Sehnsucht nach der Blase

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Das Ende der Unschuld

Ein Kommentar von Stephan Gilliar

Krieg. Was für ein mächtiges Wort. Höre ich es, denke ich sofort an Leid, Elend, Kämpfe, Tod und Verderben… Doch am Ende sind das für mich alles nur Worthülsen… Begriffe, die ich zwar kenne, die ich aber mit nichts jemals Erlebtem assoziieren kann. Ich wurde 1980 geboren, 35 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Frieden war für mich nie etwas um das es zu kämpfen galt – er war Selbstverständlichkeit. So selbstverständlich wie der Sonnenaufgang am Morgen und der Sonnenuntergang am Abend. Ich kannte nie etwas anderes.

Krieg. Das war stets etwas Abstraktes, etwas höchst Surreales aus den Erzählungen anderer. Meine Großeltern haben mir vom Krieg berichtet… wie meine Großmutter als Schulmädchen durch das brennende Karlsruhe lief, wie mein Großvater im Gefangenenlager fast wahnsinnig vor Hunger wurde… Ich habe mit großen Augen zugehört, jedoch immer in der wohligen Gewissheit, dass dies alles graue Vorzeit und längst vergangen ist.

Krieg. Auch in meinen bisherigen Lebzeiten gab es reichlich davon. Im Irak, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Syrien… alles komprimiert auf ein winziges Zeitfenster – in die wenigen Minuten, die die Tagesschau am Abend andauerte. Ich nahm es am Rande meiner Aufmerksamkeit zur Kenntnis, schon Minuten später – mit den ersten Tönen des Tatorts, spielte all das keine Rolle mehr.

Krieg. Nun ist er da, mitten in Europa, unverhofft und unerwartet. Die Blase der Unschuld, in der ich kindlich naiv eingelullt die Jahrzehnte überdauert habe, ist jäh geplatzt. Während all das Elend in der Welt sich immer irgendwo anders ereignet hat, rücken die Einschläge bedrohlich näher nun auch an unsere Wirklichkeit heran. Es lässt mich nicht mehr kalt, es berührt mich. Als Mensch, als Europäer, als Vater eines Kindes. Wie schlecht konstruiert ist doch diese Welt, wenn Einzelnen derart viel Macht zufällt, das Schicksal so Vieler zum schlechteren zu wenden?

Krieg. Er ist Ohnmacht, er ist Angst, er ist die bange Frage nach dem was morgen kommen mag. Er ist Chaos, er ist Ungerechtigkeit, er ist Willkür und dabei so schrecklich sinnlos.

Ich will einfach nur zurück.. zurück in meine Blase. In der alles gut ist, in der Krieg nur ein abstraktes Wort ist… ohne Bedeutung..nur ein Ausdruck dessen was einmal war und nie wieder kommt.

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5 Gedanken zu „Sehnsucht nach der Blase“

  1. Der Krieg in der Ukraine – und das wird leider in den meisten Medien warum auch immer verschwiegen – begann 2014. Da haben unsere amerianischen „Freunde“ wie schon oft einen Regime-Change durchgeführt. Deshalb haben die USA große Mengen an Geld – 5 Milliarden $ – in die politische Umgestaltung der Ukraine investiert. Deshalb haben sie mit anderen zusammen die Ukraine militärisch kräftig ausgestattet, übrigens auch mithilfe der Milliarden-Summen, die Deutschlands Steuerzahler in der Ukraine „investiert“ haben. Denn das ist ja wohl klar: Wer Euro oder Dollar liefert, braucht keine Waffen zu liefern. Die werden mit diesem Geld gekauft. Die ansonsten um Waffenlieferungen herum geführte Debatte ist schlicht ein Hebel dafür, die in Deutschland Regierenden zulasten der Steuerzahler gefügig zu machen. (Maidan). Über die militärische und politische Intervention des Westens sollten wir uns genauso empören. Aber dazu sind die transatlantischen Dumpfbacken nicht willens und zur notwendigen Erkenntnis auch nicht fähig.
    Meine Mutter saß bei der Bombadierung von Bruchsal am 1. März 1945 in einem Keller in Unteröwisheim. Sie überlebte. Als ich wieder einmal im besuchte von einem möglichen Säbelrasseln erzählte, den Grund kenne heute leider nicht mehr, meine sie in ihrem Gochsheimer Dialket: Sin di varrickt? Zum Glück erlebt sie diese Situation nicht mehr. Sie starb im vergangenen sommer im Alter von 100 Jahren.

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