Sommerloch-Nonsens: Der blaue Rauch

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Sommerloch-Nonsens: Der blaue RauchTommy deluxe

25 Jahre sind vergangen seit unser Kolumnist Tommy Gerstner seine erste Kurzgeschichte geschrieben und erfolgreich veröffentlicht hat. Um das unerträglich große Sommerloch in diesem Jahr zu füllen, hat er uns diese Literatur-Perle zur Verfügung gestellt.

Großartigerweise befand sich gerade niemand im Raum, als mein Kopf sich öffnete und eine kleine blaue Rauchwolke in die Luft entwich. Der Rauchsensor quäkte, als er das vermeintliche Feuer meldete. Nur wenige Momente verstrichen, bis der dickbäuchige Brandmeister ungelenk ins Zimmer watschelte. Er fragte mich wo denn der Brandherd sei und ich antwortete ihm, dass ich nicht wüsste, was er damit meine. Natürlich den Alarm, blaffte er mich an. Ratloses Schulterzucken meinerseits. Der Brandmeister ließ noch mal seinen Blick durch das Zimmer schweifen, drehte sich um und verließ den Raum nicht ohne mich noch mit einem geringschätzigen Gesichtsausdruck zu strafen. Als die Türe ins Schloss gefallen war, fasste ich vorsichtig mit der linken Hand an meinen Kopf. Nichts, da war absolut gar nichts. Ich ging hinüber zu der kleinen Waschnische und betrachtete grübelnd meinen Schädel. Mein Blick schweifte wie von Geisterhand gelenkt hinüber zum Lockenwickler. Ehe ich es mir versah, stand ich mit einer Dauerwelle und rot geschminkten Lippen da. Größer noch als der Schock über meine entgleisende Transformation, war mein Erstaunen über mein offensichtlich neu dazu gewonnenes Talent ein meisterhaftes Make-up aufzutragen. Ich entschloss mich der Vollständigkeit wegen, noch eine schwarze Netzstrumpfhose und die dazu passenden Pumps anzuziehen. Nach vollbrachter Arbeit, verließ ich die Wohnung ohne sie zu verriegeln, was unter normalen Umständen zu meinen prekärsten Angewohnheiten zählte. Die Straße lief vor Emsigkeit geradezu über, was mit der Tatsache zusammenhängen könnte, dass heute der Festzug des polnischen Präsidenten anberaumt worden war. Die Leute schenkten mir eher seltsame Blicke, was ich ihnen nach einem Blick an meinem Körper herunter auch nicht verdenken konnte. Abgesehen von den erwähnten Pumps und der Netzstrumpfhose trug ich nämlich absolut nichts, so dass selbst nach den kaskadierenden Eskalationen des heutigen Tages, die Idee in mir aufstieg mich doch nach etwas mehr Bedeckung umzuschauen.

Ich schlug die Schaufensterscheibe eines namhaften Kaufhauses ein und entwendete eine Reihe von extravaganten Jogginghosen. Im letzter Instanz entschied ich mich für ein rotes Modell des Fabrikates Puma (das ich hier aus Markenschutzgründen leider nicht nennen darf) und verließ im Laufschritt die Stadt. Als der größte Teil der Polizisten abgehängt war, ließ ich mich erschöpft in einen Heuhaufen am Wegrand sinken. Verrückt, dachte ich mir. Heute morgen sitzt man noch im Büro und wälzt Akten und eine Stunde später öffnet sich dein Kopf und du sitzt in Pumps und Strapse in einem Heuhaufen auf dem Lande. Nicht zu vergessen, dass ich nun ein Verbrecher war, und ein gesuchter obendrein. Der Gedanke rief paradoxerweise eine gewisse Heiterkeit in mir hervor und kurze Zeit später wälzte ich mich gackernd in diesem verdammten Heuhaufen.

Irgendwann in der Nacht kam ich wieder zu mir – dies irritierte mich, weil überhaupt nicht erwähnt wurde, dass ich ohnmächtig geworden bin. Die Schuld allein dem Autor zu geben, wollte mir nicht so richtig schmecken, also verfeinerte ich sie mit Creme fraiche und siehe da: Sie schmeckte. Ich stand auf und lief ein paar Stunden die Straße entlang, bis ich am frühen Morgen eine Tankstelle erreichte. Da ich nun mal kein Auto dabei hatte, rammte ich mir den Super-Bleifrei-Schlauch mit einem beherzten Stoß in den Allerwertesten, und ließ für zweiundzwanzig fuffzig Sprit in meine Eingeweide schießen. Noch während ich den Zapfhahn wieder an die Säule hängte, viel mir ein, dass ich gar kein Geld dabei hatte. Nun war guter Rat teuer.

Zu meinem Glück – und dies war in dieser Einöde wirklich ein Glück, war an die Tankstelle ein Table-Dance-Lokal angeschlossen. Ein kleines Arrangement konnte vielleicht meine finanziellen Ausstände bereinigen. Wie der Zufall es wollte, fehlten dem Besitzer noch der eine oder andere Irre für den Abend. Da ich statt Irrer nur Ire verstand, sagte ich zu. Zwar wunderte ich mich über meine Verwechslung mit einem Iren, da ich weder rote Haare hatte, noch ständig Guinness in mich hineinkippte, aber ich beschloss zehn gerade sein zu lassen und begab mich in die Umkleide. Die Stimmung kochte als ich am Abend die Bühne betrat. Interessant wie manche Dinge sich einfach passend ineinander fügen – Nun kamen mir meine Strapse und die Pumps doch noch zu gute. Na ja, lange Rede kurzer Sinn. Während meiner Show musste ich tierisch furzen und der Schwall getanktes super-bleifrei schoss dem Lokalmanager direkt ins Gesicht. Der Strahl entzündete sich und alles inklusive der nahen Stadt explodierte. Noch während mein Kopf dem Rumpf entrissen wurde, ließ ich den zurückliegenden Tag Revue passieren – eigentlich wollte ich mein ganzes Leben betrachten, aber – Herrschaften, dafür war nun wirklich keine Zeit.  Zwar bin ich mir nicht so sicher, doch meine ich in meinem letzten Moment auf Erden gesehen zu haben, wie sich mein Kopf noch während dem Flug öffnete und blauer Rauch entwich. Die Farbkombination mit dem dahinter auflodernden Feuer, ließ dieses Bild wunderschön erscheinen. Hätte ich meine Hände noch gehabt, so hätte ich mit Sicherheit ein Bild davon gemalt.

Tommy Gerstner, Karlsruhe im Mai 1991

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