Laden Schluss

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David gegen den Online-Goliath

Haben die kleinen Einzelhändler im Kraichgau noch eine Chance?

von Stephan Gilliar

Ein Knall, etwas Rauch und der Geruch von geschmolzenem Gummi. Das war es nun mit unserer kleinen Kaffeemaschine in der Redaktion! Nach diversen Reparaturen hat sich das Gerät mit einem letzten Husten verabschiedet. Was soll’s, hatte schon ein paar Jahre auf dem Buckel, c´est la vie. Ersatz muss her, ohne Kaffee am Morgen funktioniert bei uns einfach gar nichts. Online wäre das ein Leichtes, einfach bei den großen Anbietern ein bisschen im unendlichen Fundus wühlen und mit drei müden Klicks des rechten Zeigefingers würde sich ein entsprechender Apparat postwendend auf den Weg zu uns begeben. Weil ich mir aber anschauen wollte, wie der gewünschte Siebträger in echt aussieht, ob unsere Tassen auch unter den Auslauf passen und wie die Farben so wirken, besuche ich einen kleinen Elektrofachhandel ums Eck. Den Laden gibt es schon seit Ewigkeiten, schon als Kind habe ich hier meinen ersten Kassettenrekorder bekommen, mit klappernden Fingern MCs und später CDs durchforstet und hin und wieder auch etwas zur Reparatur gebracht. Tatsächlich gibt es hier sogar eine Kaffeemaschine, die mir gut gefallen würde. Die Verkäuferin zeigt mir mehrere Geräte zur Auswahl, erklärt, welcher Tamper dazu passen würde und brüht sogar eine Tasse Kaffee auf. 399 € soll die Siebträger.Maschine hier im örtlichen Einzelhandel kosten, ein schneller Blick aufs Smartphone zeigt – online wäre das gleiche Gerät für 260 € zu haben.

Ein stolzer Unterschied, unter “marginal” können diese 140 € jedenfalls nicht verbucht werden. Dennoch kaufe ich den schicken Kasten gleich vor Ort im Laden, mich beraten zu lassen und dann woanders zu kaufen, käme mir schäbig und falsch vor. Ein Bauchgrummeln bleibt trotzdem den ganzen Tag über, so sehr schwimmen wir dann doch nicht im Geld um 140 € mit einem Achselzucken abzutun. Ich frage bei einer Bekannten nach, die ein ähnliches kleines Fachgeschäft für Elektroartikel auf der schwäbischen Alb betreibt. Sie erklärt mir: “Wir kaufen eben von solchen Geräten vielleicht zwei oder drei beim Großhändler, dafür bekommen wir keinerlei Rabatte oder gar Konditionen wie die Großen“, erzählt sie. Da sei einfach kaum Spielraum, mit den Preisen im Online Handel könne man auf gar keinen Fall auch nur im Ansatz mithalten, weiß sie und sagt im gleichen Atemzug: “Das ist ein riesiges Problem, für das wir aber einfach keine Lösung wissen”.

Punkten können die kleinen Läden nur durch gute Beratung und guten Service. Ersteres wird von vielen Pseudo-Kunden schamlos ausgenutzt. Bedeutet konkret: In den kleinen Läden sucht man sich kompetente und nicht selten zeitintensive Beratung, verabschiedet sich und kauft das Gerät dann einfach online. Ich will nicht lügen, mir ist ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf geschossen, als ich die eklatante Preisdifferenz bemerkte, aber etwas Anstand gehört eben auch dazu, schließlich will ich nicht meine Ersparnis auf dem Rücken anderer gutgeschrieben bekommen. Wenn Sie mich aber fragen, ob das ein Modell für die Zukunft ist, ob ich meine nächste Kaffeemaschine auch im Einzelhandel kaufen würde, dann muss ich Ihnen leider klipp und klar sagen: Nein, vermutlich nicht. Moral und Solidarität sind eher keine Killer-Faktoren, die groß genug wären, um den stationären Einzelhandel über Wasser zu halten, am Ende zählt in Zeiten der Knappheit eben das, was im Geldbeutel verfügbar ist.

Auch der Gesetzgeber begünstigt hier tendenziell eher den Kauf im Netz. Allein was die Verbraucherrechte angeht, fährt man im Zweifelsfall vermutlich besser, ein Produkt online zu bestellen. In der Regel hat man hier 14 Tage Widerrufsrecht, wenn man es sich doch anders überlegen sollte. Im Einzelhandel gibt es so etwas nicht, allenfalls auf Kulanz. Das ist auch völlig nachvollziehbar, schließlich kann es sich kein kleiner Einzelhändler leisten, nach zwei Wochen ein gebrauchtes Produkt zurückzuhalten und dafür den vollen Preis zurückzuzahlen. Andererseits kann auch niemand einem Kunden einen Strick daraus drehen, wenn er sich in diesem Fall für die für ihn vorteilhaftere Variante entscheidet.

