Wahlverdruss – oder wen soll ich eigentlich wählen und warum?

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Ein Gastartikel von unserem Leser Sascha Wagner

Neulich erhielt ich Post von der Stadt Bruchsal: Die Wahlbenachrichtigung für die am 26. Mai 2019 stattfindende Wahl zum Europäischen Parlament, des Kreistags, des Gemeinderats. Ach stimmt! Es ist wieder Wahlzeit. Das höchste Gut einer demokratischen Gesellschaft!

Wie sieht es denn aus in Bruchsal? Mein Bauchgefühl sagt mir: Gar nicht so schlecht, oder? So richtig kann ich es nicht fassen. Waren denn die Parteien die letzten Jahre erfolgreich? Boah, schwierige Frage, dazu müsste ich ja wissen, was sie eigentlich erreichen wollten. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern… Und wie sieht es aktuell aus? Die B35 Ost – das Thema ist irgendwie noch offen. Die spezielle Personengruppe auf dem Friedrichsplatz vor der Sparkasse ist wegen der Belästigungsbeschwerden nun … wo noch mal? Die Schlossweihnacht hat im vergangenen Jahr nicht stattgefunden. Der Haushalt der Stadt musste durch Rücklagen glattgestellt werden und die Verschuldung der Stadt steigt weiter wegen zukunftsweisender Investitionen – ich drücke die Daumen. Und was heißt das jetzt? Alles irgendwie ganz okay, oder?

Also wieder die wählen, die gerade die Geschicke lenken? Da lächelt mich ein Gesicht eines Kandidaten von einer Straßenlaterne herab an. Ein paar schicke Sprüche stehen auch darunter: „Bruchsal mit Augenmaß und Vernunft entwickeln!“ oder „Frei denken. Solidarisch handeln.“ oder „Beste Bildung für alle“. Was sich auf den ersten Blick gut anhört, ist auf den zweiten Blick gar nicht so einfach, also viel komplexer als in einer kurzen These darstellbar. War es nicht so, dass die verkürzte Darstellung komplexer Sachverhalte populistisch ist oder zumindest eine populistische Tendenz enthält? War das nicht der Vorwurf den die Politik dem linken und rechten Spektrum der Parteienlandschaft stets vorhält. Sei’s drum! Solange es auch noch eine Langversion dieser verkürzten Thesen gibt, ein ausformuliertes Programm, eine intensive Auseinandersetzung der Partei mit dem schwierigen Sachverhalt, der hier nur kurz dargestellt werden kann, ist es für mich okay.

Trotzdem, ich komme ins Grübeln. Mir ist nicht klar, welche Partei in Bruchsal (ich beschränke mich jetzt mal auf die Gemeinderatswahl) eigentlich was will, wo ihre Ziele liegen. Als mündiger Bürger sollte ich doch guten Gewissens die Partei und die Kandidaten wählen, die meinen Zielen und Wünschen am nähesten kommen. Aber wer steht wofür? Klar, aus der Bundespolitik kenne ich die groben Ideen von CDU, SPD, FDP, Grünen, Linken, AfD. Aber das hat für Bruchsal und die tagtägliche Arbeit in der Gemeindepolitik eine eher untergeordnete Bedeutung.

Ich muss zu den Wahlkampfständen und direkt mit den Kandidaten sprechen! Na klar! Aber jetzt erst mal halbe! Wenn ich mit allen Kandidaten sprechen will, um mir ein Bild zu machen und für jeden 5 Minuten investiere… es sind wirklich viele Kandidaten… selbst wenn ich mich pro Partei auf 2-3 beschränke. Gibt es noch andere Möglichkeiten?

Ich finde verschiedene Flyer im Briefkasten: CDU, Freie Wähler, FDP und die Bürgerinitiative Bruchsal, die die AfD unterstützt. Mal schauen!

