Eine Kolumne von Tommy Gerstner
Hola, die Landfee. Kinners, es liegen ein paar ereignisreiche Stunden hinter uns. Hunderte von Bauern sind auf die Straßen gegangen und haben ihren Unmut, versetzt mit ein paar ordentlichen Spritzern Wut und Frust über die beschlossenen Sparmaßnahmen der Ampel-Koalition, lautstark und unübersehbar zum Ausdruck gebracht. Das Ergebnis: Reichlich Traktoren auf unseren Straßen, ein bisschen Stau hier und da, ein paar Kundgebungen – Botschaft erfolgreich und imposant übermittelt.
So könnte man das ganze rational betrachten… nun ja, könnte man. Was aber offensichtlich unfassbar viele Leute stattdessen gesehen haben, war der blutverschmierte Mel Gibson der aus leidender Kehle “Freiheit” brüllt, während ihm in der Schlussszene von Braveheart die Gedärme aus dem Bauch gezogen werden. In den Protest um die Kürzungen staatlicher Privilegien für die Landwirtschaft interpretieren offenbar sehr viele Menschen einen Freiheitskampf, einen Aufstand der kleinen Leute, das Aufbegehren gegen die herrschende Klasse. Als hätte die barbusige Johanna von Orleans auf dem weißen Ross den Protestzug angeführt, bekommen die Landwirte in den sozialen Medien Likes, Herzchen und Schlüpper wie einen Konfettiregen hinterhergeworfen.
So viel Pathos und Legende wie sie sich um diesen Protest ranken, hätten alle Schlepper noch nicht einmal mit vereinten Kräften hinter sich her ziehen können. “Es geht um jeden von uns, endlich steht mal jemand auf, endlich wehrt sich jemand” tönt es allenthalben, ganz so als schicke sich die vor Pferdestärken strotzende Kolonne an, uns vom Joch der Diktatur einer mordenden Militärjunta zu befreien. Aber klar, die Ampel und insbesondere die diabolischen Grünen taugen eben verdammt gut als Inkarnation des Leibhaftigen, schließlich flossen in diesem Lande bis zum letzten Tag der versehentlich abgewählten großen Koalition Milch und Honig. Niedergang, Kriege und Klimawandel nahmen erst ihren Anfang im September 2021, als mit dem Wahlsieg der Ampel die Sonne zum letzten Mal unterging.
Freunde, wenn ich weniger Kohle bekomme, kotzt mich das auch an. Dann halte ich mich auch nicht zurück und versuche das ganze noch irgendwie in meinem Sinne zu drehen. Das ist mein gutes Recht, natürlich auch dagegen auf die Straße zu gehen. Bauern haben große Traktoren, sind reichlich viele und kommt direkt aus unserer Mitte. Deswegen werden sie gehört, gesehen und ganz offenbar auch gefeiert. Aber eine Einsortierung dieses 8. Januar in die Liste der großen Aufstände und Freiheitskämpfe, das ist dann doch ein bisschen übertrieben?! Schließlich hat sich dieser Beef doch am schnöden Wegfall von Steuererleichterungen entzündet – nicht gerade der Stoff, nach dem Statuen, Plätze und Schulen benannt werden, oder Netflix inspiriert, eine Serie in Auftrag zu geben?
Keine Frage, der Beitrag der Landwirte für unsere Gesellschaft ist maßgeblich und essentiell, ohne sie geht kaum etwas. Das gleiche trifft aber auch auf wirklich viele andere Branchen zu. Nehmen wir zum Beispiel die immer noch lachhaft und beschämend schlecht bezahlten Pflegekräfte, die ErzieherInnen oder Sozialschaffenden. Leider haben sie keine echte Lobby, keine großen Fahrzeuge, mit denen sie den Verkehr bundesweit lahm legen können und selbst wenn sie das könnten, würden sie es nicht tun, denn ohne sie kämen sofort und ohne Umschweife Menschen zu Schaden. Oder wenn wir schon bei Protesten sind, nehmen wir doch die gerne abfällig zu “Klimaklebern” degradierten Klimaaktivisten, ein Vergleich der in den sozialen Netzwerken gerade häufiger angeführt wird und fast immer Schaum vor die Mäuler treibt. Ein paar junge Leute, die hier und da auch den Verkehr zum erliegen bringen, es Ihnen dabei aber nicht um Kohle, sondern um eine intakte Umwelt für Sie und ihre Nachkommen geht. Wie ich finde, ein verdammt guter Grund um auf die Straße zu gehen. Als Dankeschön dafür werden sie aber nicht vom Volk gefeiert, sondern in Präventivhaft genommen, vor Gericht gezerrt und von Politik und Gesellschaft in der Luft zerrissen, ganz als ob sie höchstselbst für die von Ihnen angeprangerte Krise verantwortlich wären. Ich des net a weng schizophreng?
