„Wir müssen jetzt harte Entscheidungen treffen“

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“Wir brauchen Perspektiven” – Einen Monat nach seinem Amtsantritt will Kraichtals Bürgermeister Tobias Borho unverzüglich ans “Eingemachte” gehen

Es ist noch etwas ungewohnt ihn hier sitzen zu sehen, dort wo man in den zurückliegenden 16 Jahren immer auf Ulrich Hintermayer stieß… doch nun ist es sein Büro und wird es auch mindestens acht Jahre lang bleiben. Seit Anfang Mai ist Tobias Borho neuer Bürgermeister in der Stadt und hat umfangreiche Pläne für Kraichtal. Nur einer davon, mit Sicherheit der harmloseste, betrifft das Büro selbst. Die dunkelblaue Wand gegenüber seinem Schreibtisch kann Tobias Borho nicht mehr sehen und will sie schnellstmöglich weiß überstreichen, die selbst gekaufte Wandfarbe aus dem Baumarkt steht schon neben der Tür.

Diese Ausgabe wird das städtische Budget also schon einmal nicht belasten, es ist schließlich belastet genug und genau hier will Tobias Borho unverzüglich ansetzen. Die Stadt erwirtschaftet kaum nennenswerte Einnahmen, hat hingegen hohe Ausgaben und zudem einen erklecklichen Schuldenberg angehäuft. Um diesem Missstand endlich angemessen begegnen zu können, darf so manche Option kein Tabuthema mehr sein, erzählt Tobias Borho und ist sich dabei der unweigerlich folgenden, schwierigen Debatten und emotionalen Diskussionen durchaus gewahr. Zur Diskussion stehen mitunter Immobilien im städtischen Eigentum, die wenig Nutzen aber hohe Kosten verursachen, die Konzentration auf die funktionierenden Schulen, Kürzungen beim Personal und der sofortige Stopp von Projekten, die ohne nennenswerte Erfolgsaussichten hohe Planungskosten verursachen.

Das Kraichtaler Rathaus in Münzesheim

Für diese augenfällig notwendigen Kurskorrekturen zur Sanierung der städtischen Finanzen, braucht der neue Bürgermeister den Schulterschluss mit dem Gemeinderat. Doch wie heißt es so schön: Dieser Weg wird kein leichter sein. In der Vergangenheit wurde die Arbeit des Gremiums zeitweilig von Partikularinteressen und Leuchtturmpolitik überschattet, das gemeinsame Ziehen an einem Strang war nicht immer zu erkennen. Man muss es leider sagen, die Kraichtaler Politik war oft von einem unproduktiven Gegeneinander bestimmt. Doch mit der Unkultur des “auf den Tisch hauen” und des Postengeschachers will Tobias Boho aufräumen, steht nach eigenem Bekunden für derlei Spiele nicht zur Verfügung. “Mir geht es nicht darum, in acht Jahren wiedergewählt zu werden, ich will dass wir alle Kraichtal jeden Tag ein Stück besser machen” stellt der 28-Jährige derart ernst fest, dass man ihm trotz des Pathos in seinen Worten Glauben schenkt. Dies dürfte auch der Grund sein, warum die Mehrheit der Kraichtaler/innen dem vergleichsweise jungen Politiker ihre Stimme gegeben haben. Tobias Borho wirkt nicht aufgesetzt oder gekünstelt, sondern vielmehr aufrichtig und engagiert. Vielleicht eine kleine Spur blauäugig, aber das ist das gute Recht jedes neuen Amtsinhabers – Erfahrung wird schließlich nicht verschenkt, sondern erworben. Tatsächlich konnte man aus dem Raunen des Rates nach der letzten Sitzung auch überraschte Stimmen hören. Es sei die angenehmste Ratssitzung seit langem gewesen, so eine Zuhörerin.

Angenehm dürften viele der kommenden Sitzungen aber vermutlich nicht werden, schließlich stehen diverse Posten zur Disposition, um die mitunter ein zähes Ringen vorprogrammiert ist. Wie eingangs schon erwähnt, müssen alle Posten des städtischen Haushalts auf den Prüfstand und sich dort die Frage nach einem ausgewogenen und sinnvollen Kosten-Nutzen-Verhältnis gefallen lassen. Das betrifft kleine Posten, wie den Dienstwagen des Bürgermeisters, den Tobias Borho ersatzlos abschaffen möchte, aber auch große Posten wie z.B. aussichtslose, aber teure Planungen für Straßenbauprojekte, deren Nutzen für Tobias Borho in keinem Verhältnis zu den Kosten stehen. Gesprächsbedarf wird es vermutlich auch bei den Schulen der Stadt geben. Hierzu will sich der Bürgermeister zwar derzeit noch nicht äußern, aber der Wunsch nach einer Fokussierung auf “funktionierende Schulen”, schickt vermutlich eine Botschaft zwischen den Zeilen voraus. Wer rational und kühl denkt, wird aber nicht umhin kommen zu bemerken, dass der Betrieb sanierungsbedürftiger Schulgebäude – mitunter ausgelegt für dreistellige Schülerzahlen, doch nur genutzt durch einen Bruchteil deren, eventuell ernsthaft diskutiert werden sollte. Die emotionale Debatte, man erinnere sich an die Causa Landshausen, dürfte jedoch zweifelsohne nicht lange auf sich warten lassen.

zäh fließender Verkehr in Unteröwisheim

Die Einsparungen sind sicher das größte der drängenden Kraichtaler Themen, doch stellt sich natürlich im Gegenzug die Frage nach der Erhöhung der Einnahmen. Hierzu will Tobias Borho den Ausbau der Gewerbegebiete vorantreiben, sowie die Erschließung neuer Gewerbeflächen für zukünftige, in der Stadt anzusiedelnde Betriebe. Das größte, diesbezügliche Projekt soll am Ortseingang von Unteröwisheim realisiert werden. Kommend von Ubstadt, wird auf die rechten Seite am Ortsrand ein größeres Gewerbegebiet entstehen. Angebunden wird es durch einen neuen Kreisverkehr, der den Verkehrsfluss, der sich bislang komplett in die Friedrichstraße ergießt, besser verteilen soll.

