Sein Platz am Tresen

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Hier strahlt der Sternen immer noch – Gerd Wormer hat zuhause die Odenheimer Kult-Disco Sternen Stück für Stück rekonstruiert und wieder auferstehen lassen.

von Stephan Gilliar

Gleich vorweg: Dies ist eine der schönsten Geschichten, die ich je erlebt habe. Eine kleine Geschichte zwar, aber dafür durch und durch liebenswert. Sie steht für alles, was ich an diesem Job und auch an diesem kleinen Stückchen Erde so mag.

Diese Geschichte handelt von Gerd Wormer, der sich ein kleines, goldenes Stück seiner Jugend zurückgeholt und dafür leidenschaftlich und detailverliebt hunderte Stunden seines Lebens geopfert hat. Gerd hat in der alten Fabrikhalle seines Vaters in Odenheim die vor Jahrzehnten geschlossene Gaststätte zum Sternen wieder auferstehen lassen. Er hat sie dabei nicht einfach nur imitiert oder kopiert, sondern mit Hilfe von Fotografien, Erinnerungen und unzähligen echten und originalen Einrichtungsgegenständen wiedererweckt. Das Ergebnis ist so nah an der längst verblichenen Realität von einst angelehnt, dass es mir beim Betreten des neuen alten Sternen erst einmal die Sprache verschlägt.

Hier drinnen ist es dunkel, schummrig, etwas abgeranzt, es riecht nach Bier, Rauch und aus den stoffbezogenen Lautsprechern scheppern Boney M. Ottowan und Co… Kurzum – es ist ganz genauso wie im alten Sternen. In jenem Sternen, den Gerd 1981 das erste Mal als 16-Jähriger betreten hat und bis zu seinem Ende zwanzig Jahre später treu geblieben ist.

Wir setzen uns und trinken ein Bier, auch wenn gerade erst 16 Uhr durch ist. Hier drin geht das nicht anders, das muss sein. Dazu noch eine Zigarette, obgleich wir beide eigentlich nur Gelegenheitsraucher sind. Dann reden wir, locker und entspannt, eben wie in der Kneipe. Nichts anderes ist Gerds private und persönliche Hommage an die Odenheimer Kultdisco des längst gestorbenen Wirts Manfred Begel. Hier hat Gerd seine Sturm-und-Drang-Zeit erlebt, ist jedes Wochenende mit Freunden bis zur Sperrstunde (und nicht selten weit darüber hinaus) am langen hölzernen Tresen gesessen.

Genau an diesem Platz, ganz hinten an der Ecke, neben der gedrechselten Säule, sitzt er jetzt wieder. Aus dem 16-Jährigen ist ein erwachsener Mann geworden, der in nicht allzu ferner Zukunft seinem 60. Geburtstag entgegen sieht, doch mit dem Sternen 2.0 hat er seine persönliche Zeitmaschine gebaut. Hier feiert er gerne mit der Familie und mit Freunden, hier trinken und lachen sie gemeinsam und hören die Musik, zu der sie in jungen Jahren getanzt haben. Es ist unwiderstehlich… Wenn ein alter Odenheimer reinkommt, bleibt er erst einmal andächtig stehen und erstarrt in Ehrfurcht. Es gibt schließlich niemanden im Ort, der damals nicht hin und wieder im Sternen geschwoft hätte.

“Das war mein zweites Wohnzimmer” sagt Gerd, denkt nach, lacht und korrigiert: “Ach was, das war mein erstes Wohnzimmer.” Was ihm damals so gut am Sternen gefallen hat, möchte ich von ihm wissen? “Die Musik, das Ambiente, die Stimmung.. alles”. Er war zwar auch gerne im “Fly Flap” oder im Schwänchen, doch nicht ging über den Sternen, erzählt Gerd mit leuchtenden Augen und zündet sich noch eine Zigarette an.

