Weihnachten wackelt

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Die Töne aus Stuttgart werden härter

von Stephan Gilliar

Gerade einmal neun Tage ist er nun alt dieser “Lockdown light” , gestrickt mit heißen Nadeln Ende Oktober und ohne nennenswerte Vorwarnzeit in Kraft getreten. Eingedenk der himmelwärts explodierenden Infektionszahlen, blieb der Politik ja auch kaum eine andere Möglichkeit, um der um sich greifenden Pandemie etwas entgegenzusetzen. Vier Wochen sozialer Enthaltsamkeit, ein erneut brachliegendes Kulturleben, sowie eine schmerzhafte Zwangspause für ganze Branchen, sind die Begleiterscheinungen dieses potenziellen Wellenbrecher-Monats November. Das Ziel ist klar: Es gilt die Dynamik und das exponentielle Wachstum der Pandemie zu brechen um eine Überlastung unseres Gesundheitswesens zu verhindern. Zweifellos das Gebot der Stunde, wäre doch das Szenario bei einer Überschreitung dessen Kapazitäten fatal. Sind die Intensivstationen erst einmal voll belegt, bliebe den bemitleidenswerten Ärzten nur noch die verzweifelte Option des Abwägens zwischen unterschiedlichen menschlichen Schicksalen. Man möchte nicht wirklich mitverantwortlich dafür sein, dass andere gezwungen sind über Leben und Tod zu entscheiden.

Nun hat der Mensch jedoch das Bedürfnis wissen zu wollen, weshalb er Zähne und Pobacken zusammenkneifen muss – wann eine Talsohle durchschritten und die Luft wieder rein ist. Als ultimatives Leckerli und Belohnung für die Entbehrungen des Novembers, hat die Politik zwischen Konstanz und Kiel das Weihnachtsfest entdeckt. Das grob zusammengefasste Motto: “Jetzt strengen wir uns alle an, dafür können wir auch gemeinsam Weihnachten feiern”. Jeder vernunftbegabte Mensch weiß aber längst, dass dieses Versprechen nicht gehalten werden kann. Das Virus wird am Ende des Monats nicht verschwunden sein! Mit verdammt viel Glück kann zwar die zweite Welle gebrochen werden, normalisiert sich aber das soziale und wirtschaftliche Leben im Land Richtung Weihnachten wieder, dürfte spätestens zum Jahresbeginn der “Lockdown light – reloaded” auf der Tagesordnung aufploppen.

Kurzum: Es fehlt nach wie vor eine nachhaltige Strategie im Kampf gegen das Virus – vermutlich einfach aufgrund der simplen Tatsache, dass es eine solche schlicht nicht gibt. Lässt man die Zügel locker und alles laufen, füllen sich die Krankenhäuser und das Triagieren in der Notaufnahme wird grausame Realität. Fährt man aber dauerhaft alles herunter, dürften die sozialen und wirtschaftlichen Schäden dieser Gesellschaft ebenso bedrohliche Dimensionen erreichen. Politiker möchte man in jedem Fall dieser Tage nicht sein, egal was man macht, man macht es mit Sicherheit falsch.

Die große Landespolitik in Stuttgart ihrerseits scheint aber nun auf noch mehr Härte und Stränge zu setzen, anders lassen sich die jüngsten Aussagen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seinem Stellvertreter und Innenminister Thomas Strobl nicht deuten. Obwohl der November-Lockdown-Light gerade erstmal eine gute Woche läuft, spricht der Ministerpräsident bereit von weiteren Verschärfungen der Regeln. Im Gespräch mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er hinsichtlich der drohenden Überschreitung der Kapazitäten des Gesundheitssystems: „Wenn droht, dass diese rote Linie überschritten wird, kommen wir um härtere Maßnahmen – unter Umständen sehr harte Maßnahmen – überhaupt nicht herum.“ und führte beispielhaft eine weitere Reduzierung von Kontakten an. Thomas Strobl indes polterte in Richtung von Quarantänebrechern und drohte als Ultima ratio mit Zwangseinweisungen in Kliniken.

