Wie viel ist zu viel?

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Je weiter die Teilfortschreibung Windenergie des Regionalverbandes Mittlerer Oberrhein gedeiht, desto mehr rumort es in der Region. Während in manchen Gebieten kaum Windkraftanlagen möglich sein werden, könnten es an anderer Stelle dafür deutlich mehr werden. Das schmeckt nicht jedem.

von Stephan Gilliar

Der Wind wird rauer, wenn sie dieses Wortspiel erlauben. Kein Wunder, in den nun veröffentlichten Suchraumkarten finden sich zahlreiche Vorranggebiete – also Areale in denen nach aktuellem Stand der Dinge theoretisch der Bau von Windkraftanlagen möglich wäre – direkt in unserer Region, mitten im Herzen des Kraichgau. Das ist jedoch weder Arglist noch eine verkappte Maßnahme unter dem Motto “Auf dem Land kann man es ja machen”, sondern tatsächlich der nächste logische Schritt im Prozedere der Suche möglicher Flächen für die Nutzung von Windenergie. Im beispielhaften Vergleich zum Stadtgebiet von Karlsruhe ist der Kraichgau sehr viel weniger dicht besiedelt, desto mehr mögliche Flächen gibt es naturgemäß, auf denen z.B. die Mindestabstände zur Wohnbebauung eingehalten werden können. Zudem hat die letzte Novelle des Windatlas, eine Art Karte der verfügbaren Windpotenziale im Land, hier entsprechend nutzbare Areale ausfindig machen können. Auch wenn individuell gefühlt unsere Region keine sehr windige Gegend ist, darf man sich doch vom subjektiven Eindruck nicht täuschen lassen – schließlich hält man sich selten 100-200 Meter über dem Boden auf. Die Musik spielt sozusagen etliche Stockwerke über unseren Köpfen.

Der Ausbau ist gesetzlich beschlossen, aber nicht abgeschlossen

Die Suche nach möglichen Standorten für Windkraftanlagen ist übrigens mit der nun veröffentlichten neuen Ausgabe der Suchraumkarten keineswegs abgeschlossen. Der Regionalverband als Planungsbehörde geht hier nach dem Ausschlussverfahren vor, verkleinert auf die Art und Weise die Flächen immer weiter, bis zum Schluss eben nur solche Bereiche übrig sind, bei denen nichts mehr gegen einen solchen Ausbau spräche. Es gibt dabei eine ganze Reihe von Kriterien, die es zu beachten gilt. Da wären zum Beispiel ganz harte Faktoren wie die Sicherung des Flugverkehrs rund um den Flughafen Karlsruhe / Baden-Baden, oder militärische Vorbehalte im Bereich der Eichelbergkaserne bei Bruchsal. Dann gilt es natürlich Abstandsregelungen zur nächsten Wohnbebauung einzuhalten, oder besonders schützenswerten Naturräume nicht zu beeinflussen. Nur ein paar Faktoren von vielen.

Info-Link: Suchraumkarte Teilregionalplan Windenergie

“Ich will nicht” reicht nicht.

Was jedoch nicht zu den Ausschlusskriterien zählt, sind Argumente à la: “Will ich nicht – gefällt mir nicht – nicht bei mir”. Auch wenn das vermutlich destilliert die Motive nicht weniger Windkraftgegner sind, stützt sich deren Argumentation doch oft auf eine Reihe von Vorbehalten gegenüber der Windkraft, die schon seit vielen Jahren intensiv diskutiert werden, von denen viele bereits widerlegt oder technisch gelöst wurden. Die Klassiker sind hier: Windanlagen sind Vogelschredder, können als Sondermüll nicht entsorgt werden, arbeiten nicht wirtschaftlich, sparen keinerlei CO2 ein und verursachen für Mensch und Tier gefährlichen Infraschall. Entsprechende Faktenchecks wurden in großer Zahl durchgeführt und zeigen leicht verständlich auf, auf welchen Irrtümern diese Annahmen oft beruhen. Als Beispiel für einen solchen, verlinken wir hier den Faktencheck des Bundeswirtschaftsministeriums. Klar ist natürlich auch, keine Anlage hat weniger Umweltauswirkungen als eine Anlage, das gilt aber natürlich für jede Form der Energieerzeugung.

Die Diskussion ist längst weiter

Doch darum geht es im Grunde schon längst nicht mehr, der Ausbau der Windenergie ist beschlossene Sache, er wird kommen – so oder so. Das kommt übrigens keineswegs überraschend, Baden-Württemberg hat den schnellen Ausbau der Windkraft bereits vor 14 Jahren beschlossen. Bis zum Dezember 2025 steht nun der rechtskräftige Teilregionalplan Windenergie. Die Grundlage dafür hat der Gesetzgeber festgelegt: Die Bundesregierung hat im WindBG (Windenergieflächenbedarfsgesetz) bundesweit Flächenziele für den Ausbau der Windenergie vorgegeben. Baden-Württemberg muss innerhalb seiner Landesfläche 1,8 % für den Ausbau der Windenergie bereithalten.