Die FDP gibt kurz und knapp wieder, was woran sie im Gemeinderat mitgearbeitet hat und was ihre Ziele sind. Alles verschlagwortet und knapp. Außerdem stellt sie ihre Spitzenkandidaten vor, noch knapper. Die CDU legt ihren Flyerschwerpunkt auf die Vorstellung der Kandidaten, deren politische Ziele handelt sie in zwei Zeilen unter „Nachholbedarf“ ab. „Nachholbedarf“ – also scheint alles in Ordnung zu sein in Bruchsal, (Ah, gutes Bauchgefühl!) nur an der einen oder andere Stelle muss etwas nachgeholt werden. Was denn? Wieder nur Schlagworte – typisch Flyer. Die Freien Wähler schicken eine aufklappbare Tapete als Flyer. Dafür geht es etwas ausführlicher um deren Ziele. Die Kandidaten werden kurz benannt mit Alter und Beruf. Der Flyer der Bürgerinitiative war nach kurzer Durchsicht nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt war, außer sinnfreiem Gemecker nicht viel los. Na ja, sie ist ja auch keine Partei, sondern unterstützt nur eine.

Also zurück zur Ausgangsfrage: Wer will denn nun was konkret?

Das Internet sollte mir die Lösungen bringen. Jede Partei hat quasi einen Ortsverband, der sich im Internet präsentiert! Dort, so erwarte ich, werden die Parteien bestimmt Stellung nehmen zu den täglichen Themen und Problemen in Bruchsal. Gesagt getan. Ich rufe die Bruchsaler Seiten auf von CDU, SPD, FDP, Grünen, Linken, AfD und der Freien Wähler. Die CDU – Stadtverband Bruchsal – hat auf den ersten Blick schon mal keine Stellungnahme zu den politischen Themen. Unter „Aktuelles“ finde ich lediglich die vielen Kandidaten, die die CDU in den Wahlkampf schickt. Und wenn man die anklickt, erhält man nur die Informationen, die auch auf den Flyern abgedruckt sind. Ich suche noch 5 Minuten und gebe dann auf. Bis auf die Themen der Bundespartei finde ich nichts mehr. Aber stopp! Da ist noch was im Briefkasten: CDU – Kommunalwahl 2019. Ein Büchlein mit Wahlprogramm und Kandidaten. Okay, warum das nicht auf der Internetseite stehen kann, verstehe wer will. Die SPD überrascht mich, tatsächlich finde ich seit heute das Wahlprogramm der Partei bezogen auf Bruchsal auf der Internetseite und dazu die Kandidaten, die sich kurz vorstellen und sogar Einblick darin geben, wofür sie stehen. Es dürfte noch übersichtlicher gestaltet sein, aber sonst bin ich fast sprachlos. Die FDP Bruchsal hat ihre Seite auch kürzlich überarbeitet. Auf den ersten Blick werden die Kandidaten gezeigt, die sie ins Rennen schickt. Ich klicke die Kandidaten, um mehr über sie zu erfahren. Es tut sich… nichts. Da ist wohl die Technik noch nicht so weit. Ein Wahlprogramm für Bruchsal finde ich nicht. Die Grünen Bruchsal haben eine Seite, die benutzerunfreundlich ist. Ich suche nach dem Wahlprogramm und finde schließlich auch etwas dazu, aber bis dahin hat es gedauert! Irgendwann finde ich das Wahlprogramm für den Landkreis und auch die Positionen für Bruchsal sind versteckt in einem Rückblick zu lesen. Na ja, hoffentlich haben alle so viel Zeit und Geduld, das zu finden. Vergeblich suche ich nach den Kandidaten.. Die Freien Wähler machen ihre Standpunkte auf den ersten Blick erkenntlich mit Wahlprogramm und Kandidaten. Um mehr über die Kandidaten zu erfahren, klicke ich auf die Bilder. Leider tut sich hier nichts, dabei hatte es so vielversprechend angefangen. Eventuell muss ich mich bei Twitter und Facebook informieren, zumindest hat jeder Kandidat die Symbole für beide auf seinem Konterfei. Aber da wollte ich jetzt eigentlich nicht hin. Die Linke Bruchsal kann ich nicht finden. Es gibt nur eine Karlsruher Seite, unter dem Ortsverband ist nichts zu lesen. Von dort aus kommt man nicht weiter. Ich gebe auf. Die AfD Bruchsal hat auch nur einen Karlsruher Kreisverband und ist ansonsten bei Facebook unterwegs. Da gibt es aber keine Infos zum Wahlprogramm oder zu den Kandidaten, stattdessen ein Spendenaufruf, irgendwelche Videos und die übliche Hetze…

