Wie viel Kind darf es sein?

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Wie eine kontroverse Aussage im Kraichtaler Gemeinderat ein Dilemma unserer Zeit auf den Punkt bringt

von Stephan Gilliar

Was ist ein Kind? Rational betrachtet müsste man sagen: Ein heranwachsender Mensch. Doch diese Antwort greift in unserer immer komplexer werdenden Gesellschaft mittlerweile scheinbar zu kurz. Kinder sind schon längst nicht mehr einfach nur Kinder. Sie sind Belastung und Entlastung in Personalunion, sie sind Stammeshalter, Hoffnungsträger, Wirtschaftsgüter, zu füllende Gefäße und ein multifunktionales Politikum. Zudem sind sie gegenüber uns Erwachsenen deutlich in der Minderheit – von 83 Millionen Bundesbürger sind nur etwa 10 Prozent 13 Jahre oder jünger. Wie fragil der Stand dieser zehn Millionen Kinder in Gesellschaft und Politik – wie klein ihre Lobby ist, haben die letzten Jahre eindrücklich gezeigt.

Spätestens während der Hochphase der Pandemie wurde es jedem, der das Geschehen mit wachem Geist verfolgte, unzweifelhaft vor Augen geführt: Kinder besitzen in Deutschland keine große Priorität, haben scheinbar keine echte Repräsentanz in der Politik. Sie waren es, die in hohem Maße die Auswirkungen der Pandemie zu tragen hatten (eine Tatsache, die der Bundestag erst vor wenigen Wochen noch einmal klar formuliert hat), durften monatelang nicht Kitas oder Schulen besuchen, kaum Freunde treffen und wurden so um essentielle und notwendige Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend gebracht. Sie werden mit Hass und Häme überzogen wenn sie sich zurecht um den miserablen Zustand dieser Welt sorgen und dagegen auf die Straße gehen, sie werden in diesen Tagen mit hunderten von Milliarden neuer Schulden belastet, die nicht jene zu begleichen haben, die sie gerade anhäufen.

Die Frage nach dem Stellenwert unserer Kinder hat zu Bewegungen geführt, die früher vermutlich nicht vorstellbar gewesen wären. In Zeiten von Überbevölkerung und Klimakatastrophe sehen manche Menschen im Kinderkriegen zwischenzeitlich ein echtes Problem, da jeder neue Mensch durch seine bloße Existenz und den eigenen Bedarf an Ressourcen nachteilig auf die Umwelt einwirkt. „Birth-Strike-Movement“ zu deutsch „Gebärstreik-Bewegung“, heißt eine dieser Strömungen. Ihre Anhänger stützen sich auf eine vor fünf Jahren erschienene schwedisch-kanadische Studie, deren Tenor stark vereinfacht lautet: Keine neuen Kinder zu bekommen, wäre das Beste für den Planeten. Die Argumente leuchten natürlich ein. Wenn ein Mensch anstatt eines Autos künftig nur noch Fahrrad fährt, spart er eine gewisse Menge an CO2 ein, wird er gar nicht erst geboren, liegt seine Co2-Bilanz bei wenig erstaunlichen null Prozent. Denkt man den Gedanken zu Ende, stimmt natürlich auch die Aussage: Ganz ohne Menschen wäre dieser Planet besser dran.

Pragmatismus mit reichlich Zündstoff und doch ist und bleibt die Aussage: “Weniger Kinder bedeuten weniger Ressourcenverbrauch“ logisch betrachtet eine nicht von der Hand zu weisende Wahrheit. Da “Rational” aber eben nicht der große Bruder von “Menschlich” ist, münden solche Statements in der Regel nachvollziehbar in kontroversen Diskussionen. Eine solche Diskussionen hat jüngst – beabsichtigt oder nicht – die Kraichtaler Gemeinderätin Elisabeth Rosenberger ausgelöst, als sie sinngemäß in einer Gemeinderatssitzung die Regelung hinterfragte, wieso kinderreiche Familien bei Beiträgen und Abgaben gegenüber kinderärmeren Familien bevorzugt würden und verwies dabei auch auf Aspekte wie den CO2 Abdruck und das Problem der Überbevölkerung.

