Zu jedem Song erzählt Simon eine Geschichte, seine Beweggründe für den Text, was ihn während dem Songwriting umgetrieben hat. Zum Beispiel die Story, wie er sich mit seinem Bruder am Flughafen von Chicago treffen wollte und sich beide am Ende einer Odyssee wiederfanden, die mit der Erkenntnis endete, dass Chicago zwei Flughäfen hat. Was er nicht erzählt, was sich aber in jedem Ton, in jeder Zeile seines Songs “Farewell old friend” wiederfindet, ist der schmerzliche Verlust seines Bruders nur wenige Jahre später. In seinen Songs verschmelzen Wortspiele und Klangspiele miteinander, erzeugen das, was nahezu jeder Musiker bewusst oder unbewusst herbeisehnt – eine ganz eigene Harmonie. Die Wellen in “Waves roll in” rollen beinahe spürbar über das Publikum hinweg, gefühlvoll, intensiv und meisterhaft arrangiert wie das geniale “Never seen the sea” von Gavin Clark.
Natürlich gibt es auch Feel-Good-Nummern, Stücke, die einfach nur Spaß machen. Zum Beispiel “Shades on” – ein veritabler Aspirant für einen Indie-Summer-Hit in der Chronik 2023. Vor der Nummer verteilen Simon und Sina noch ein paar Sonnenbrillen ans Publikum, finanziert aus eigener Tasche, gebrandet mit Filzstift statt teurem Aufdruck. Während der Hit in England hervorragend funktioniert hat, sorgen sich beide heute darum, ob die Nummer auch in Deutschland zünden wird. Wie sich herausstellt, zu Unrecht. Bad Zwesten steht und singt nach Aufforderung begeistert die markigen Textzeilen mit, an deren Höhepunkt der Protagonist versichert, sogar noch nach seinem Tod in sechs Fuß Tiefe Sonnenbrille zu tragen. I’ve got my shades on – Ich habe die Sonnenbrille auf. Ein Song, der die Muskeln zucken lässt.
Während Simon als geborene Rampensau seine markige Stimme durch die ruhige Ortsmitte von Bad Zwesten schleudert, den Kontakt mit dem Publikum sucht und des öfteren in seinen offenen Lederstiefeln mitten hinein schlendert, agiert Sina am Keyboard deutlich zurückhaltender, fährt – anders als ihr Bandkollege – noch mit angezogener Handbremse. Dabei könnte sie mehr… findet auch eine Zuhörerin aus dem Publikum und ruft ihr zu: “Sing doch mal lauter, du hast so eine schöne Stimme”. Aber eine Stimme wächst eben mit der Zeit, reift mit den persönlichen Erfahrungen, braucht Raum um sich zu entfalten… Noch ist Sina jung, doch schon jetzt lässt sich erahnen, dass hier etwas heranwächst, das weit mehr als nur für “Backing vocals” taugt.
Über zwei Stunden spielen die beiden und schaffen es, die Stimmung zu keinem Zeitpunkt einbrechen zu lassen. Beständig pendeln die beiden liebenswerten Wirtsleute Carmen und Flocki zwischen der Theke und dem Außenbereich hin und her, versorgen die fröhliche Truppe aus Band und Gästen mit Bier und Kurzen. Eigentlich spielen im “Black Pearl” nur am Freitagabend Bands, doch als Flocki Simon und Sina kürzlich kennenlernte, passte die Chemie instantan. Also organisierte Flocki, der in den letzten Jahren schon weitaus größere Konzerte im ganzen Land auf die Beine gestellt hatte, spontan den kleinen Gig. An dessen Ende wird auch schnell klar – man sieht sich wieder und das schon im kommenden Monat. Nach zwei Zugaben, deren dritte Inkarnation im Grunde nur durch die Sperrstunde verhindert wurde, fangen Sina und Simon an, ihr Equipment in ihrem kleinen Bus zu verstauen. Morgen geht es für sie weiter nach Eisenach, die nächste Kneipe, das nächste Publikum. Zwischenzeitlich sind sie ein eingespieltes Team, die Aufregung der ersten Auftritte ist längst verflogen. Man könnte sagen sie haben den Dreh raus überall wo sie spielen, geht die Stimmung durch die Decke. Bis auf ein Konzert in einem Pub in Irland, wo sie als Konkurrenzprogramm zur Übertragung eines nationalen Fußballspiels auf der Bühne standen, hat jeder Gig bisher gut funktioniert.
Und genauso wird und soll es für die beiden auch weitergehen. Vormittags Roadtrip, nachmittags Üben und einen neuen Songs tüfteln, abends Auftritte bis in die frühen Morgenstunden. Das könnte stressig klingen… für die beiden ist es aber nichts anderes, als der erste Lebensentwurf, der sich wahrhaftig, der sich richtig anfühlt. “Ich bin noch nie so glücklich aufgestanden”, sagt Simon und das hört sich ganz genauso aufrichtig an, wie jeder einzelne seiner Songs.
Do hörts doch auf…net dass der Kraichtaler a noch pfälzisch babbelt!!!
Liebe Leute, geht hin, wenn die Beiden in eurer Ecke sind. Lasst euch auf die Songs ein, keine weichgespülten Kommerzliedchen, sondern ehrliche Songs und ihr werdet eine tolle Zeit haben. Viele Grüße von einem Fan