Samstags, als Krieg war…

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Mord, Vergewaltigung, Grabschändung, ein blutiger Showdown im Steinbruch. “Samstags, wenn Krieg ist” war nicht weniger als eine brutale und aufrüttelnde Neonazi-Milieustudie. Vor genau 30 Jahren feierte die in Eppingen gedrehte, heftig umstrittene Episode von “Polizeiruf 110” Premiere.

von Stephan Gilliar

Die wenigsten unter ihnen dürften Folge Nummer 163 der TV Serie “Polizeiruf 110” noch kennen. Am 18. September 1994 wurde sie das erste Mal im “Dritten”, dem SDR, ausgestrahlt, danach jedoch kaum wiederholt. Tatsächlich lief die stark umstrittene Folge in den letzten 20 Jahren nur ein einziges Mal im Fernsehen, zuletzt 2016, das erste Mal nach 2002. Grund dafür war laut SWR die missverständliche Darstellung von Gewalt, was auch immer das heißen mag. An gewalttätigen Szenen mangelt es dem 95 Minuten langen Spielfilm tatsächlich nicht. Die Folge beginnt mit einem Gewaltexzess auf einem jüdischen Friedhof samt massenhafter Schändung von Grabsteinen und dem Entzünden eines brennenden Hakenkreuzes dazwischen. Nur die Ouvertüre zu einer Handlung, die damals,vor 30 Jahren, teilweise als Grenzüberschreitung gewertet wurde. Es folgten Vergewaltigung und Mord an einem Mädchen, Misshandlung eines geistig behinderten Jungen, gewalttätige Übergriffe und Verwüstungen. Dazwischen Springerstiefel, Baseballschläger, Hakenkreuze, Führerbilder, rechte Allmachtsfantasien und ein dutzendfach gebrülltes “Sieg Heil”.

Einer der Drehorte in der Adelshoferstraße in Eppingen

Gedreht wurde diese, im Neonazi-Milieu angesiedelte Episode, größtenteils in Eppingen, das eigens für die Handlung in “Ichtenheim” umbenannt wurde. Es war Regisseur Roland Suso Richter wichtig dabei aufzuzeigen, dass es sich dabei um eine westliche Kleinstadt handelt, wie er damals in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung erläutert. Wie goldrichtig sich dabei seine instinktive Wahl erweisen sollte, demonstrierte die dunkle Seite der Stadt bereits zwei Jahre später eindrücklich, als mehrere Neonazis am Eppinger Bahnhof den Elektriker Werner Weickum überfielen, ausraubten, brutal zu Tode prügelten und danach wie ein Stück Abfall im Wald entsorgten.

Ich kann mich an die Dreharbeiten noch lebhaft erinnern, denn ein großer Teil davon fand in meinem Elternhaus statt. Wir bewohnten damals einen der klassisch-landwirtschaftlichen Eppinger Modelhöfe, bestehend aus einem Wohnhaus an der Front, Ställen an beiden Seiten des Innenhofes und nach hinten zum Garten hin einer großen Scheune. Kurz zuvor waren wir vom Wohnhaus in die umgebaute Scheune gezogen, weswegen Ersteres zu dieser Zeit leer stand. Irgendwie ist ein Location Scout darauf aufmerksam geworden, meine Eltern akzeptierten das Angebot des SDR und so begannen kurze Zeit später die Umbauarbeiten für das Set. Als frischgebackene Teenager war das natürlich für mich alles einfach nur unfassbar spannend. Tagelang transportierten Umzugswagen die Möblierung für das komplette Haus an, zuvor hatten Maler die Wände gestrichen und tapeziert. 

Das Wohnzimmer von Siggi und Yogi, ein Bild vom Set 1994

Mein altes Zimmer wurde so vorübergehend zu Siggis Zimmer, dem im Grunde seines Herzens eigentlich guten Protagonisten der Handlung, welcher sich aufopferungsvoll um seinen behinderten Bruder sorgt, dafür aber in der Neonazis-Szene immer wieder derbe angegangen wird. Siggi wurde übrigens gespielt von Markus Knüfken, der sich besonders mit der kultigen Ruhrpott-Komödie “Bang Boom Bang” einen Namen gemacht hat. Sein Bruder Yogi, der wiederum das Zimmer meines Bruders bezog, wurde von Felix Eitner verkörpert. Ihn kennt man beispielsweise aus dem bekannten TV Film “Der Tunnel“, wo er Seite an Seite mit Heino Ferch vor der Kamera stand. Heino Ferch war es übrigens auch, der in besagter Polizeiruf-Folge Wolf den Anführer der Neonazi-Clique gibt. Die Ermittlerin in dieser Folge, Vera Bilewski, wurde gespielt von Angelica Domröse, einer der großen Schauspielikonen der DDR. 

