Ihr eigen Fleisch und Blut

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Seit vier Jahrzehnten gibt es in Kraichtal die Metzgerei Deckinger, bald übernimmt die nächste Generation

Metzgereien haben längst keinen leichten Stand mehr in unserer Gesellschaft. In der Stadt findet man sie kaum noch, etwas besser sieht die Lage noch auf dem Dorf aus. Das hängt nicht mit der Nachfrage, der Qualität oder der Konkurrenz durch Vegetarismus oder Veganismus zusammen, sondern in erster Linie mit dem fehlenden Nachwuchs. Ausbildungsstellen werden kaum noch besetzt, viele Betriebe geraten so in Existenznot. Tatsächlich sind Metzger oder Fachverkäufer zwei der unbeliebtesten Ausbildungsberufe in Deutschland, nur gastronomische Berufe sind noch weniger gefragt. Dabei ist der Beruf eigentlich recht vielseitig, in unserer Heimat traditionell verhaftet und zudem vermutlich mehrere tausend Jahre alt. Erste Metzger soll es schon zu Zeiten der Kelten gegeben haben.

Die Nachfrage nach gutem Fleisch ist trotz aufkommender fleischloser Alternativen weiter hoch. In Zeiten von Fleischskandalen, grausamen Massentransporten und Tierleid vertrauen viele Kunden vor allem dem örtlichen Metzger. Besonders auf dem Land spielt die Stärke der kurzen Wege und der kleineren Maßstäbe hierbei eine große Rolle. Bei der Metzgerei Deckinger in Oberöwisheim wird das Schlachtvieh zum Beispiel oft noch innerhalb des Dorfes am Strick vom Stall zum Schlachthaus geführt. Das hat bereits Ulrich Deckinger so gehandhabt und sein Sohn Jörg tut es ihm gleich. “Unsere Tiere kommen alle entweder aus dem Dorf oder aus der unmittelbaren Umgebung, manche davon sogar aus unserer eigener Haltung” erzählt Jörg, der den Familienbetrieb in zweiter Generation führt. Seit 40 Jahren gibt es den elterlichen Betrieb bereits. Los ging alles im Juni 1982, als sein Vater Uli sich in den Kopf setzte, sich in Oberöwisheim als Metzger selbständig zu machen. “Zwei andere Metzger gab es damals im Ort, doch mein Ulrich war schon immer stur“, erzählt seine Frau Friede und lacht.

Doch die Deckingers hatten Glück. Die Menschen im Dorf nahmen die neue Metzgerei an und blieben ihr bis zum heutigen Tag loyal – auch als Jörg durch die in letzter Zeit geradezu explodierte Marktlage die Preise anpassen musste. “Wir haben wahnsinnig treue Kunden, das ist unser Kapital” ist er sich sicher. Viel Wertschätzung erhält der Betrieb durch die hauseigene Schlachtung, keine Selbstverständlichkeit mehr heutzutage. Als Anfang der 2000er eine Novelle der EU-Richtlinien eine räumliche Trennung von Schlachthaus und Fleischverarbeitung unabdingbar machte, scheuten viele Metzger die damit verbundenen Investitionen und gaben die Schlachtung an großen Schlachthäuser ab. Auch Jörg Deckinger informierte sich damals mit seinen Kollegen über diese Option und besichtigte ein großes, industrielles Schlachthaus. “Das war brutal, unglaublich, was dort abging. Wir saßen danach im Auto und waren uns alle einig: Niemals“, erzählt er und schüttelt sich.

Das Töten von Tieren gehört zum Beruf des Metzgers dazu – ist untrennbar damit verbunden. Jörg Deckinger kennt es nicht anders, hat von Kindesbeinen an seinem Vater bei der Arbeit geholfen. Die Kühe wurden ins Schlachthaus geführt, das Bolzenschussgerät klackte und es war vorbei. Danach wurde bis auf die Hufe alles verwendet, vom Knochenmark bis hin zum Schwanz. “Moralische Fragen haben sich früher auf dem Dorf gar nicht gestellt” weiß Jörg Deckinger. “Jeder zweite Haushalt hatte früher Tiere, Hausschlachtungen und die anschließende Fleischbeschauung waren ein ganz normaler Teil des Alltages”. Das Konzept der regionalen Viehhaltung ging für den Familienbetrieb in den zurückliegenden Jahrzehnten immer auf. Schon bald nach der Eröffnung in Oberöwisheim kam eine zweite Filiale am Menzinger Bahnhof dazu und schließlich eine weitere in Münzesheim. Heute gibt es noch die Hauptstelle und eben jene Filiale in Münzesheim, dazu kommt jede Menge Catering – egal ob für Vereinsfeste oder private Veranstaltungen. An Arbeit mangelt es nicht. Am Wochenende steht Jörgs Frau Tatjana oft noch spät am Abend in der Küche und bereitet in großem Stil die Speisen für den Partyservice vor. Auch Mutter Friede hilft noch Tag für Tag im Betrieb und unterstützt trotz ihrer fast 70 Jahre wo sie kann, ihr Mann Ulrich starb bereits vor 12 Jahren nach schwerer Krankheit.

Wenn das Tagewerk irgendwann verrichtet ist, sitzt das Team noch zusammen in der kleinen Wohnküche neben dem Laden, trinkt ein Bier und lässt den Tag gemeinsam ausklingen. Heute stoßen alle auf den gutmütigen und immer fröhlichen Dominic an. Seit 25 Jahren ist er zwischenzeitlich Teil der Metzgerei Deckinger, nicht nur als Mitarbeiter, sondern auch weil er allen hier ein guter Freund geworden ist. Auch der 16-Jährige Lars Deckinger sitzt am Tisch und kann seine Zukunftspläne bereits messerscharf umreißen. “Nächstes Jahr mache ich an der Schule meinen Abschluss und fange dann hier im Betrieb meine Lehre an”. Ob er das dem Vater zuliebe macht? “Nein, das mache ich für mich, der Beruf macht mir Freude.” sagt Lars bestimmt. Und so werden in der Metzgerei Deckinger bald drei Generationen arbeiten und den Betrieb weiterführen. Vielleicht sogar für weitere 40 Jahre.

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