Von der Walz in den Wunderwald

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Zoë und Jascha sind die neuen guten Geister im Kürnbacher Märchenwald

Traditionen verpflichtet. Das gilt nirgendwo mehr als im Kürnbacher Märchenwald, wo schon Generationen fasziniert ihre Kindernasen an den Scheiben der Schaukästen plattgedrückt haben. Seit 1969 gibt es den kleinen Freizeitpark im Forst oberhalb von Kürnbach bereits. In jenem Jahr, als die ersten Menschen den Mond betraten, als Willy Brandt Bundeskanzler und Richard Nixon US-Präsident wurde, öffnete der Märchenwald das erste Mal seine Türen. Dessen schlagende Herzen waren damals wie heute die vielen kleinen Hütten, in denen mechanische Puppen Schlüsselszenen aus bekannten Märchenklassikern nachstellen. Mit einem Druck auf den Klingelschalter an der Seite der Häuschen, erwacht das warme Timbre von Hans Paetsch zum Leben und erzählt seinen Zuhörern ein kleines Stück des Märchens, bis eine Zeitschaltuhr das Spektakel beendet um mit einem weiteren Knopfdruck nur Sekunden später fortzufahren. Darüber hinaus gibt es in dem kleinen Wald weitere Attraktionen wie uralte Spielautomaten, kleine Fahrgeschäfte, Rutschen, Spielgeräte, Zerrspiegel, Klangspiele und noch dies und auch noch das.

Früher gab es viele dieser Märchenwälder in Deutschland, nur die allerwenigsten haben den Sprung in die Neuzeit geschafft. Für die meisten bewahrheitete sich das klassische Ende “Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute” im schlechtesten Sinne. Dass der Kürnbacher Märchenwald all die Jahrzehnte überdauert hat, darf seinen aufopferungsvollen Betreibern hoch angerechnet werden. In den letzten Jahren waren es Oliver und Marlene Winkler, die sich liebevoll um die aus der Region und den Herzen der Menschen nicht mehr wegzudenkende Instanz gekümmert haben. Ein knochenharter Job, der Arbeit von früh bis spät und bei jedem Wetter voraussetzt. Man darf sich sicher sein, die beiden haben es nicht getan, um säckeweise Geld zu scheffeln… schon immer hält sich der kleine Park nur mit Liebe, Ehrgeiz, Pflastern und Spucke über Wasser.

Mit den großen Freizeitparks kann und will er nicht mithalten, hier geht es nicht um Action, um kurzweiliges Vergnügen, um rasante Fahrgeschäfte, oder um den schnellen Kick sondern um bewusste Entschleunigung, den Charme der Vergangenheit und das wohlig warme Mysterium und die Faszination der Märchen. Schon seit Jahren suchten Oliver und Marlene nach einem geeigneten Nachfolger, bei weitem kein einfaches Unterfangen, dessen Scheitern auch das Ende des Märchenwalds besiegelt hätte. Doch dieses Märchen hat ein Happy End, die kleinen Puppen dürfen sich in ihren Häuschen weiterhin drehen, winken und verneigen. Zoë und Jascha haben vor wenigen Wochen den Märchenwald übernommen, wollen das Kleinod fit für ein neues Morgen machen.

Um das zu schaffen, braucht es Hingabe, Resilienz gegen Stress, Bescheidenheit und die uneingeschränkte Fähigkeit zur Improvisation. Fähigkeiten, über die beide in Hülle und Fülle verfügen – angeeignet im Zuge eines Rituals, das in unserer heutigen Zeit echten Seltenheitswert besitzt. Sowohl Zoë und Jascha haben die letzten Jahre auf Wanderschaft verbracht, waren nach ihrer Freisprechung auf der Walz – einer Gepflogenheit in vielen Gewerken seit dem Mittelalter. Zoë reiste als Holzbildhauerin fünf Jahre um die Welt, meist zu Fuß, oft unter freiem Himmel übernachtend, immer nur ein paar Groschen in der Tasche, denn es ist alter Brauch, sich nicht an der Wanderschaft zu bereichern. Auf ihrer Reise lernte sie den Schreinergesellen Jascha kennen, der seinerseits in Kluft und nur mit seinem Charlottenburger bestückt auf Tippelei war. Und wie das so ist im Leben…aus Freundschaft wurde Partnerschaft, aus Partnerschaft später Liebe. Zoë kommt eigentlich aus Melle, einer kleinen Stadt in Niedersachsen und ihre Liebe galt zu dieser Zeit weitaus mehr dem Norden als unserem wilden Süden, Jascha wiederum kommt aus Kürnbach und hier erahnt man nun auch die Verknüpfung zum Märchenwald. Denn tatsächlich hat Jascha schon als Teenager bei Oliver und Marlene ausgeholfen, hatte als Ferienjob die Aufsicht über die damals noch beliebte RC Kartbahn für ferngesteuerte Autos.