Lieferung frei Haus, Widerrufsrecht, günstige Preise, größere Auswahl… Die Pluspunkte des Einkaufs über das Internet wegen schwer, zu schwer für viele, um sie zu ignorieren. Das Gefälle zwischen den Möglichkeiten der großen Versandhändler und die der kleinen Ladenbesitzer ist erdrückend. Deren zwei entscheidende Argumente – Beratung und Service – können diese Ungleichheit kaum aufwiegen. Beratung gibt es zwischenzeitlich auch online in Form von unzähligen Testberichten, YouTube -Tutorials und Kundenbewertungen, so dass diese Schwelle mittlerweile kaum noch spürbar ist. Was den Service angeht, so wird bei den großen Einzelhändlern oft einfach umgetauscht oder zurückgenommen, um den Kunden zufriedenzustellen. Bei deren Gewinnmargen am Ende immer noch ein lohnendes Geschäft, für kleine Einzelhändler absolut unmöglich umzusetzen ohne massiv drauf zu zahlen.

Was könnte man gegen diese Misere unternehmen? Diese Frage stellt man sich nicht nur in den kleinen Städten im Kraichgau, sondern im Grunde überall auf der Welt. Was könnte man in die eigene Waagschale legen, um nur annähernd ein Gleichgewicht mit der erdrückenden Übermacht des Onlinehandels herzustellen? Manche Städte versuchen es mit kostenlosem Parken, mit Kundenkarten, mit Rabatten und Specials… andere versuchen die Vorteile des Onlinehandels auf den stationären Handels zu übertragen, etwa mit kostenloser Lieferung oder einem erweiterten Rückgaberecht. Projekte, die nicht selten scheitern, man erinnere sich nur an den Bruchsaler Rohrkrepierer Lomeka. Das war eine Art Online/Offline-Handelsplattform, die vor sieben Jahren auf den Weg gebracht werden sollte. Hier sollten sich Bruchsaler Einzelhändler in einer Art Online-Dienst organisieren, der die Möglichkeit bot, die Waren aus dem örtlichen Handel online zu bestellen, oder sie vor Ort zu kaufen und sie sich liefern zu lassen. Das Projekt scheiterte, einerseits wegen fehlender Nachfrage der Kundschaft, andererseits weil viele Händlerinnen und Händler ihre Produkte nur zaghaft, teilweise oder gleich gar nicht in das System einpflegten. Auch diese Seite gibt es, Einzelhändler die die Zeichen der Zeit nicht erkennen oder sie nicht erkennen wollen.

Unsere Innenstädte befinden sich jedenfalls längst in einem Umbruch, das kann jeder sehen, der mit offenen Augen durch Bruchsal, Bretten, Eppingen oder Sinsheim spaziert. Einzelhändler verschwinden, stattdessen eröffnen im großen Stil Barbershops, Handy-Shops und Co. Die größten Chancen haben hier noch Modehändler, denn das Anprobieren von Klamotten, funktioniert online noch nicht wirklich. Doch auch das, könnte mit dem erstarkenden KI und virtuellen Ankleideräumen irgendwann hinfällig werden.

Am Ende bleibt nur die Flucht nach vorne. Einkaufen muss wieder zum Erlebnis werden, muss abwechslungsreich sein, muss einen echten und fühlbaren Mehrwert gegenüber dem anonymen Shopping-Bummel im Netz bieten. Pop-up Stores, Kaffee-Ecken, Specials und Aktionen… wer die Kundschaft vom Sofa in die Stadt locken möchte, wird vermutlich nicht umhinkommen, tief in die Trickkiste zu greifen, mit alten Konventionen zu brechen und hier und da auch die eigene Trägheit zu überwinden. Die Moralkeule wird es vermutlich nicht richten können, am Ende ist die Jacke doch näher als die Hose. Ob das am Ende alles ausreichen wird? Schwer zu sagen, geht es aber so weiter wie bisher, sickert das Leben irgendwann aus unseren Innenstädten. Wer an einem hundsnormalen Werktag durch die Bruchsaler Kaiserstraße oder die Brettener Melanchthonstraße spaziert, der kommt nicht umhin zu bemerken – es hat schon längst begonnen.

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11 Gedanken zu „Laden Schluss“

  1. Ich habe bei der Anschaffung meines Läppis gesagt, dass das Ding bei einem großen Elektromarkt sicher günstiger gewesen wäre. Meine Entscheidung fiel aber gegen diesen bundesweit bekannten Elektromarkt. Der kleine Händler vor Ort beam den Zuschlag. Warum? Ganz einfach, wenn ich ein Problem damit habe, dann kann ich ein Termin vereinbaren, den Läppi einpacken und hin laufen. Das ist der große Vorteil gegenüber dem Elektromarkt. Das inhabergeführte Geschäft punktet also damit.Alles wird kompetent und zuverlässig getreu dem Motto: der Müller machts.