Ich lasse das alles auf mich wirken. Und nun? Bin ich jetzt wirklich schlauer. Ein wenig zumindest. Besser schon mal als nichts! Natürlich habe ich eine Grundeinstellung und eine ungefähre Idee davon, welche Partei ich wählen werde. Aber insgesamt bin ich doch etwas enttäuscht davon, dass es mir so schwer gemacht wird, einen guten Gesamtüberblick zu erhalten. Und nur weil ich schon eine Vorstellung zur Partei habe, hätte ich doch gerne mehr über die zur Wahl stehenden Kandidaten gewusst. Sind sie gute Politiker? Erfolgreich? Haben sie meine Interessen gut vertreten?

Ich denke an Donald Trump. Ja, ich weiß, schlimm, aber es ist passiert… Man kann ja von ihm halten was man will, aber er stellt sich regelmäßig vor die laufenden Kameras und erzählt jedem, der es hören will oder auch nicht, welche Punkte er bereits von seinem Wahlprogramm erreicht hat. Yes, „check“, Häkchen gesetzt. Immerhin sehen seine Wähler dann wenigstens, ob er geliefert hat. Im beruflichen Alltag heißt das Evaluationsgespräch. Der Chef sitzt mit Dir zusammen und sagt Dir noch einmal, was gut geklappt hat und was nicht, wo Du erfolgreich warst und wo es noch nachzubessern gilt. Kann ich das auf die Politik übertragen? Dazu müsste ich wissen, welche Partei in der Vergangenheit was versprochen hat und ob sie das Ziel erreicht hat. Die FDP hat ein wenig dazu in ihrem Flyer geschrieben… bei der zweiten Durchsicht bin ich mir aber nicht mehr sicher, ob sie das erreicht hat oder ob sie nur mitgeholfen hat und wieviel sie eigentlich beigetragen hat… Hm, ansonsten? Nach dem ernüchternden Bild hinsichtlich des zukünftigen Wahlprogramms finde ich gar nichts über den Grad der Zielerreichung auf den Seiten der Parteien. Es gibt im Netz einfach keine Zusammenfassung, keine Checkliste, keinen Evaluationsbogen. Es bleibt bei meinem Bauchgefühl. Hätte ich doch mal zu den Gemeinderatssitzungen gehen sollen! Aber wer hat dazu schon Zeit?

Das wäre doch mal ein Thema für den Lokalteil der BNN – eine Zusammenfassung über die Zielerreichung der Parteien im Gemeinderat! Obwohl,… nachdem ich heute morgen wieder drei Rechtschreib- und Ausdrucksfehler im Leitartikel gefunden habe, bin ich mir nicht sicher, ob sie dazu wirklich in der Lage ist… Und was werde ich nun wählen, wenn am 26. die Wahlen stattfinden? Wahrscheinlich so wie immer! Und wen werde ich direkt wählen? Vielleicht doch denjenigen, der am freundlichsten auf den Plakaten lächelt. Dabei habe ich jetzt noch gar nichts über die Kreistags- und Europawahlen herausgefunden. Manchmal verstehe ich den Begriff Wahlverdruss…

Hinweis: Dieser Leserbrief gibt die subjektive Meinung des Verfassers wieder. Die Redaktion macht sich die Ansicht von externen Autoren nicht zu eigen.

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