Aus der Fremde muss Maria mit ansehen, wie ihr Land und ihre Familie ums Überleben kämpft
Seit über zwei Wochen läuft dieser blutige und grausame Krieg bereits, doch Maria kann es noch immer nicht richtig fassen. “Russland, das ist doch unser Nachbar”, sagt sie. Maria hat Freunde dort, in Moskau, in Sankt Petersburg und anderswo. Jahrzehntelang ist sie als Zugbegleiterin durchs Land gefahren – sowohl durch die Ukraine als auch durch Russland, das was nun passiert, macht sie fassungslos.
Gemeinsam mit ihren beiden Enkelkindern Julia und Dimi ist sie schon Ende Februar aus ihrer Heimat nach Deutschland geflohen. Maria kommt aus Javoriw, jenem kleinen Dorf in der nähe Lembergs, das durch einen Großangriff Russlands auf den dortigen Truppenübungsplatz vor etwa einer Woche zu trauriger Berühmtheit gelangte. Mindestens 35 Menschen verloren durch den verheerenden Raketenangriff ihr Leben.
Als Marias Tochter Olga aus der Ferne den Kriegsausbruch in der Ukraine miterlebte, rief sie ihre Mutter täglich an und bat Sie inständig um die Ausreise nach Deutschland. Olga lebt bereits seit 21 Jahren in Ubstadt-Weiher, ist hier stellvertretende Filialleiterin eines Supermarktes. Schon als die russische Armee sich im Februar vor den Grenzen ihres Heimatlandes formierte, wurde sie von Tag zu Tag unruhiger, hielt ständig Kontakt mit ihre Familie. Um den Monatswechsel herum hielt sie es nicht mehr länger aus und holte ihre Mutter, ihre Nichte und ihren Neffen zu sich in ihre Wohnung nach Weiher. Ihr Vater, ihr Bruder und andere Mitglieder ihrer großen Familie jedoch bleiben in der Ukraine, bereiten sich auf die Verteidigung gegen die russische Armee vor.
Maria sitzt seither wie auf Kohlen, telefoniert so oft sie nur kann mit den Zurückgebliebenen in Javoriw und Starij Sambir. Sorgen und Einsamkeit sind dabei ihre ständigen Begleiter, die Angst um die Lieben daheim und dem Abreißen der Verbindung. Momentan aber funktionieren die Telefonnetze noch, sogar das Homeschooling für Julia, die zu Hause die achte Klasse besucht gelingt noch. Regelmäßig jedoch wird der Unterricht unterbrochen, erzählt Julia.. nicht aber, weil es ein Problem mit der Verbindung gibt. Der Grund dafür ist die harte Realität des Krieges: Immer wieder wird zu Hause Luftalarm ausgelöst, die Menschen suchen Schutz in Kellern und Bunkern… auch die Schulkameraden in Julias Klasse. Szenen, die hierzulande vielleicht noch unseren Großeltern bekannt vorkommen dürften.
Was sie glaubt, was die Zukunft bringen wird? Bei dieser Frage, bilden sich Tränen in den Augenwinkeln der 70 jährigen Maria. Innerhalb von wenigen Tagen hat sich ihr gesamtes Weltbild verkehrt, ihre Realität auf den Kopf gestellt – das sieht man auch ohne Olga als Dolmetscherin zu Hilfe ziehen zu müssen. Russland und die Ukraine, das ist ein bisschen so wie Deutschland und Österreich, führt sie aus… ein Krieg, das war bis vor kurzem unvorstellbar. Dennoch glaubt sie, dass die Ukraine eine Chance hat diesen Konflikt zu überstehen. Durch die Wehrpflicht seien die Männer in ihrer Heimat für eine solche Situation ausgebildet, zudem kämpfen sie voller Leidenschaft und Hingabe für ihr Land, anders als die russischen Invasoren.
Doch wo der Weg am Ende hinführt, das weiß wohl niemand zu sagen, auch nicht Olga und Maria. Nun richten sie sich erst einmal gemeinsam hier in Weiher ein, haben Fragen über Fragen und diverse Behördengänge vor sich. Bürgermeister Tony Löffler, der am Ende des Interviews dazustößt, signalisiert hier schnelle und unbürokratische Unterstützung. Doch an Herausforderungen wird es für die Geflüchteten aus der Ukraine vorerst nicht mangeln: Es gilt eine dauerhafte Bleibe zu finden, Schulplätze für die Kinder, Arbeit und all das über die bedeutsame Sprachbarriere hinweg. Aufgaben, die Hirn und Hände zu beschäftigen wissen, das Herz aber ist bange und weiterhin zuhause in der Ukraine.