Nichts hätte das aufhalten können

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Zwei Tage nach den verheerenden Überflutungen im Kraichgau wächst neben der Verzweiflung auch die Wut. Doch hätte sich das Unglück wirklich verhindern lassen?

von Stephan Gilliar

Was Gondelsheim, Helmsheim und Heidelsheim an diesem Dienstagabend erlebt haben, war nicht einfach nur ein über die Ufer getretener Bach oder etwas zu viel Regen, es war eine regelrechte Naturgewalt. Mit welcher unfassbaren Intensität das Wasser auch über die westlich von Gondelsheim verlaufende Hochebene in das 4000-Seelen-Dorf geschossen ist, zeigt eindrücklich das Video eines Gondelsheimer Landwirts, aufgenommen an der Unterführung am Bruchweg. Es zeigt eine einzige endlose braune Wasserfläche, aufgenommen durch das Nadelöhr der Unterführung, zeigt die Fluten, die sich mindestens einen Meter hoch in dem immerhin rund drei Meter breiten Torbogen aufbäumen und wild und ungezügelt in das wehrlose Dorf hinabschießen. „Das Wasser kam von allen Seiten, es war wie in einem Albtraum“, schildert Bürgermeister Markus Rupp die Eindrücke dieses Abends, der nicht nur ihm, sondern ganz Gondelsheim für immer in Erinnerung bleiben wird. Binnen einer Viertelstunde stieg das Wasser im Saalbach, der Gondelsheim der Länge nach durchquert, um fast einen Meter, erzählt das Gemeindeoberhaupt. Die Schutzbalken, eine künstliche Wasserbarriere, nach einem der letzten Hochwasser an der Saalbach-Brücke unter der Bahnhofstraße installiert, wurden nach kürzester Zeit einfach vom Wasser überflutet. Markus Rupp und sein Team vom Bauhof konnten nur danebenstehen und die Katastrophe ihren Lauf nehmen lassen. Dass es Gondelsheim so schwer getroffen hat, liegt an mehreren Faktoren, der Saalbach ist nur einer davon. „Wir wurden vom Wasser regelrecht in die Zange genommen“, erzählt Markus Rupp, der die Topographie seiner Heimat und ihre Schwachstellen wie seine Westentasche kennt. Von allen Seiten schoss das Wasser ins Dorf, ließ Straßen binnen Minuten zu reißenden Strömen werden, die alles mit sich nahmen, was ihnen in den Weg kam. Besonders eindrucksvoll zeigt dies ein weiteres Video, das sich nicht nur über die sozialen Medien, sondern auch im nationalen Fernsehen mittlerweile trauriger Berühmtheit erfreut. Es zeigt mehrere Autos, teilweise mit hilflosen Insassen darin, die von den Fluten einfach mitgerissen werden.

Bürgermeister Markus Rupp

Nur wenige Stunden dauerte der Ausnahmezustand in Bretten, Gondelsheim, Helmsheim, Heidelsheim und Bruchsal, die Folgen jedoch werden die Menschen hier noch wochen-, wenn nicht monatelang beschäftigen. Geflutete Keller, teilweise mit Öl kontaminierter Schlamm in jedem noch so kleinen Winkel, zerstörtes Mobiliar… die Schäden dürften im Millionenbereich liegen. Doch neben der derzeit allgegenwärtigen Frage: „Wie soll es weitergehen?“, stellt sich natürlich eine andere: „Wie konnte das passieren?“. Es ist ein zutiefst menschliches und nachvollziehbares Bedürfnis, nach erlittenem Leid mit dem Finger auf irgendjemanden oder irgendetwas zu zeigen, doch in diesem Fall ist das nicht so leicht. „Diese Flut hätte nichts, aber auch gar nichts aufhalten können“, weiß Markus Rupp, in seiner Funktion als Gondelsheimer Bürgermeister mit dem Thema Hochwasser seit Jahrzehnten vertraut, nur zu genau. „Es war einfach zu viel Wasser“, stellt er fest und auch: „Wir können ja keine riesige Mauer um Gondelsheim ziehen und um den Saalbach gleich mit“.