Die Handlung der Episode ist schnell zusammengefasst: Siggi ist Teil einer Skinhead-Gruppe unter der Führung von Wolf. Jeden Samstag treffen Sie sich um gemeinsam gegen das “System” aufzubegehren, ihr Ziel Ichtenheim als erste deutsche Kleinstadt komplett von Ausländern zu “befreien”. So drangsalieren sie ausländische Mitbürger, verwüsten den jüdischen Friedhof und grölen danach bei ihrer Siegesfeier in der Dorfkneipe Naziparolen. Als Wolf erfährt, dass seine Ex-Freundin Renate mit dem italienischen Wirt Gino zusammenkommt, dreht er durch, fängt sie in der Nacht ab, vergewaltigt und tötet sie. Siggis geistig behinderter Bruder Yogi wird Zeuge dieser Szene, wird aber von Wolf bedroht, nichts zu verraten. Während die Polizei, in diesem Fall geführt von Kommissarin Vera Bilewski, den Mord untersucht, spitzen sich die Ereignisse zu. Am Ende kommt es am Steinbruch zum Showdown zwischen Siggi und Wolf. 

Hier ging ein Teil der Filmcrew Essen, das ehemalige „Eiserne Kreuz“ in der Rappenauer Straße

Besonders spektakulär waren die Dreharbeiten in der Dunkelheit. Ich erinnere mich noch gut daran, wie unsere komplette Straße abgesperrt wurde und riesige Beleuchtungskräne die Nacht in grelles Licht tauchten. Herbei rasende Polizeiautos, quietschende Bremsen, pulsierendes Blaulicht, die Kommissarin, die mit gezogener Waffe durch mein Kinderzimmer stürmt… Ich kann Ihnen sagen, das war eines der großen Abenteuer meiner Jugend. Nachts sind wir durch die Kulissen und das Set geschlichen, haben mit hochrotem Kopf in der Dunkelheit ein vergilbtes Pralinen-Heftchen aus der Deko auf jenem Sofa gelesen, wo am nächsten Tag die Szene mit Sigsis Eltern abgedreht wurde. Der Vater übrigens gespielt von einem meiner Helden aus der Kultserie “Mord mit Aussicht” – Michael Hanemann alias Hans Zielonka. 

Freilich wurde nicht nur in unserem Haus gedreht, auch wenn es als Wohnhaus von Siggi und seinem Bruder Yogi, einer der zentralen Drehorte war. Andere Szenen spielten sich beispielsweise in der Eppinger Altstadtkneipe Eichbaum ab, die eindrückliche Eingangsszene wurde tatsächlich teilweise auf dem jüdischen Friedhof Eppingen gedreht und weißt auch in diesem Fall viele traurige Parallelen zur Realität auf. Tatsächlich wurde der Friedhof schon mehrfach geschändet, 1971 wurden 16 Grabsteine beschädigt, 1982 sogar 44 durch mehrere Tätern, als Frustreaktion auf eine gescheiterte Grabung nach den Schädeln der hier vergrabenen Verstorbenen, wie Wikipedia zu berichten weiß.

Hinterhofszene in der Eppinger Altstadt. Auch hier wurde für den Polizeiruf gedreht

Das Drehbuch basiert übrigens komplett auf einem Roman von Klaus-Peter Wolf, einem renommierten Schriftsteller, der insbesondere durch seine Reihe der Ostfrieslandkrimis bekannt wurde. Seine Bücher wurden bereits in Dutzende Sprachen übersetzt und haben sich millionenfach verkauft. Das Buch “Samstags, wenn Krieg ist”  ist übrigens im Gegensatz zum Film noch erhältlich.

Es ist schade, dass die Episode nicht mehr im Fernsehen läuft oder nur extrem selten gezeigt wird. Die Handlung des Films ist aktuell wie nie, die schauspielerische Leistung 

 mitunter überragend. Besonders die Schlussszene, in der die beiden Brüder sich in den Armen liegen, ist derart intensiv und tiefgehend gespielt, dass sie es eigentlich verdient hätte, einmal wieder einem größeren Publikum gezeigt zu werden.

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