Invasion auf leisen Pfoten – Immer mehr Wolfssichtungen im Hügelland
Eine Kolumne von Tommy Gerstner
Er ist wieder da. Isegrim erobert das Land der tausend Hügel und schlägt dabei eine Schneise der Verwüstung durch unsere bislang so unschuldige Heimat. Aus allen Ecken und Enden des Kraichgau erreichen uns tagtäglich haarsträubende Berichte, nicht nur über Wolfssichtungen, sondern auch über handfeste Kontakte mit dem grauen Jäger. So unterschiedlich diese Begebenheiten auch anmuten, so einig sind deren Überbringer in ihrer Erkenntnis: Er, dessen Name nicht genannt werden darf, ist zurück. Seien Sie gewarnt, manche der im Folgenden wiedergegebenen Schilderungen, sind nichts für schwache Gemüter.
Besonders aufrüttelnd ist für Polizei und Behörden derzeit der Fall der zehnjährigen Heidi P., in Familie und Freundeskreis wegen ihrer, im Handarbeitskurs “Häkeln für Rudolf” an der Waldorfschule selbstgemachten Kopfbedeckung, nur unter einem Spitznamen bekannt. Vergangenen Mittwoch sollte sie ihrer, im Wald bei Zeutern lebenden Großmutter, die derzeit wegen einer Gürtelrose bettlägerig ist, Verpflegung und Genesungswünsche überbringen. Ihr Weg führte sie dabei durch ein Waldgebiet im Gewann Spermel – eine fatale Wahl, wie sich kurze Zeit später herausstellen sollte. Unterwegs traf sie nach ersten Schilderungen auf eine gebückte, haarige und verschlagen wirkende Gestalt, die sie unter Vorspiegelung falscher Freundlichkeit über Ziel und Zweck ihres Fußmarsches aushorchte. Da in besagtem Waldstück auch viele Oberöwisheimer unterwegs sind, schöpfte das Kind zunächst keinen Verdacht. Doch als Heidi P. bei der Ankunft im Haus der Großmutter ein haariges, großes Wesen antraf, informierte sie sofort den örtlichen Jagdpächter, der dem vermeintlichen Wolf sofort mit einer Schere zu Leibe rücken wollte. Der Prozess wegen tätlichen Angriffs mit einer Stichwaffe auf einen ungarischen Staubsaugervertreter beginnt nächste Woche am Landgericht Bruchsal.
Weitere glaubhaft wirkende Berichte erreichten uns nur einen Tag später aus Bretten. Michael N. schwört auf den dunklen Fluren des Brettener Rathauses, unweit von seinem Büro, einen echten Wolff in der Nähe des Snackautomaten gesehen zu haben. Eine auf der Herrentoilette angebrachte Wildkamera konnte schließlich seinen Verdacht erhärten und verwaschene, aber hinreichend erkennbare Aufnahmen des Wolffs liefern. Vertreter der unteren Jagdbehörde errichteten daraufhin eine getarnte Netzfalle und köderten das Phantom mit einer Flasche guten Rotweins. Mit Erfolg: Schon in den frühen Morgenstunden des nächsten Werktages gegen 11:30 Uhr tappte der Wolff in die Falle und die Schlinge zog sich zu. Da der sichtlich ungehaltene Wolff aber zwölf Stimmen Vorsprung bei der letzten Volksabstimmung über den Verbleib des Wolffes in Bretten nachweisen konnte, wurde er kurzerhand wieder in die Freiheit entlassen.
Nicht minder dramatisch muten die Ereignisse in den Wäldern Zaisenhausens an. Nachdem im Vorfeld des Rostbraten-Festes auf mysteriöse Weise mehrere Rinder von den Weiden der kleinsten Kraichgau-Gemeinde verschwunden waren, formierte sich innerhalb der Bevölkerung schnell Widerstand gegen den mutmaßlichen und mehrfachen Wolfsriss. In einer emotional aufgeladenen Bürgerversammlung forderten alle 24 Einwohner des Dorfes umgehende Maßnahmen, um der Bedrohung durch den Wolf in einheimischen Wäldern Herr zu werden. Zusammen mit unzähligen Kollegen aus Kraichtal und Eppingen organisierte die örtliche Jägerschaft eine konzertierte Treibjagd schon in der kommenden Nacht. Die verheerende Bilanz: 40 leere Flaschen Jägermeister, 18 Anzeigen wegen Wildpinkelns und ein angeschossener Schäferhund (Streifschuss an der Rute – 22,50 Euro tierärztliche Behandlungskosten).
Nur drei Geschichten, von mittlerweile viel zu vielen. Wir müssen uns mit dem Umstand vertraut machen: Der Wolf ist zurück im Kraichgau – gekommen, um zu bleiben. Eine Presseanfrage beim Verband wildlebender Wölfe e.V. lässt darüber keinerlei Zweifel zu: “Nach sorgfältiger Abwägung haben wir uns dazu entschlossen, nach über 100 Jahren Abwesenheit in Ihrer Region wieder sesshaft zu werden. Im Bemühen um eine friedliche Koexistenz bitten wir um ein respektvolles Miteinander. Irritiert zeigt sich unser Verband lediglich hinsichtlich der widersprüchlichen Aussagen beider menschlicher Lager, sowohl unserer Befürworter als auch der Gegner. So können wir weder nachvollziehen, wieso in einer vermeintlich derart weit entwickelten und aufgeklärten Gesellschaft, die Anwesenheit einer geringfügigen Zahl an Wölfen ein derart starkes mediales Echo erzeugt. Ebenso wenig erschließt sich uns die hitzig geführte Debatte über unser Schicksal, wo doch an jedem einzelnen Tag zwei Millionen Vertreter anderer tierischer Spezies auf grausamste Art und Weise geschlachtet werden.”.
Eine berechtigte Frage, die wir zu leidenschaftlichen Diskussion unter dieser Berichterstattung gerne an unsere geschätzte Leserschaft weiterreichen.
Nachtrag: Heidi P. und ihr Komplize, der Jagdpächter Lothar L. wurden von der ersten Kammer des Landgerichts Bruchsals wegen gemeinschaftlichem, tätlichen Angriffs zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Verteidigung hat Revision beantragt.