Tatsächlich hat Gondelsheim in der Vergangenheit viel getan, um dem Wasser im Falle eines Falles etwas entgegenzusetzen, doch kein Schutzsystem der Welt ist beliebig nach oben skalierbar, kann jede beliebige Wassermasse aufhalten. Um das Wasser der an den Gondelsheimer Längsachsen verlaufenden Höhenzüge zu bündeln, gibt es mehrere große Rückhaltebecken, am Schlossbuckel und auch am Lohrgraben, besagte Dammbalken und das aktuell laufende Mammutprojekt der Gemeinde, den Saalbach zu verbreitern und ihm mehr Raum zu geben. Doch all diese Maßnahmen zusammen wären nicht in der Lage, ein 100-jährliches Hochwasser in Kombination mit derart ergiebigen Regenmengen in kürzester Zeit zu 100 % aufzuhalten. „Wir nehmen so viel Druck aus dem Kessel, wie wir können, aber einer Flut wie am Dienstag haben wir nur bedingt etwas entgegenzusetzen“, weiß Markus Rupp genau. Zum gleichen Fazit kamen wir auch bereits vor zwei Monaten in einem unserer letzten Artikel zum Thema, den wir mit folgenden Worten eingeleitet haben: „Seit den verheerenden Hochwasserereignissen 2013 und 2015 verhält sich der Saalbach relativ ruhig, doch das kann sich von heute auf morgen ändern…“. Der Artikel aus dem Juni 2024 trug den Titel: „Das nächste Saalbach-Hochwasser ist keine Frage des ‚Ob‘, sondern nur des ‚Wann‘.“ Dass dieses ‚Wann‘ keine zwei Monate auf sich warten lassen sollte, konnte damals niemand wissen.

Das überflute Gondelsheim. Bild: Landratsamt Karlsruhe

Das Unglück am Dienstagabend ist eine Gemengelage aus mehreren Faktoren. Da wäre zum einen die topographische Lage Gondelsheims, die statische Natur dieser speziellen Gewitterzelle, mangelnde Ausgleichsflächen entlang des Saalbachs und dazu noch eine gehörige Portion dessen, was man schlicht und einfach verdammtes Pech nennen kann. Für Gondelsheim, sowie auch Bretten, Heidelsheim, Diedelsheim, Helmsheim oder Bruchsal, sind Hochwasser am Saalbach kein Novum, alte Aufzeichnungen zeugen von der Kraft und Gewalt des ansonsten so gemütlichen Flüsschens bereits vor langer, langer Zeit. Die Wucht und die fatale Intensität der Ereignisse dieses Dienstagabends sind allerdings von bisher unbekanntem Ausmaß.

Der Kraichgau wird sich davon erholen, doch man darf sich entlang des Saalbachs sicher sein: Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Es gibt einige ungünstige Faktoren, die eher für eine Zunahme solcher Ereignisse in der Zukunft sprechen. Da wäre, auch wenn es manche sicher leichtfertig abtun, der Umstand, dass der Klimawandel für mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre und damit für mehr Energie, die sich in Gewittern und Starkregen entladen kann, sorgt. Da wäre darüber hinaus aber auch die Tatsache, dass mit jedem weiteren überbauten Quadratmeter Land weniger Flächen zur Verfügung stehen, über die das Wasser versickern und abfließen kann. Solange diese Faktoren nicht aktiv bekämpft werden, bleiben Maßnahmen des Hochwasserschutzes eben nur eines: Symptombekämpfung.

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13 Gedanken zu „Nichts hätte das aufhalten können“

  1. Es werden wie immer die Symptome bekämpft , aber die wahre Ursache bleibt unberührt !!! Wann war der Tag wo wir alle Ressourcen fürs dieses Jahr verbraucht haben !? 8 August !? Wir leben seit Jahren auf Pump und jetzt wird abgerechnet !!! Unser BIP zeigt leider nur eine begrenzte Perspektive auf unseren Wohlstand , die Um – und Lebenswelt wird da nicht bedacht und weiter ausgebeutet ! Von der Politik egal welche Partei wird da auch nichts zu erwarten sein , außer ein Machtgerangel !!! So gesehen ist der E-Wahn nur ein Marketingtool , zum höher schneller weiter zu rechtfertigen !!!

