Untotes Fleisch

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Fleischersatz schmeckt mittlerweile gruselig echt und schaurig gut

Liebe Mit-Karnivoren, machen wir uns ehrlich. Nichts geht über ein herrlich mariniertes Steak an einem sommerlichen Grillabend, über ein deftiges Schnitzel im Wirtshaus (die älteren erinnern sich vielleicht noch an geöffnete Wirtshäuser) oder ein reichlich belegtes Worschdbrod zum Abendessen. Tief in unserem Herzen und noch tiefer verdrängt in den Windungen unserer Gehirne wissen wir aber auch, dass für diese Köstlichkeiten ein Tier über den Jordan gehen musste und das oft auf unwürdige Art und Weise. Immer wieder kommen Skandale aus der Fleischindustrie ans Tageslicht, immer wieder passiert danach: genau gar nichts. Das ist fast ein bisschen so wie die traurig regelmäßigen und tödlichen Schießereien in den USA, auch hier wird traditionellerweise nichts gegen die Misere unternommen – die Empörung darüber ist zwischenzeitlich zu einem zahnlosen Ritual avanciert.

Wer Fleisch isst, muss mit der Erkenntnis leben, dass er mittelbar für den Tod anderer Lebewesen verantwortlich ist oder dieses System zumindest billigend unterstützt. Das ist einfach so, hier beißt die Maus keinen Faden ab. Es gibt allerdings ein paar Dinge, die jeder Fleischliebhaber beherzigen kann, um die Welt hier zu einem etwas besseren Ort zu machen. Da wäre zum einen der Einkauf bei einem örtlichen Metzger, der sein Fleisch direkt aus einem ordentlich produzierenden Betrieb in der Umgebung bezieht, idealerweise noch selbst schlachtet und nicht nur den eigenen Profit sondern das Wohlergehen der Tiere auf dem Schirm hat. Zum anderen könnte man das Ausmaß des eigenen Fleischkonsums überdenken. Muss es denn wirklich jeden Tag Wurst und Fleisch geben? Mal abgesehen von den gesundheitlichen Folgen auf unserere eigenen Prachtkörper, sind auch die globalen Folgen eines ausufernden Fleischkonsums bedenklich. Massentierhaltung fördert nicht nur den Abbau wichtiger Ressourcen auf diesem Planeten, sondern erzeugt auch exorbitant viele klimaschädliche Emissionen.

Was gibt es also noch für persönliche Optionen um seinen Teil zur Lösung des Problems beizutragen? Neben einem verantwortungsvollen Einkauf und einem ebenso verantwortungsvollen Konsum, bliebe letztlich natürlich noch die Option, sich vegetarisch zu ernähren. Für manche mag das infrage kommen, für mich nicht. Ich habe es fast zwei Jahre lang ausprobiert, zwei Jahre in denen ich andauernd unausgeglichen und viel zu oft hungrig und gestresst war.

Es gibt allerdings noch eine weitere Option, eine Option die tatsächlich im Begriff ist zu einer gangbaren Alternative oder zumindest zu einer Ergänzung auf dem eigenen Speiseplan heranzuwachsen. Die Forschung in Sachen Fleischersatzprodukte ist zwischenzeitlich enorm weit vorangeschritten. Waren diese in den Neunzigern noch widerliche, gummiartige Präparate in den Drogeriehäusern, die schon vor dem „Genuss“ Übelkeitsanfälle verursachten, sind sie mittlerweile echte Alternativen geworden. Erinnern Sie sich noch an den Hype um die vegetarischen Burger im vergangenen Jahr? Es gab da dieses sauteure Markenprodukt und die verschiedenen Nachahmer in den Discountern – alle essbar, aber nach meinem Geschmack noch kein adäquater Ersatz für ein saftiges Stück Rindfleisch. Seither müssen die Hersteller ordentlich rangeklotzt haben, denn zwischenzeitlich finden sich im Kühlregal der Supermärkte reichlich weitere Produkte, die zwar Fleisch imitieren wollen, jedoch keinerlei Fleisch enthalten.

In den letzten Wochen habe ich einige dieser Produkte ausprobiert, darunter Fake Chicken Wings, Fake Döner und Fake Gyros… Von mir aus wäre ich auf diese Idee wahrscheinlich nicht gekommen… als meine Frau aber vergangenen Monat Hähnchen süßsauer aufgetischt und mir erst danach verraten hat, dass es sich dabei um ein vegetarisches Fleischersatzprodukt handelt, wurde ich hellhörig. Ich schwöre, ich habe nicht den geringsten Unterschied geschmeckt. Sogar unsere Tochter, die eine einzige Erbse in einem riesigen Haufen Hackfleisch geschmacklich isolieren kann, ist prompt auf das falsche Hähnchenfleisch hereingefallen. In der Folge habe ich mehrere Produkte aus mehreren Märkten ausprobiert und kann ein tatsächlich tief beeindrucktes Fazit ziehen: Die Entwicklung dieser fleischlosen Alternativen ist zwischenzeitlich offenbar sehr viel weiter gekommen, als ich es je für möglich gehalten habe. Obgleich sie aus Erbsen, Proteinen oder Soja bestehen mögen, schmeckt man in vielen Fällen kaum noch einen echten Unterschied. Haptik, Geruch, Geschmack, das sind echte Quantensprünge im Vergleich zu den ledrigen Schlappen, die es für Mondpreise dereinst in den Reformhäusern zu kaufen gab.

Fairerweise sollte man natürlich erwähnen, dass diese Produkte nicht gesünder sind als ihre fleischhaltigen Alternativen. Der springende Punkt und des Pudels Kern ist aber der elementare Unterschied, dass für diese Produkte kein Tier unwürdig in Massenbetrieben gezüchtet und unter Qualen in einem Schlachthaus gemeuchelt werden musste. Das „Fleischessen“ werde ich deshalb nicht aufgeben, es mir aber mehr für besondere Momente reservieren. Die fleischlose Alternative ist tatsächlich zwischenzeitlich eine Alternative und durchaus befähigt Einzug in unseren Küchen zu halten. Wenn die Forschung hier weiter so rasant voranschreitet, könnte das tatsächlich wirklich eine spannende Angelegenheit werden. Wäre doch toll, könnte man weiterhin seinen Fleischeslüsten frönen, gleichzeitig aber kein anderes Lebewesen dafür über die Klinge springen lassen zu müssen. Jahrelang war ich tatsächlich der Bauer, der nichts frisst was er nicht kennt, in diesem Fall kann ich aber tatsächlich empfehlen: probieren geht über studieren.

eine Meinung von Philipp Martin

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