So kam zusammen, was zusammen gehörte und der Märchenwald fand zwei neue liebevolle Fürsorger. Ihre handwerklichen Fähigkeiten und ihr Geschick sind maßgeblich für die kommenden Aufgaben, denn diese haben es in sich. Im Grunde ist das gesamte Inventar des Märchenwaldes reif für eine Überholung, nicht wenige der Attraktionen bestehen seit Jahrzehnten bei Wind und Wetter. Stück für Stück wollen Zoë und Jascha alles instand setzen und Neues ersinnen. Der Zaun im Eingangsbereich aus herrlich krummem Naturholz steht bereits, eine kleine Terrasse mit Sitzgelegenheit davor ebenfalls. Aktuell arbeiten beide an einer riesigen Murmelbahn, die sich über viele Meter durch den Wald erstrecken soll.

Besonders aufwändig wird die Sanierung der Schaukästen mit den Märchenszenen, manche müssen von Grund auf neu aufgebaut werden. Dass sie bleiben werden, steht aber außer Frage, schließlich ist der Faktor Nostalgie der große Joker im Märchenwald. Viele der Gäste waren selbst bereits als Kinder hier, kennen den Park schon seit jungen Jahren. Nicht wenige von ihnen kehren bereits mit ihren eigenen Kindern oder sogar den Enkelkindern immer wieder zurück, da nichts heißer brennt als die Flamme der eigenen Erinnerungen an glückliche Kindheitstage.

Bisher sorgten Oliver und Marlene für den Märchenwald (Archivbild)

Ein paar Institutionen müssen aber dann doch weichen, beispielsweise einige der elektronischen Spielgeräte, die sich bei hoher Luftfeuchtigkeit nicht wirklich für den Einsatz im Außenbereich eignen. Die uralte Bärenjagd bleibt aber erhalten, aus welchem Grund auch immer, überdauert deren Elektronik bereits ohne zu Murren Jahrzehnte. Bei den Gokarts ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, für Zoë passen die Knatterkisten nicht wirklich in den Wald. Jascha wiederum, der sich als junger Kerl hoffnungslos verliebt hat, möchte sie gerne reparieren. Ähnlich gespalten ist die Meinung in Bezug auf die große Rutsche. Derzeit ist sie aufgrund von Baumängeln außer Betrieb, soll aber natürlich als Herzstück des Parks erhalten bleiben. Jascha möchte sie genauso wieder aufbauen, wie man sie kennt, Zoë hingegen könnte sich stattdessen eine Röhrenrutsche vom hölzernen Turm hinab vorstellen. Einig ist man sich hingegen bei der bedingungslosen Neukonstruktion der Toilettenanlagen, die immer ein Stück weit die Schwachstelle des Waldes war.

Jascha und Zoë sind die beiden Neuen im Märchenwald

Der kleine Märchenwald hält in jedem Fall noch reichlich Platz für neue Überraschungen bereit. In den Senken und kleinen Schluchten hinter der Waldkapelle, könnte sich Zoë beispielsweise das hölzerne Haus auf Hühnerbeinen aus der russischen Legende der Baba Yaga vorstellen, erreichbar nur durch kleine Hängebrücken. Bei dieser Vorstellung leuchten wahrscheinlich auch so manchem großen Besucher die Augen. (vielleicht abgesehen von denen, die den aus der Legende abgewandelten Horrorfilm gesehen haben) ;-)

In jedem Fall haben die beiden viel vor, reichlich Arbeit für gerade einmal vier Hände. Um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen, haben Freunde und Familie den beiden finanziell unter die Arme gegriffen, doch kommt es natürlich darauf an, dass die Besucherinnen und Besucher dem Wald nun die Treue halten. Insofern kann man nur appellieren, den Märchenwald regelmäßig für einen entspannten Tag mit der Familie einzuplanen und im Hinterkopf zu behalten. Für kleines Geld sind die Kinder hier über Stunden hinweg beschäftigt, zudem kann die Nähe zur Natur für jede Menge Ruhe und Ausgleich sorgen. Die Erwachsenen können sich auf eine der vielen Bänke zurückziehen, einen Kaffee genießen und das mit dem guten Gefühl, eine liebenswerte Institution unterstützt zu haben.

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4 Gedanken zu „Von der Walz in den Wunderwald“

  1. Auch ich bin schon als Kind hingekommen. Und nun möchte ich mit meinem Enkel gehen. Schön das etwas bestand hat schon so lange Jahre. Und wen die große Rusche wieder läuft, umso schöner!! Viel Glück

  2. Das was die zwei jungen Leute leisten ist bemerkenswert, unsere Kultur im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu gestalten. Weiter so!

  3. Vielen Dank für den schönen Bericht über den ‚Charme der Vergangenheit“. Gut, dass der Märchenwald erhalten bleibt. Wir wünschen dem jungen Paar viel Erfolg.

  4. Schön das der Märchenwald wieder in gute Hände kommt und uns allen noch hoffentlich lange erhalten bleibt.

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