Opa verstehts nicht

|

Die Abgehängten – Ohne Smartphone geht heute kaum noch etwas, mittlerweile noch nicht einmal mehr die Fahrt mit der Straßenbahn

Für Opa Manfred ist in technischer Hinsicht die Welt schon lange stehen geblieben. In seiner kleinen Wohnung in Büchig sind Fernseher und Mikrowelle die modernsten Zugeständnisse an die Neuzeit. Opa Manfred steht mit der Welt da draußen nur über das Telefon und mit der Briefpost in Kontakt, er hat keinen Internetzugang, kein Smartphone. Lange Zeit war das kein Problem für ihn, lange Zeit existierte die analoge Welt parallel zu Ihrem digitalen Zwilling. Doch in den letzten Jahren hat sich das zunehmend geändert. Immer mehr Alltäglichkeiten haben sich ins Digitale verlagert, eine Welt die sich für Manfred verschließt, die für ihn nicht zugänglich ist. Die kleine Bankfiliale im Ort existiert nicht mehr, Manfred weiß aber nicht was Online-Banking ist. Im Gasthaus wollen die Angestellten digitale Impfnachweise und eine App fürs Einchecken sehen, Manfred weiß aber nicht wie das geht. Seit neuestem gibt es auch die Viererkarte für Manfreds gelegentliche Fahrten mit der Straßenbahn in die Stadt nicht mehr, wie man nun an Fahrkarten kommt, versteht Manfred nicht.

Wie unserem fiktiven Opa Manfred geht es derzeit vielen älteren Menschen in der Region. Bei weitem nicht allen, aber vielen. Sie stecken hüfthoch im Dilemma einer überalterten Gesellschaft, die sich doch verzweifelt um digitalen Anschluss bemüht fest. Die Frage die derzeit im Raum steht ist keine geringere als: Nehmen wir unsere Senioren auf dem Weg nach morgen mit, oder bleiben sie auf der Strecke zurück? Diese Diskussion entzündet sich derzeit am Beispiel des Karlsruher Verkehrsverbundes KVV, der sich derzeit im Epizentrum eines veritablen Shitstorms befindet. Der große Aufschrei begann mit der Ankündigung des Verbundes, die alten Stempelkarten sowie die Entwerter dafür abzuschaffen und künftig in erster Linie auf digitale Tickets zu setzen. Für eine Gesellschaft die nur noch in schwarz oder weiß denkt, geflissentlich alle Nuancen dazwischen ignoriert, ist der Bösewicht schnell ausgemacht. Böser KVV!

So leicht ist es natürlich bei genauer Betrachtung nicht. Diese Art der Fahrkarte wird faktisch tatsächlich kaum noch genutzt, weniger 1,5% aller Ticketverkäufe entfallen auf die Stempelkarten, über 98% hingegen werden bereits auf modernen Vertriebswegen verkauft. Geht es nach dem KVV, ist das Smartphone das Ticket von heute. Mit der entsprechenden App lassen sich – ist der Einrichtungsvorgang erst einmal überwunden – tatsächlich die passenden Tickets in Sekundenschnelle kaufen und online bezahlen. So leicht das für uns Jüngere auch sein mag, viele Senioren stellt das vor ein unüberwindbares Hindernis. Manche, hier muss man ehrlich sein, verweigern sich schlicht neuen Technologien und stellen sich stur auf den Standpunkt: Das kann ich nicht – basta. Für viele andere aber ist die technologische Barriere real und eine bedrohliche und einschüchternde Hürde. Wer noch nicht einmal ein Smartphone hat, noch nicht einmal dessen elementarste Funktionen kennt, von dem kann die Nutzung einer App, digitales Bezahlen und das komplett zugrundeliegende Know-how nicht verlangt – nicht erwartet werden.

Eile mit Weile

Die Übergangsphase vom analogen zum digitalen muss ausgeweitet, großzügiger bemessen werden, um wirklich alle Mitglieder unserer Gesellschaft mitzunehmen. Das betrifft noch nicht einmal nur Senioren, sondern im Grunde auch Kinder und Jugendliche. Es soll durchaus noch solche geben, die nicht bereits im Kindergartenalter ein Smartphone in die Hand gedrückt bekommen und dafür gibt es auch handfeste pädagogische Gründe. Mit der Zeit wird der Wandel zum digitalen Alltag ohnehin kommen…niemand würde beispielsweise erwarten, dass Hersteller ihre Filme neben Blu-ray oder Online-Stream weiterhin als VHS-Kassetten vertreiben… doch der Systemwechsel darf nicht mit der Brechstange erfolgen, darf die Älteren nicht einfach übergehen.

