Mister Sneak

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Seit 33 Jahren zieht Walter im Bruchsaler Kino einen Überraschungsfilm nach dem anderen aus dem Hut

Walter und das Kino – das ist eine Liebesgeschichte, die schon vor langer Zeit begann. Um genau zu sein, vor über einem halben Jahrhundert in den Swinging Sixties. Walter besuchte damals mit seinen Eltern eine Vorstellung des DEFA-Klassikers Rotkäppchen mit Blanche Kommerell in der Hauptrolle. Das Surren des Projektors, das rote Samt der schweren Vorhänge, der Gong bevor die Lichter gedimmt wurden. Walter verliebte sich sofort in das Kino und diese Liebe hat bis heute Bestand.

Jeden Montag fährt Walter direkt von der Arbeit ins Bruchsaler Cineplex, zieht sich das schwarze Polohemd über und erfährt dann als Erster welcher Film nur wenige Minuten später in der Sneak Preview laufen wird. Wer das Konzept noch nicht kennt… Die Sneak Preview ist eine Kinovorstellung, bei der der Zuschauer im Vorfeld nicht weiß, welcher Film gezeigt wird. Es handelt sich immer um einen Streifen, der noch nicht angelaufen ist, eine Vorschau auf das kommende Programm… oder englisch “preview”. “sneak” heißt eigentlich “schleichen”… “sneak preview” fasst also ganz gut den geheimnisvollen Charakter dieser Art von Vorstellung zusammen.

In Bruchsal ist das Format überaus beliebt, fast an jedem Montag ist der Saal so gut wie ausverkauft. Es ist aber auch einfach eine spannende Sache. Oft sieht man Filmperlen, die man vermutlich aus eigenem Antrieb niemals gewählt hätte, die am Ende doch überraschen und begeistern. Natürlich gibt es auch das andere Ende der Fahnenstange, Streifen, auf die man getrost hätte verzichten können, aber das ist das Spiel… und es macht Spaß. Wie das Publikum auf einen Film reagieren wird, das kann Walter auch nach 33 Jahren immer noch nicht hundertprozentig einschätzen. Was immer ankommt, sind launige Komödien, opulente Actionfilme und hin und wieder auch intelligenter Horror, das weiß Walter genau, schließlich wertet er die Reaktionen des Publikums am Ende des Films mit einer kleinen Umfrage aus. Das heißt aber nicht, dass die Bruchsaler/innen hin und wieder auch einen gut gemachten Arthouse Film zu schätzen wüssten.

“Einen Sommer lang hatten wir mal am Stück eine ganze Reihe französischer Komödien, da hat der eine oder andere irgendwann schon gestöhnt” erinnert sich Walter und lacht. Er freut sich über jeden filmen, sein Lieblings-Genre ist ohnehin die Komödie. Nach einer kurzen Begrüßung, die immer mit “Einen wunderschönen guten Tag zusammen…” beginnt, setzt sich Walter auf seinen Stammplatz und genießt den Film, dessen Genuss auch schon seine ganze Bezahlung ist. Walter ist nämlich kein Teil des Cineplex-Teams, er arbeitet quasi ehrenamtlich und ist seit Jahrzehnten eine Kultfigur in der Bruchsaler Kino-Szene. Als er Ende der 80er der Liebe wegen zu seiner Frau nach Bruchsal zog, lernte er den damaligen Geschäftsführer des Bruchsaler Kinos Ludwig Henk kennen. Dieser fragte ihn, ob er nicht Lust hätte den Überraschungsfilm der Woche an zu moderieren. Walter hatte Lust und hat sie noch immer.. Seither hat das Bruchsaler Kino zwar einige Wechsel in der Leitung erlebt, Walter wurde aber immer wieder adoptiert, wurde quasi zum wertgeschätzten Inventar. “Ich fühle mich sehr wohl hier, das Team ist wie eine Familie” sagt Walter, der eingedenk seiner bald dreieinhalb Jahrzehnte an Bord damit der Opa dieser Familie ist – Aber genau wie beim Kino, spielt das Alter eben keine Rolle. Es gibt zeitlose Klassiker, die trotz modernster Technik und millionenschwerer Budgets immer unerreichbar bleiben werden. Damals wie heute ging es immer nur darum, eine gute Geschichte packend und mitreißend zu erzählen.

Geändert hat sich selbstredend aber die Technik und das in enormen Maße. “Es gab Zeiten, da liefen drei Sneak Previews gleichzeitig, alle nutzten die gleiche Filmspule” erinnert sich Walter an die Tage der surrenden Projektoren. Tatsächlich gab es im Bruchsaler Kino ein höchst kompliziertes Umlaufsystem aus Spulen und Rollen, auf denen ein Film von der Spule im Projektor 1 abgespielt wurde, auf besagtem Transportsystem in den nächsten Projektor im nächsten Kinosaal lief und das ganze danach sogar noch ein drittes Mal in wiederum einem weiteren Kinosaal wiederholt wurde. Heute ist die Technik komplett digital, der Start der Filme erfolgt dabei nicht einmal aus dem Bruchsaler Vorführraum, sondern wird von zentraler Stelle in Mannheim ausgelöst. “Man muss mit der Zeit gehen um konkurrenzfähig zu bleiben” weiß Walter, der die Entwicklung der Branche hautnah in seinen langen Jahren miterlebt hat.

Doch Kino ist eben mehr als nur Technik, mehr als nur ein Film, der über die Leinwand flackert. Kino ist ein Erlebnis, Kino ist Magie. Oder um es mit den Worten des erst kürzlich verstorbenen Autors John Naisbitt zu sagen: “Man geht nicht nur bloß ins Kino, um sich Filme anzusehen. Man geht vielmehr ins Kino, um mit zweihundert Menschen zu lachen und zu weinen.“ In den großen Saal des Cineplex passen zu jeder Sneak-Preview übrigens über 300 Menschen. Einer davon ist Walter – jeden Montag – seit 33 Jahren.

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