  2. Schlimm! Aber niemand verlangt, „Schutzsysteme beliebig nach oben zu skalieren“. Dass das nicht geht, sollte jeder denkenden Kreatur klar sein.
    Aber wenn wir ehrlich gegen uns sind, wird immer viel geblubbert und wenig getan.
    Und das machen andere einfach besser!
    Siehe z.B. Tokyo…

  3. Ich sehe das nicht ich so. Man kann vieles verhindern und aufhalten. Aber da muss man was tun.
    Stattdessen tut man so, man häbe was getan und wundert sich dann über die Folgen.
    Und so geht das bei uns in vielen Dingen.

  4. Schon mehrere Hochwasser in Gondelsheim erlebt. PV Anlagen ohne Ende auf den Dächern um das Klima zu retten. Aber für Maßnahmen gegen die Wassermassen ist kein Geld da. Überlaufbecken, die eigentlich das Wasser zurück halten sollen, trocken. Für mich absolute Fehlplanung. Dilettantismus wo man hin schaut.

  5. Eigentlich ganz einfach…
    Steigerung der Niederschläge hochrechnen, Schutzzeitspanne definieren, entsprechende Auffangmöglichkeiten schaffen.
    Aber bevor sowas gemacht wird, „macht“ man lieber ein Neubau- oder Gewerbegebiet.

  6. Bei den Europawahlen
    haben die Gondelsheimer der afd 20% (ca. + 6%) gegeben.

    Mich würde mal interessieren, ob die Wähler bzw. Lokalpolitiker der afd aus Gondelsheim und Umgebung, hier einen Zusammenhang mit irgendeinem Klimawandel sehen.
    Gibt es überhaupt einen ?

    Der Hagelforscher im angegebenen SWR-Link spricht von +15% mehr Feuchte in der Atmosphäre um Stuttgart in den letzten 30 Jahren.

    Frage an afd – was ist die Ursache ?

  7. So ist es in Gondelsheim, Bretten, Bruchsal, Kraichtal, Oberderdingen, Ubstadt… lässt sich beliebig fortsetzen, seit Jahrzehnten.

  8. Die Topografie kann man nicht ändern, Oberflächen und Bodeneigenschaften aber schon.
    Der Geländebereich zwischen den Achsen Jöhlingen und Obergrombach wirkt wie ein Trichter für Gondelsheim. Aktuell ist dort größtenteils abgeerntete Agrarfläche vorzufinden. Die Böden sind bzw. waren entsprechend schutzlos ausgetrocknet / verkrustet mit minimaler Versickerungsfähigkeit.

    Nach den Aufräumarbeiten gilt es das Hochwassergeschehen kritisch zu analysieren und mögliche Schutzmaßnahmen voranzutreiben und zu optimieren:
    zB
    – Wasseraufnahmefähigkeit und das Dränvermögen der Böden verbessern
    – landwirtschaftliche Flächen renaturieren
    – oberflächlichen Wasserablauf durch geeignete Landnutzungsformen reduzieren bzw. verlangsamen
    – regenerativer Ackerbau
    – Gewässerausbaumaßnahmen optimieren (Saalbach)
    – Schaffung gewässerbegleitender Retentionsflächen
    – Hochwasserrückhaltemaßnahmen
    – usw.

  9. Ich wünsche allen Betroffenen viel Kraft und dass sie Hilfe bekommen, egal aus welcher Richtung. Zusammenhalt und lösungsorientiertes Denken und dass die Schäden behoben werden können.
    Liebe Grüße aus Österreich.

  10. Höher, weiter, schneller… Das BSP muss steigen, und dies ist Thema Nr 1 in den Medien. Nicht verwunderlich da „unser aller Wohlstand“ (der in Wirklichkeit auf einige wenige verteilt wird), eine Art Volksreligion geworden ist. Es ist natürlich schön immer etwas mehr Geld im Portemonnaie zu haben, was interessiert es da bin für spätere Generation der Planet absolut unbewohnbar gemacht wird. Die menschliche Rasse ist ja Experte wenn es darum geht die Lebensbedingungen von Pflanzen und Tieren zu zerstören. Scheinbar wird man auch noch zu Experten wenn es darum geht die eigenen Lebensbedingungen zu zerstören.

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