Die Zustimmung ist schwankend

Auch wenn die Akzeptanz in der Bevölkerung für diesen Ausbau derzeit nicht gerade auf einem Allzeithoch rangiert, war das nicht immer so. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 war der Atomausstieg weitgehender, gesellschaftlicher Konsens. Sogar manch einer, der heute mit großen Worten selbigen als Fehler bezeichnet, hat sich damals vehement dafür ausgesprochen. Auch direkt nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war die Zustimmung zum Ausbau regenerativer Energien im Land hoch, wurde doch damals die starke Abhängigkeit von ausländischen Energieimporten für manche erstmals offenkundig. Die besteht übrigens nach wie vor. Obwohl erst vor wenigen Tagen öffentlich wurde, dass ukrainische Mitarbeiter des AKW Saporischschja mit Folter zur Arbeit gezwungen wurden, wird es seitens der EU keine Sanktionen gegenüber dem russischen Energiesen Rosatom geben. Der pragmatische, wenn auch wenig rühmliche Grund: Die Abhängigkeit vom russischen Uran. Vielleicht wäre es nicht ganz verkehrt, das bei eventuellen Wünschen nach einer Rückkehr zur Atomkraft im Hinterkopf zu behalten.

Wehret den Anfängen oder spätes Erwachen?

Doch zurück in den Kraichgau. Auch wenn bekanntlich nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, reagieren viele Menschen und auch die Kommunen besorgt auf die nun aktualisierten Suchraumkarten des Regionalverbandes. Gerade im Raum Bruchsal, Bretten und Kraichtal sind zahlreiche Gebiete ausgewiesen, die für eine Nutzung durch Windenergie in Betracht kommen. Und nochmal – nicht überall, wo entsprechende Markierungen auf der Karte zu finden sind, werden am Ende auch Windkraftanlagen stehen, nach wie vor läuft die Suche nach dem Ausschlussverfahren. Doch nach dem Prinzip: “Wehret den Anfängen”, suchen nun manche die Öffentlichkeit, formulieren ihre Sorgen und bekräftigen Forderungen nach einer Begrenzung der Anlagen.

Sorge vor Überlastung mancher Kommunen

Die Gemeinde Gondelsheim beispielsweise hat sich früh für die Errichtung mehrerer Anlagen auf ihrer Gemarkung entschieden. Aus gutem Grund. Werden die Windräder auf kommunalem Boden errichtet, kommen auch die beträchtlichen Pachteinnahmen (pro Anlage sind hier problemlos bis zu 100.000 € oder mehr pro Jahr möglich) der Gemeinde zugute. Während andere Kommunen im Zuständigkeitsbereich des Regionalverbandes in die Komplettverweigerung gehen, sich also kategorisch gegen jede einzelne Anlage aussprechen, ist Gondelsheim einen Schritt nach vorne gegangen, anstatt die Arme vor der Brust zu verschränken. Nach den neuen Suchraumkarten sind in Gondelsheim allerdings statt der drei durch den Gemeinderat abgestimmten, nun eine ganze Reihe mehr Anlagen möglich. Hinzukommen weitere Windräder auf Bruchsaler oder Brettener Gemarkung, die natürlich auch von Gondelsheim noch gut sichtbar wären (und umgekehrt). Deswegen stellt man sich in Gondelsheim nun besorgt die Frage: Wie viel ist zu viel? An welchem Punkt kippt die Akzeptanz auf lokalpolitischer Ebene und natürlich auf Seiten der Bevölkerung?

Lesen Sie auch: Interview mit Verbandsdirektor Dr. Matthias Proske zum Ausbau der Windkraft in der Region.

Die Sorge vor einer Art von Umzingelung mit Windrädern teilt man auch in Bruchsal. Ähnliche Befürchtungen wie in Gondelsheim hat man in den Stadtteilen Heidelsheim und Helmsheim, auch in der Kernstadt wird der Ausbau kritisch beobachtet: „Ich setze mich seit Jahren für den Ausbau der erneuerbaren Energien und für die Nutzung von Windkraft auf der Gemarkung Bruchsal ein. Doch muss dies in einem verträglichen Maße für die einzelnen Ortsteile und damit für die Bürger/-innen erfolgen“, sagt Oberbürgermeisterin Cornelia (B90/Grüne) Petzold-Schick und steht damit argumentativ Schulter an Schulter mit Gondelsheims Bürgermeister Markus Rupp (SPD), der betont: “Windkraft ja, aber mit Maß und Mitte. Eine Überlastung unserer Gemeinde oder gar eine Riegelbildung stößt auf meinen, auf unseren Widerstand”.