Das Feedback auf dieses Statement ließ selbstredend nicht lange auf sich warten. „Die Aussagen unserer Kollegin Rosenberger haben mich mit großem Entsetzen zurückgelassen.” sagt David Klenert von den Freien Wählern. „Es bringt uns im Gremium in eine durchaus schwierige Situation, die unser Miteinander empfindlich belasten wird. Wie kann man sich anmaßen, Familien und Menschen mit Kindern zu diskriminieren und Kinder zu kriegen mit einer Art Umweltverschmutzung gleichzusetzen?” und auch Hannelore Wick aus der SPD-Fraktion zeigte sich auf Nachfrage entsetzt: “…Wie wenig wertschätzend für alle Kinder und ihre Familien. Der Begriff „Kinderfeindlichkeit in Deutschland“ bekam für mich plötzlich eine neue Dimension. Ich muss gestehen, so sehr “ fremd geschämt“ habe ich mich schon lange nicht mehr und wenn ich es mir ganz genau überlege, hat so eine Aussage eine enorme soziale Sprengkraft.” Auch Bürgermeister Tobias Borho möchte diese Aussage nicht einfach stehen lassen, erinnert im Redaktionsgespräch an das Grundgesetz und seinen Artikel 6, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen.

Die Reaktion des Bürgermeisters noch während der Gemeinderatssitzung sieht Elisabeth Rosenberger aber als überzogen an, insbesondere dessen Verweis auf die “Ein-Kind-Politik” in China bezeichnet sie in einer Stellungnahme als “extrem polemisch”. Hinsichtlich der Gebührenordnung der Kraichtaler Kindergärten, – an diesem Thema hat sich die Diskussion überhaupt erst entzündet – galt ihre Kritik der Staffelung der Gebühren, “in der sie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung sehe, weil die Gebühren pro zusätzlichem Kind nicht gleichmäßig sinken, sondern zwischen dem dritten und vierten Kind ein unverhältnismäßig großer Sprung mit mehr als einer Halbierung besteht.” Den Grundtenor ihre Aussage verteidigte Rosenberger: ”Des Weiteren habe ich geäußert, dass ich die Subventionierung von extrem kinderreichen Familien per se in dieser Form für unangemessen und nicht mehr zeitgemäß halte, auch angesichts der Weltüberbevölkerung und des Energieverbrauchs der Individuen in der westlichen Hemisphäre.”

Eine Position, die Volker Feil von der CDU-Fraktion als schwierig ansieht, seine Fraktion stünde klar für ein familienfreundliches Kraichtal, stellt er auf Anfrage hin klar. Aus Elisabeth Rosenbergers ehemaliger Fraktion der Grünen kommen dagegen weniger direkte Töne, hier gibt man lediglich zu bedenken: “Die Sache nun in der Öffentlichkeit weiter zu verfolgen, halte ich für nicht zielführend.” so der Fraktionsvorsitzende Rudi Schmiederer per Mail. Die Reaktion des Bürgermeisters sei “direkt und angemessen” gewesen.

Insgesamt mag die Diskussion nur ein Sturm im kommunalen Wasserglas sein, doch sind die Parallelen zur gesamtgesellschaftlichen Frage nicht von der Hand zu weisen. “Welchen Stellenwert haben Kinder in unserer Gesellschaft?”. Wer sich ansieht, wie wenig mediale Aufmerksamkeit und vielmehr Gleichgültigkeit unzählige kranke Kinder erfahren, die derzeit in hoffnungslos unterbesetzten und überlasteten Kinderkliniken auf ein freies Bett warten, der kommt nicht umhin festzustellen: Eine Antwort darauf, muss dringend gefunden werden.

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