Apropos Verkehr. Die Entspannung der Verkehrssituation, insbesondere in den Stadtteilen Unteröwisheim, Münzesheim und Oberacker, gehören mitunter zu den größten Anliegen der Menschen in der Stadt und dies nicht erst seit gestern. Tobias Borho möchte hier an allen Stellschrauben drehen, an denen man drehen kann. Zur Debatte steht beispielsweise die Anschaffung eines Blitzers, bevorzugt eines mobilen Modells und möglicherweise im Schulterschluss mit den Nachbargemeinden. Mindestens 150.000 Euro kostet ein solches Gerät – kein Pappenstiel. Angesprochen auf ein mögliches Durchfahrtsverbot für LKW, verdüstert sich allerdings die Miene des neuen Bürgermeisters. Nachdem dieses Ansinnen bereits trotz entsprechender Anträge vom Regierungspräsidium abgelehnt wurde, bliebe nun nur noch der Klageweg. Ein von der Stadt in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten bei einer Fachkanzlei hat aber ergeben, dass die Chance auf einen Sieg für die Stadt nur verschwindend gering ausfällt, im Falle einer Niederlage Kraichtal aber die gesamten Prozesskosten zu tragen hätte. So bleibt Tobias Borho hier wohl nur eine beständige Lobbyarbeit in Karlsruhe und Stuttgart, beharrliches Nachbohren und ein unermüdliches “auf die Füße treten” übrig. Weiterhin will er sich gemeinsam mit Ubstadt-Weiher für die B35 Ost bei Bruchsal und einen Anschluss der L554 daran einsetzen. In der Vergangenheit hatte sich der Bruchsaler Gemeinderat allerdings mehrfach und einstimmig gegen den Bau der Ostumgehung ausgesprochen und präferiert hingegen den Ausbau der bestehenden B35 durch Bruchsal. Auch hier werden die Stadt Kraichtal und Tobias Borho also dicke Bretter zu bohren haben.

Neben diesen dicken Brocken stehen noch weitere Punkte auf der umfangreichen Agenda des frischgebackenen Kraichtaler Bürgermeisters. Da wäre z.b. der Ausbau bestehenden Wohnraums sowie die Erschließung neuer Baugebiete, beispielsweise in Oberacker, Menzingen und Neuenbürg. Auch die Nahversorgung in den kleineren Ortsteilen will Tobias Boho stärken, an entsprechenden Konzepten würde bereits gearbeitet. Nicht zu vergessen die Forcierung eines nutzbaren und schnellen Internetzugangs für die Menschen und Betriebe in der Stadt. Zudem soll die Kommunikation der Stadtverwaltung mit den Bürger/innen verbessert werden. Hierzu sollen endlich auch die Kanäle der sozialen Netzwerke genutzt werden, zudem will Tobias Borho jede Woche in einem Grußwort die Bürger/innen an seinen Überlegungen und politischen und gestalterischen Zielen teilhaben lassen. Auch die Übertragung der Gemeinderatssitzungen via Livestream steht auf seiner To-Do-Liste.

Tobias Borho und sein Opus Klassik

Wie ernst es dem neuen Bürgermeister mit seinem Wunsch nach einem persönlichen Zusammenwachsen mit seiner neuen Wahlheimat ist, zeigt neben seinem Umzug in ein Sanierungsobjekt in Menzingen auch die Absicht, hier die Grundausbildung bei der örtlichen Feuerwehr durchlaufen zu wollen. Auch seine Leidenschaft – das Chorsingen – hat Tobias Borho für seinen neuen Job vollständig an den Nagel gehängt. Obgleich er in diesem Zusammenhang bereits einen “Opus Klassik”, den Nachfolger des legendären Musikpreises Echo ergattern konnte, wird für das Singen nun einfach keine Zeit mehr bleiben. Ob er es schafft Kraichtal künftig mit einer Stimme zu einen, steht zwar zum jetzigen Zeitpunkt noch in den Sternen, mit etwas mehr Harmonie in der schwer führbaren Neun-Dörfer-Stadt, wäre aber sicher schon vieles gewonnen. Denn im Grunde wissen die Kraichtaler genau, dass etwas geschehen muss, dass es nicht einfach weitergehen kann wie bisher. Der erste Schritt auf diesem Weg muss ein kollektives “sich nackig-” und “sich ehrlich-machen” sein… Bevor es besser werden kann, wird es also zunächst erst einmal schlimmer werden.

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1 Gedanke zu „„Wir müssen jetzt harte Entscheidungen treffen““

  1. Danke für den sachlichen und informativen Bericht. Ich kann diesem jungen Bürgermeister nur gutes Gelingen dazu wünschen. Vielleicht gelingt es ihm 50 Jahre nach der Gründung der Stadt Kraichtal viel zu bewegen

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