Die bewegten 70er Jahre, in denen es der Sternen zu Kult und Ruhm brachte, hat Gerd zwar nicht miterlebt. Damals gaben sich die Stars in Odenheim die Klinke in die Hand. Peter Maffay beispielsweise, oder auch eine legendäre Nacht mit Juliane Werding, über die die wildesten Geschichten kursieren. Dafür waren die 80er Gerds Jugendzeit, in denen es auch hoch her ging. “Es wurde viel getanzt, aber im Wesentlichen nur von den Mädels, die Männer saßen an der Bar und waren mit Trinken und Schwätzen beschäftigt” erinnert er sich und auch an literweise “Ochsenblut” für den Preis einer Halben, VHS-Videoabende oder Aspach-Literflaschen-Verlosungen.

Auch an den allmählichen Niedergang und das Sinken des Sternen kann sich Gerd entsinnen. Die stärker kontrollierte, viel zu frühe Sperrstunde und die Eröffnung von größeren Diskotheken im Umland, wie dem “Beachclub” oder der “Spitze”, ließen den Strom an Gästen allmählich versiegen. Anfang der 2000er gingen dann die Lichter aus und der einstige Brauereigasthof verfiel zusehends. Erst knapp zwei Jahrzehnte später ist nun mit dem katholischen Kindergarten wieder Leben in die alten Räume eingezogen, die nur um Haaresbreite dem Abriss entkommen sind. Während der Bauphase konnte Gerd viele Teile des einstigen Mobiliars vor dem Müll bewahren, hat sie Stück für Stück die wenigen Meter zu seinem Elternhaus geschleppt und dort wie ein Puzzle peu á peu zusammengefügt. Sogar die alte Zapfanlage konnte Gerd vor der Verschrottung bewahren und wieder zum Leben erwecken. Wie damals gluckert nun Eppinger Bier aus dem verchromten Zapfhahn in bauchige Gläser.

Jeder, der davon Wind bekommt, schaut früher oder später bei Gerd vorbei. “Manche laden sich sogar selber ein“, lacht er und freut sich dabei über alle, die sich mit ihm über die Wiedergeburt des Sternen im Kleinen freuen. Am schönsten ist es für ihn, wenn er mit den Freunden von damals auf denselben Hockern Platz nehmen kann, auf denen sie ihre wilden Jahre verbracht haben. Jede einzelne der mehreren hundert investierten Arbeitsstunden zahlt sich an einem solchen Abend für Gerd um ein Vielfaches aus. Dann, wenn sich die Discokugel dreht, wenn Gelächter und Rauch in der Luft liegen und laute Discomusik ertönt, ist er wieder jung, ist er wieder 16 und über ihm leuchtet der Sternen von Odna.

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10 Gedanken zu „Sein Platz am Tresen“

  1. Vielen Dank für die tolle Geschichte. Auch in Gochze kannte man den Sternen in Odna. Legendär und Kult !!! Gibt es die Spitze noch? Oder was ist aus ihr geworden?

  2. Die Bilder holen mich in meine Jugend zurück… was haben wir dort getanzt und gefeiert… der Nikki hat aufgelegt und man wusste schon fast genau, welcher Hit gespielt wird. Hat uns nicht gelangweilt, genau dass hat es ausgemacht.

  3. Ich bin zwar Lokalpatriot und verwandschaftlich belastet, trotzdem gatuliere ich zu diesem absolut gelungenen Beitrag und den so stimmungsvollen Bildern.

  4. Eine wunderschöne Zeit, die ich nie vergessen werde. Denke, das geht einigen so. Ganz toll geschrieben und tolle Bilder

  5. Und ich habe als Zeuterner Bub vom Laub Uwe gleich beim ersten Besuch eine aufs Maul bekommen :-) Gehörte auch dazu :-) Super schön war es dann viele lange Jahre lang.

  6. Auch ich erinnere mich gerne an diese schöne Zeit und kann es kaum glauben dass es schon so viele Jahre her ist.

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