“Keine Landwirte, kein Essen, keine Zukunft”. “Ohne Landwirtschaft wärst du hungrig nackt und nüchtern”, “Die Ampel ist unser Tod”, “Gibt es keine Bauern mehr, bleiben eure Teller leer”. Allesamt Parolen, die an Traktoren befestigt, durch die großen Nachrichten der Nation geistern. Freunde, ist das nicht ein bisschen zu stark emotional eingefärbt, ein bisschen zu dick aufgetragen? Oder geht es vielleicht noch ein bisschen pathetischer? “Ist mit dem Billigdiesel Schluss drohen Elend, Not und Exodus”. Nur so ne Idee.
Wäre es nicht besser aus dieser Sache etwas der reichlich hinein gepumpten, heißen Luft wieder hinaus zu lassen und die Proteste als das zu sehen, was sie doch letztendlich sind: Der Ärger einer Branche über fehlende gesellschaftliche Wertschätzung, insbesondere aber aktuell wegbrechende finanzielle Privilegien?
Wäre es nicht ferner besser, den Landwirten eure Wertschätzung zu demonstrieren, indem ihr ihre heimisch erzeugten Produkte kauft, mehr Geld in eure Lebensmittel investiert und ausländische Billigimporte stattdessen meidet? Das käme mir irgendwie sinnhafter vor, als nun Superhelden-Umhänge über Latzhosen zusammenzubinden oder die Proteste als Ventil für angestaute Wut, Frustration und Unzufriedenheit zu begreifen, die vermutlich auf vieles zurückzuführen sind, wahrscheinlich aber nicht auf den Wegfall von Steuererleichterungen für Agrardiesel.
Danke. Endlich mal jemand, der diesen übertriebenen Schwachsinn der Bauern einordnet.
Aber wenn man die (a)sozialen Medien in diesen Tagen liest, dürften wirklich riesige Kartoffeln dieses Jahr geerntet werden ;)
Ist für den Wegfall der Steuererleichterung nicht eigentlich Lindner zuständig?
Sagt der nicht immer, der Markt wird’s richten?
Pathetischer ist übrigens
“Ist mit dem Billigdiesel Schluss drohen Elend, Not und Exitus”. Nur so ne Berichtigung. Und „Holla, die Landfee“, Kinners, Kinners
Na ja , die Bank vergibt nur Kredite für den neuen SUV , nicht für gute Lebensmittel ! Na ja irgendwas is immer 😇
Danke! Ich bin auch dafür, Bauern sinnvoll zu unterstützen. Aber gerade dieser große Bauernverband, der eigentlich ein Industrieverband ist und den kleinen Bauern wenig bis gar nicht hilft und die starke Unterwanderung durch rechte Politik stört mich erheblich. Die Demos wirken auch nur deshalb so groß, weil eben große Maschinen als Druckmittel eingesetzt werden. Andere Proteste, die wesentlich größer waren, wurden ja alle ignoriert.
Endlich mal einer, der die ganze Angelegenheit von allen Seiten beleuchtet! Die Einseitigkeit in den „Öffentlich Rechtlichen“ ist mal wieder typisch, da könnten ja hochdotierte Jobs verloren gehen.
Grundsätzlich ist festzustellen: Die Ausschüttung von Wohltaten nach dem Gießkannenprinzip weckt Begehrlichkeiten, die man nicht mehr los wird. Gezielte Hilfen für Kleinbetriebe wären intelligenter gewesen. Vergangene Regierungen haben da offensichtlich nach den Wählerstimmen geschielt.
Vielen Dank für den Artikel.
Ich sehe es auch so! Für mich ein Jammern auf hohem Niveau.
Es wird stets mit zweierlei Maß gemessen, leider. Und anscheinend stehen die Bauern in der allgemeinen Wahrnehmung besser da!?
In Pforzheim haben 500 Personen mit 300 Traktoren protestiert/gedroht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Ohne die 300 Traktoren hätte sich wahrscheinlich die Öffentlichkeit gefragt, was die paar Hansel da wollen.