  2. Hallo,
    ich betrachte das Thema etwas differenzierter. Es ist doch zunächst festzustellen, dass sich der Einzelhandel jahrzehntelang auf seiner Marktmacht ausgeruht hat. Wenn man es unverklärt betrachtet, wird und wurde in vielen Geschäften das selbe wie im Onlinehandel angeboten, nur zu schlechteren Preisen und mit mehr Opportunitätskosten (Anfahrt, Parken, Zeit in der Stadt etc.). Schon jetzt lebt ein großer Teil des Einzelhandels nur noch, weil alte Menschen überwiegend noch online kaufen. Und die „Beratung“ ist in der Realität in vielen Geschäften eher schlecht als recht. Ich sehe daher keinerlei Vorteile, offline Produkte zu kaufen, die es auch online gibt und dort gut einzuschätzen sind. Transformationsprozesse gab es bereits in der Vergangenheit. Wie viele Berufe gab es früher und gibt es heute nicht mehr? Wie viele davon fehlen uns im Alltag nicht? Dafür wurden viele neue Berufe geschaffen. Ähnlich wird es im Einzelhandel sein. Dieser muss eine Transformation hin zu Produkten und Dienstleisten durchlaufen, die es so online nicht gibt. Transformationsprozesse sind in Deutschland jedoch regelmäßig unbeliebt und der Glaube an eine bessere Zukunft ist im Land der Pessimisten auch nicht beliebt. Es gibt jedoch zahlreiche Einkaufserlebnisse, die einzigartig im offline Handel sind. Ich denke hier an kleine Boutiquen, die bereits eine stringente Vorauswahl treffen und dadurch bereits eine Vorauswahl anbieten (quasi Curated Shopping), spezialisierte Läden, Hybridkonzepte wie etwa Gastro und dazu passendes Einkaufen und insbesondere Handwerksläden, Kunst- und Craftmanship Konzepte. Solche Konzepte funktionieren auch in kleinen Städten, Unter- und Mittelzentren wie in Bruchsal, Bretten etc. Hiervon sieht man jedoch zu wenig. Nicht zukunftsfähig wird es hingegen sein, einfach so weiter zu machen wie bisher und die Schuld dem Kunden in die Schuhe zu schieben und / oder die noch verbliebenen Kunden (meist ältere Menschen) über die Gebühr zu melken. Zukunft wird es haben, eigen hergestellte Produkte und / oder Nischenmärkte vor Ort zu bedienen und die großen Massenprodukte online oder in großen Märken zu erwerben. Das wäre für mich ein positiver Impuls, den ich den Einzelhändlern mitgeben möchte. Weg von der Masse, hin zur Klasse. Dann kommt es auch nicht so sehr auf den Preis an. Wenn ich mir z.B. anschaue, was regelmäßig im Bärle los ist, kann man sehen, dass ein kuratiertes Konzept aufgehen kann. Viele Grüße Nicolai

  3. Der lokale Einzelhandel hat halt leider kein valides Geschäftsmodell mehr (Kaufhof geht gerade in die dritte Pleite) : Waren angebot im Netz ist größer und günstiger (Online Anbieter haben geringere Betriebskosten). Ein Großteil der Läden (Drogerie, Bäcker) sind Ketten, damit beliebig austauschbar.
    Andererseits: Es ist damals auch niemand auf die Idee gekommen, den lokalen Hufschmied als Teil einer anachronistischen Mobilitätstrchnologie zu retten.
    Und wegen freien Parkplätzen in die Stadt?
    Das Einzige, was noch zieht, ist das Spezielle, zB die Wochenmärkte (Leberkäsweck ist ein GameChanger).

  4. Die Globalisierung kennt die deutsche Tante Emma nicht und das erlerntw Leistungsdenken lässt den Cent schön zusammenhalten !!! Die Entwicklung kann keinen überraschen und ist politisch gewollt !

  5. 140 Euro für „Beratung“ naja und was war das Ergebniss die Maschine wo da war soll man kaufen, so was ist keine Beratung sowas ist verkaufen. Leider viel zu oft erlebt, beraten wird das wo im Lager liegt oder gerade in der Werbung ist, auf so was kann ich verzichten. Man muss der Wahrheit ins Auge schauen, im Ort gibt es auch keinen Hufschmied mehr und in der Stadtbahn keinen Heizer der die Kohle schippelt, die Welt verändert sich und das sind die Folgen.

  6. Wenn wir gerade dabei sind wo bleibt den eigentlich die gedruckte Auflage von Hügelhelden, ach ja im Netz gleich neben der Kaffeemaschine. Ich denke ich besuche mal wieder den Typ vom Zeitschriftenkiosk falls es ihn noch gibt ;-)

  7. Ein verzweifelter Versuch um zu überleben ! Der Trend ist eindeutig im Kraichgau von Cleebronn bis Ubstadt, man muss suchen !

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