Nun darf man sich zurecht die Frage stellen, ob diese erzeugten Drohkulissen und der verschärfte Ton am Ende tatsächlich zielführend sind. Wie sagte es der deutsche Ärztepräsident Reinhardt vor einigen Tagen so treffend: Man kann Menschen nicht in einer Tour Angst machen. Anstatt nach nur neun Tagen bereits eine Verschärfung der Regelungen in Aussicht zu stellen, könnte man doch stattdessen erst einmal die Einhaltung der Bestehenden einfordern. Wer am Wochenende in der Region unterwegs war, dürfte sich sicherlich hier und da die Augen gerieben haben, wie wenig im öffentlichen Raum die Vorgaben beherzigt werden. Selbst in Karlsruhe, wo bekanntermaßen noch schärfere Maßgaben gelten, als im umgebenden Landkreis, waren die Menschen in Scharen auf den Straßen und auf den Plätzen unterwegs. Masken und der geboten Abstand waren mancherorts eher die Ausnahme als die Regel. Es scheint fast, als müssten die Einschläge des Schicksals erst in der eigenen Verwandtschaft oder im Freundeskreis niedergehen, bevor sich der Einzelne auf die Notwendigkeit altruistischen Handelns besinnt.

Ob der “Lockdown light” tatsächlich in der Lage sein wird, die derzeit über das Land brandende, zweite Welle zu brechen, wird sich erst in einigen Tagen zeigen. Eingedenk der Szenen des vergangenen Wochenendes, gebe man sich allerdings diesbezüglich nicht allzu großen Hoffnungen hin. Die harten Töne aus Stuttgart deuten auch weniger auf Entspannung, als vielmehr in Richtung einer Transformation des “Lockdown light” in einen “Lockdown hard”. So traurig es ist: Auf Weihnachten im großen Kreis der Verwandtschaft, sollte man sich wohl in diesem harten Winter nicht einstellen.

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2 Gedanken zu „Weihnachten wackelt“

  1. Der härteste Lockdown wird Corona nicht ausrotten, siehe Italien oder Spanien, wo seit langem hatte Beschränkungen gelten und die Infektionen dennoch rasant steigen. Fazit: Wir müssen pragmatisch leben mit dem Virus, das nicht harmlos, aber eben auch kein Killer ist. Stattdessen überbietet such die Politik im Aktionismus, Angst und Panik verbreiten und Drohkulissen aufbauen. Auf Dauer lässt sich damit aber nicht die Krise bewältigen, sondern man muss die Menschen aufklären, informieren und mitnehmen, vor allen ihre eigene Verantwortung stärken.

  2. „Es scheint fast, als müssten die Einschläge des Schicksals erst in der eigenen Verwandtschaft oder im Freundeskreis niedergehen, bevor sich der Einzelne auf die Notwendigkeit altruistischen Handelns besinnt.“
    Leider sehe ich das genauso.
    Und natürlich frage ich mich, ob es wirklich so sein MUSS, dass Leid erst im unmittelbaren Umfeld ankommen muss, bevor man bereit ist, sich ein wenig (oder auch ein wenig mehr) einzuschränken?

    Ich kann verstehen, dass die Einschränkungen grade für die Menschen „doof“ sind, die selbst „nichts zu befürchten haben“ – aber jetzt mal im Ernst: zum einen kann keiner zu 100% sicher sein, dass sein Erkrankungsverlauf harmlos sein wird und zum anderen kann eben auch jeder, der selbst einen stillen oder milden Erkrankungsverlauf hat, jemand anderen anstecken, der seinerseits schwer erkrankt.

    Und nun mal ehrlich: ich persönlich finde es auch nicht wunderschön, eine Maske zu tragen – DENNOCH TRAGE ICH SIE (und zwar über Mund UND Nase) wenn ich unter Menschen gehe, denn wenn es auch nur eine kleine Chance gibt, dass sich durch kollektives und konsequentes Masketragen Ansteckungen / schwere Krankheitsverläufe / Überlastung der Medizin und Todesfälle verhindern lassen, dann bin ich mehr als gerne bereit, diese kleine Unbequemlichkeit inkauf zu nehmen. Schließlich verlangt keiner von uns, dass wir den ganzen Tag im Handstand laufen müssen (oder etwas ähnlich Schwieriges) um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen und damit die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden!

    zu Tom:
    nun, in allererster Linie wird die Verbreitung des Virus verlangsamt, wenn die Menschen weniger miteinander in direktem Kontakt sind. Wenn also ein Lockdown nicht mehr funktioniert (der Lockdown im Frühjahr hat offensichtlich funktioniert und den Effekt gebracht, der gebraucht wurde!), dann liegt es meines Erachtens daran, dass weniger Menschen bereit sind, ihre Kontakte zu beschränken – und damit bin ich wieder bei „muss das Leid erst im direkten Umfeld ankommen, bevor man bereit ist, sich einzuschränken?“

    Ich möchte derzeit mit keinem Entscheidungsträger tauschen! Egal was die beschließen, sie können es grad keinem recht machen.
    Vielleicht wäre es gut, sich vor Augen zu halten, dass an den Veränderungen in unserem Leben eben kein Politiker „schuld“ ist, sondern ein Virus.

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