Ob tatsächlich eine solche “Riegelbildung” oder eine Überlastung kommen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Wie schon mehrfach hervorgehoben, ist die Suche nach den möglichen Standorten noch im Gange, keinesfalls abgeschlossen. Allzu viel können die Kommunen im Falle eines Falles ohnehin nicht unternehmen, allenfalls den Klageweg beschreiten und das mit ungewissem Ausgang. Denn: “Die Umsetzung der Flächenziele liegt alleine in der Hand des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein. Der Planungsauftrag an die Regionalplanung ergibt sich aus § 13a Landesplanungsgesetz, so steht es auf den Seiten des RMO.

Der ultimative Joker

Der Regionalverband hält diesbezüglich auch den ultimativen Joker in der Hand, eine Karte, die er ganz zuletzt ausspielen kann und vermutlich auch wird. Hat man es bis zum 1. Dezember 2032 nicht geschafft, die entsprechenden Flächen für Windenergie auszuweisen, gilt die sogenannte “Superprivilegierung”. dann sind Windkraftanlagen überall möglich, wo sie nicht verboten sind, erläutert Dr. Matthias Proske, Verbandsdirektor des RMO gegenüber Hügelhelden.de

Fairness kann es ihm zufolge bei der Verteilung der Anlagen im klassischen Sinne eines Lastenausgleichs nicht geben, dagegen stehen einfach die Faktenlage und die räumlichen Voraussetzungen der jeweiligen Städte und Kommunen. Wenn dort jeweils nur die vor Ort gewünschte oder akzeptierte Anzahl von Anlagen umgesetzt würde – was in manchen Fällen der Zahl Null entspräche, wären die vom Gesetzgeber aufgerufenen Ziele unmöglich erreichbar. Die Möglichkeiten der Kooperation und des “Aufeinanderzugehens” sind somit zwar begrenzt, aber noch längst nicht ausgelotet. Ein “Alles bleibt wie es ist” ist jedoch schlicht keine Option mehr, diesen Umstand gilt es klar zu benennen. Es muss damit in der aktuellen, Ende kommenden Jahres zu Ende gehenden Planungsphase nunmehr darum gehen, so gut aufeinander zuzugehen wie möglich, Kompromisse zu schließen und das Beste aus der Situation zu machen. Wenn das nicht gelingt, werden spätestens Anfang der Dreißiger Jahre Nägel mit Köpfen gemacht.

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6 Gedanken zu „Wie viel ist zu viel?“

  1. Bürgerentscheid , geht problemlos ( siehe Südbaden/Blauen ) . Dann braucht es kein Monolog , von den sogenannten Experten ! Es lebe die Demokratie 🤟

  2. Hier zählt nur eine Meinung ! Grüne Ideologie . Das wird jetzt so gemacht , ob Ihr wollt oder nicht ,🙈🙈🙈🙈🙈

  3. Zum Thema Bürgerentscheid ist fest zu halten: Es gibt ein Grundgesetz und dort den Artikel 28 Abs. 2. Für alle die so gerne Demokratie rufen, ganz langsam zum mitschreiben:
    Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Damit ist der Herr vom Mittleren Oberrhein außen vor.

  4. Mich würde mal interessieren, um wieviel man die Anzahl der Windraeder reduzieren könnte, wenn Photovoltaik auf allen geeigneten Dächern genutzt würde. Was für den Bürger Pflicht wird, gilt anscheinend für Gewerbehallen und neu von der Gemeinde gebaute Objekte nicht. Das kann man leider überall sehen. Auch ob die Windraeder das gefährliche SF Gas enthalten, habe ich noch keinem Beitrag entnehmen können. Ich würde mir wünschen, dass wirklich nur die nötige Anzahl betrieben wird und erst nachdem alle andere Möglichkeiten optimal ausgenutzt worden sind. Für die Natur ist jedes Stück Natur , das unnötig verbaut wird, verloren. Gerade in unserer wertvollen kleinstrukturierten Landschaft des Kraichgaus. Aber leider steht ja Baurecht über Naturschutz, was eigentlich ein Unding ist.

  5. Zum Faktencheck des Bundeswirtschaftsministeriums fällt mit der alte Witz von Otto ein: „Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Rauchen doch nicht gesundheitsgefährdend ist. Gezeichnet: Dr. Marlboro“. Sorgen, Ängste und Argumente Andersdenkender zu ignorieren und totzureden ist mittlerweile ein probates Mittel der Regierenden und deren Anhänger. Damit entfernen wir uns immer weiter von unseren demokratischen Grundprinzipien. Traurig und zudem sehr gefährlich. Mittlerweile glaube ich nur noch dem Windrad-Enthusiasten, der neben einem geplanten Windradstandort oder sogar neben einem bestehenden Windrad wohnt und das ganz toll findet. Ich fürchte nur, das trifft auf die wenigsten Windrad-Freunde zu. St. Florians-Prinzip bedeutet nicht nur „Nicht bei mir“ sondern auch „Ruhig zu den anderen“.

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