Die Diskussion um die Stempelkarten des KVV ist daher mehr als ein punktuelles Ereignis, es ist eine Stellvertreterdiskussion über unseren Umgang mit dem Wandel zur Neuzeit und dessen Anforderungen an alle Mitglieder unserer Gesellschaft. “Das Angebot des öffentlichen Personennahverkehr muss sich an alle richten, an Alte, wie ein Junge, an Dorfbewohner wie ein Stadtbewohner.” sagt beispielweise Tobias Borho, Kraichtals Bürgermeister und Oberhaupt der größten Flächengemeinde im Landkreis Karlsruhe mit reichlich Senioren an Bord, für die die Straßenbahn Anschluss an den Rest der Welt bedeutet. Er habe sich deshalb direkt an den KVV gewandt, seine Bedenken und die zahlloser Bürgerinnen und Bürger Kraichtals übermittelt. Mit dieser Sorge und dieser Meinung steht er selbstredend keineswegs alleine da, der Widerstand gegen den Vorstoß des KVV ist groß. Nicht nur aus dem Kraichgau, sondern aus dem kompletten Landkreis Karlsruhe sowie aus der Bürgerschaft der Fächerstadt gibt es heftigen Gegenwind. Die Forderung nach Beibehaltung der Stempelkarten und der Entwerter stehen im Raum, genauso wie grundlegende Kritik an der Entwicklung des ÖPNV, dessen Preisgestaltung und Zukunftsstrategie.

Das Thema polarisiert, schlägt hohe Wellen. Am Ende wird es vermutlich auf einen Kompromiss hinauslaufen, in der Diskussion befinden sich derzeit zum Beispiel wiederaufladbare Tickets. In diesem Fall wird aller Wahrscheinlichkeit nach eine Lösung gefunden werden, die Fragen auf der Metaebene bleiben weiter spannend: Wie gehen wir mit der Digitalisierung und deren Tempo und Rahmenbedingungen um? Rechtfertigen weniger als 1,5% verbleibende Nutzer von Stempelkarten deren weitere Existenz? Ab wann werden digitale Angebote und Services alternativlos? Was dürfen wir von den schwächeren Mitgliedern unserer Gesellschaft erwarten, was müssen wir von Ihnen erwarten? Wie können wir als Gruppe vorankommen, wenn manche von uns stehen bleiben?

Eines steht in jedem Fall jetzt schon unumstößlich fest: Die hitzige Diskussion, die derzeit in hohen Brandungswellen an die Mauern des KVV schlägt, wird nicht die letzte ihrer Art sein. „Wir werden das Rad nicht zurückdrehen.“ sagt der KVV-Chef und hat damit recht…doch vielleicht könnte man es ja etwas weniger schnell drehen?!

Vorheriger Beitrag

Rückkehr zur Warnstufe – Corona-Regeln im Land werden gelockert

Der Frühling kommt

Nächster Beitrag

4 Gedanken zu „Opa verstehts nicht“

  1. Lang lebe Opa Manfed!
    Kampf dem digitalen Mist, von dem die Hälfte eh nicht funktioniert!
    Kampf dem digitalen Müll!
    Schluss mit den Lügen, wie sich diese Politik und diese Gesellschaft angeblich um älter Werdende und deren Erfahrungen kümmere!
    Und Chefs, die angeblich immer Recht haben und vieles als „alternativlos“ darstellen!
    Mach weiter so KVV…dann dreht sich bald kein Rad mehr!

  2. Ich möchte die 1.5% hinterfragen, sind wirklich nur noch 1.5% der Fahrkarten Stempelkarten – aus dem Automaten und kaufen 98% ihre Fahrkarte Digital oder haben eine Monats/Jahreskarte? Kommt mir sehr wenig vor, ein paar mehr Gelegenheitensfahrer müsste es doch geben? Wegen den vier oder fünf mal im Jahr die ich den KVV nutze setzte ich mich bestimmt nicht mit derren App oder sonstwas auseinander, Automat füttern und fertig.

    • Die Frage ist, welchen Zeitraum betrachtet man? Ich war aber die letzte Woche froh dass es einen Fahrkartenautomat hab, die App hatte nämlich Mal wieder einen Ausfall und Ticket buchen war nicht möglich… Dann könnte man nur auf die Kulanz vom KVV hoffen, das ist mir zu ungewiss. Zwar wird eh sehr selten kontrolliert, aber wenn dann doch Mal…

  3. Ich glaub auch nicht, dass es nur 1,5% sind.
    Und was ist mir Besuchern? Laden die wegen ein paar Fahrten eine app runter?
    Warum einfach, wenn es umständlich geht!?!

Kommentare sind geschlossen.